Forster, E. M.: Die Maschine steht still. Hamburg: Hoffmann und Campe, 2016. 15,00 EUR
Als ich die dystopische Erzählung vor Jahren zum ersten Mal (im englischen Original) las, ergriff mich schon nach wenigen Sätzen ein Erstaunen, das bis zur letzten Seite anhielt: Hier hat ein Autor bereits 1909 (!) – da erschien die Erzählung erstmals – das Internet vorausgeahnt und beschrieben. Weder fehlen facebook-artige Kommunikationsstrukturen (die Protagonistin Vashti hat ein paar Tausend Bekannte) noch eine Art "Internet der Dinge", wie es uns ja erst noch bevorsteht. Natürlich darf man in den Details keine Eins-zu-eins-Beschreibung unserer modernen digitalen Technik erwarten. Aber gerade das "Altmodische", das klassischen Zukunftsromanen ja immer auch anhaftet, vermag bei uns heutigen Lesern eine durchaus anregende Irritation im Sinne eines Verfremdungseffektes zu erzeugen.
Die eigentliche Leistung Forsters besteht m. E. jedoch in einer luziden Vorwegnahme medienkritischer Einwände, wie sie vergleichbar erst wieder nachdenkliche Stimmen gegen Ende des 20. Jahrhunderts formulierten. Ein Beispiel ist die "Enträumlichung" der Erfahrungswelt, die Kuno, der erwachsene Sohn Vashtis, erkannt hat:
Der gleiche Gedanke liest sich bei einem Medientheoretiker fast neunzig Jahre später so: "Wir nehmen Abschied von den handgreiflichen Realitäten des Raumes und tauchen ein in die Metarealität der medialen Äquidistanzen." (Bernd Guggenberger, Das digitale Nirwana, Hamburg: Rotbuch-Verl. 1997, S. 18)"Wie Du weißt, haben wir unser Raumgefühl verloren. Wir sagen „der Raum wurde eliminiert“, dabei wurde nicht der Raum, sondern unser Gefühl für den Raum eliminiert. [...] Das konnte ich nicht länger hinnehmen, also fing ich damit an, den Bahnsteig vor meinem Zimmer auf und ab zu gehen. [...] So eroberte ich mir die Bedeutung von „nah“ und „fern“ zurück. „Nah“ ist der Ort, der sich schnell erreichen lässt – zu Fuß [...] (S. 36-37)"
Selbst das "postfaktische Zeitalter" scheint Forster vorausgeahnt zu haben: "Bald schon [...] wird es eine Generation geben, die alle Tatsachen und Eindrücke hinter sich gelassen hat." (S. 59)
Ich habe das Fehlen einer Übersetzung von Forsters visionärer Dystopie lange als Mangel empfunden, nun endlich liegt eine deutsche Ausgabe vor. Selbst wenn man Forsters düsterem Pessimismus nicht folgen mag, ist das schmale Buch (80 Seiten) eine bereichernde Lektüre für alle, die sich nicht nur fragen: "Was kann ich mit den digitalen Medien machen", sondern auch: "Was machen die digitalen Medien mit mir?"