Ozelot hat geschrieben:Halte ich für unwahrscheinlich. Dialekte sterben gerade aus, weil sie unterhalb einer gewissen Menge Sprecher liegen
Und diese Schwelle steigt stetig an. Vor 100 Jahren haben noch ein paar 1000 ausgereicht man war relativ fest in seinem Dorf verankert. Bei heutige Lebensverhältnissen bewegt man sich eher Landesweit. Aber in einigen Kreisen ist man deutlich weiter. Meine Lesezeichen zeigen zu deutlich mehr als der Hälfte nicht mehr auf deutsche Seiten. Und in den Chefetagen ist es völlig normal von heute auf morgen von San Francisco nach Stuttgart zu wechseln.
(Aktuelles Beispiel bei Celesio: Aufsichtratmitglied trat zurück und 3 Monate später hatte eine Dame aus der Rechtsabteilung bei McKesson (Hauptaktionär) einen neuen Job. Und natürlich kann die kein Wort deutsch. Ihre Kollegen werden mit der Englisch reden.
Als ich im Studentenwohnheim gewohnt habe, waren da über die Hälfte der Einwohner keine deutschen Muttersprachler und alle hatten nicht vor mehr als ein Jahr in Deutschland zu bleiben. Das waren junge lernwillige Studenten, die eigentlich zum großen Teil da waren um die deutsche Sprache zu lernen.
Trotzdem ist da die Sprache (sehr zum Unbehagen der germanistikstudenten) oft nach Englisch gekippt. Einfach weil ein guter Abend nach einer Sprache verlange, die alle beteiligten auch nach dem vierten Bier noch fließend sprechen.
Es gibt einfach Personenkreise die alle paar Jahre ihr Heimatland wechseln. Und die werden auch in ihrer Freizeit
eine (oder vielleicht zwei) Sprache nutzen in der sie sich mühelos ausdrücken können. Denn in 50 Sprachen kann sich niemand mühelos ausdrücken. Und die werden ihren Kindern vielleicht noch ihre Muttersprache beibringen, aber diese werden die nicht mehr aktiv nutzen. Eine Sprache die weder Kumpels noch das Mädel in der Disco versteht interessiert die nicht mehr.
Guck dir die Türken an. Wirklich sauber türkisch können da schon viele nach der 2. Generation nicht mehr. (Deutsch leider oft auch nicht.) Und das obwohl die wirklich noch größere Mengen gleichsprachiger haben. Ein deutsches Kind, dass nur zwei Jahre in Deutschland verbraucht hat wird deutsch genausowenig zur primären Sprache machen. Mit seiner späteren französischen Frau (und damit mit seinen Kindern) wird er englisch reden.
Im Moment sind das die Berüchtigten "Parallelgesellschaften" aber das kann ganz schnell zur Norm werden.
Ozelot hat geschrieben:UND weil sie einer Hoch- Amts- und Kultursprache zu ähnlich sind, in die alle Sprecher relativ leicht ausweichen können.
Die ganzen Sprachen der westlichen Welt (außer vielleicht Finnisch) sind extrem ähnlich. Aussprache und Grammatik unterscheiden sich teils stark. Aber das gilt auch für die meisten Dialekte. Wortstämme sind zu 90% die selben.
Ozelot hat geschrieben:Was mich beunruhigt, ist, daß jede Sprache einzigartige Ausdrücke hat, mit denen man Dinge ausdrücken kann, die man in anderen Sprachen nur schwer oder gar nicht ausdrücken kann - und deswegen auch verlernt, überhaupt zu erleben.
Dafür gewinnst du in der neuen Sprache neue Dinge, die du bisher nicht ausdrücken konntest und jetzt plötzlich erleben kannst. Du gewinnst im Schnitt so viel wie du verlierst. (Ganz im Gegenteil. Solch völlig neuen begriffe werden dann in die neue Sprache integriert. (Kindergarten ist ein schönes Beispiel.))
(Btw. bezweifle ich, dass es Sachen gibt, die man in englisch ausdrücken kann aber in deutsch nicht. Vielleicht braucht man mal drei Sätze, wo in der anderen Sprache ein Wort genügte. Aber das ist auch das Maximum.)
Ozelot hat geschrieben:Andererseits sehe ich nicht wirklich ein Problem darin, kleinen Kindern mehrere Sprachen beizubringen. Das ist in vielen Gegenden der Welt völlig normal.
Zwei vielleicht. Aber spätestens ab der Dritten häufen sich Kinder mit Sprachstörungen extrem. Schon bei zweisprachigen Kindern ist signifikant zu merken, dass sie wesentlich häufiger verringerte kognitive Fähigkeiten haben. Gerade diese schönen Feinheiten, die gewisse Sprachen aufweisen aber andere nicht, machst du damit kaputt.
Ozelot hat geschrieben:Mein Kleiner grölte letztens auch türkische Fußballschlachtrufe. Das schadet seinem Deutsch bisher nicht.
Ganz und gar nicht. Eine zweitsprache fördert typischerweise sogar die Fähigkeiten in der ersten. Aber so flüssig türkisch wie deutsch wird er nie lernen.
wanne hat geschrieben:Ist nur bei Sprachen anders, weil sie nicht nur Werkzeuge für einen bestimmten Job sind, sondern unsere ganze Art zu denken und zu handeln prägen, und sogar unsere Wahrnehmung.
Auch aber ich will sie ja auch nicht abschaffen sondern eine gleichartige ersetzen. Und in erster Linie dient sie eben zum Austausch. Und da ist etwas einheitliches eben um Längen besser.
guennid hat geschrieben:die (mögliche) Entwicklung des Englischen zur Universalsprache birgt schon Gefahren - für das Englische.
Ja. englische Grammatik wird primitiver. Dafür gibt es jede menge neuer Wörter.
Als Informatiker sehe ich die Entwicklung aber (im Gegensatz zu den Sprachwissenschaftlern) massiv positiv: Damit zerbricht Englisch nicht in mehrere Teilsprachen sondern jede Gesellschaftsgruppe hat ein eigenen Subset an Vokabeln. So werden Ozelots Bedürftnisse nach Vielfältigkeit und Anpassbarkeit der Sprache gedeckt auf der anderen Seite kann man sich die Zusatzvokabeln schnell aneignen. Englisch wird modular.
tobo hat geschrieben:nd gerade was Kommunikation angeht, da ist ein fehlender Standard ziemlich sicher kontraproduktiv!?
Esperanto oder Cicero-Latein wäre mir auch lieber. Aber nicht durchsetzungsfähig.
Englisch ist wenigstens überhaupt ein Standard. Wenn auch einer mit viel Wildwuchs.
Ist wie mit HTML/CSS: Grauenhafter Wildwuchs. Jeder kann andere Teile und es gibt diverse proprietäre Erweiterungen. Aber am Ende eben doch ein standard, und damit besser als alles andere, was halt wirklich nur eine Programmfamilie spricht.