Studienarbeit über Freie Software und Open Source

Smalltalk
Antworten
uhansen
Beiträge: 42
Registriert: 24.08.2006 23:13:51
Kontaktdaten:

Studienarbeit über Freie Software und Open Source

Beitrag von uhansen » 24.08.2006 23:23:33

Hallo!

Wer sich für geschichtliche Hintergründe und soziale Aspekte von Freier Software und Open Source interessiert: Meine Studienarbeit (155 S., 2,3 MB, 1,0)

"Zwischen Modelleisenbahn und Todesstern.
Die Hacker-Ethik und die Entwicklung von Freier Software und Open Source"


steht zum Download zur Verfügung unter:

http://www.ulrich-hansen.de/hansen-opensource.pdf

Die Arbeit versucht eine Einordnung des Phänomens "Freie Software" in die Geschichte der Computerentwicklung und richtet den Fokus auf die sozialen Motive der Beteiligten. Natürlich kommen da auch ein paar Sachen über Debian vor.

Wichtig waren mir Verständlichkeit (auch für Fachfremde), Nachvollziehbarkeit der Argumentation und die Vermeidung von Einseitigkeit.

Viel Spaß beim Lesen - und über Feedback würde ich mich freuen.

Ulrich Hansen
http://www.ulrich-hansen.de

aptynux
Beiträge: 178
Registriert: 19.08.2006 00:33:38
Wohnort: Dresden
Kontaktdaten:

Beitrag von aptynux » 24.08.2006 23:44:04

Ich habe mir gerade den Linux-Teil durchgelesen. Gefällt mir wirklich gut und ist auch gut geschrieben. Deshalb von mir ein Lob. :)

Benutzeravatar
BeS
Moderator
Beiträge: 3236
Registriert: 17.04.2002 18:30:21
Lizenz eigener Beiträge: MIT Lizenz
Wohnort: Stuttgart
Kontaktdaten:

Beitrag von BeS » 25.08.2006 00:53:56

Hallo,
ich konnte in der kurzen Zeit natürlich nicht die ganze Arbeit lesen, weswegen ich einfach mal die einzelnen Überschriften und die Anfänge der Abschnitte gelesen und den Rest nur überflogen habe.

Ich muss sagen, da ist dir wirklich eine gute Studienarbeit gelungen. Ich denke du beschreibst die Entwicklung recht ausführlich und korrekt.

Da du ja auch an Feedback interessiert bist, hier mal was mir aufgefallen ist:

Begriffe und Schreibweisen (S.3):
Hier schreibst du: "der Begriff "Open Source" ist dagegen sehr viel bildstärker und kann im Englischen nicht als "Gratis-Software" mißverstanden werden."

Ich halte diese Sicht für etwas zu vereinfacht. Man kann natürlich darüber streiten was der Begriff "bildstärker" überhaupt bedeutet. Aber ich denke Free Software (einmal auf die Bedeutung von Free in diesem Kontext hingewiesen) ist deutlich "bildstärker" als Open Source. Free Software (mit der richtigen Bedeutung von Free) ergibt ein schlüssiges Bild mit den 4 Freiheiten die Freie Software definieren während man in Open Source sachen hineininterpretieren muss die beide Wörter so nicht hergeben. Dazu kommt, dass man im Englischen die Mehrdeutigkeit hat (welche man aber mit einem kleinen Hinweis auflösen kann) viele andere Sprachen ("logiciels libre" auf französisch, "software liebre" auf spanisch, "software libero" auf portugiesisch,...) haben diese Mehrdeutigkeit nicht und die Begriff sind hier von Anfang an "bildstärker" als Open Source was in jeder Sprache gleich ungenau bleibt. Dazu kommt der nicht zu unterschätzende Vorteil mit Freier Software und den Übersetzungen mit den Menschen in ihrer Sprache über das Thema reden zu können.

Die Kommerzialisierung von Software (S.25):

Hier beschreibst du die Kommerzialisierung von Software als ein Problem. Es war aber nicht die Kommerzialisierung die für Unmut sorgte, sondern die "proprietärsisierung". Also das Software plötzlich mit Regeln daher kam die sagten, du darfst jetzt nicht mehr deinem Freund helfen indem du ihm eine Kopie gibst und du darfst nicht mehr dafür sorgen das dein Computer und deine Software das macht was du willst. Kommerzielle Software ist auch in der Freien Software vollkommen OK. Du nennst ja später selber Beispiel wie RedHat, SuSE,... welche kommerzielle Freie Software machen, genauso wie z.B. auch der gcc heute zu einem grossen Teil im kommerziellen Umfeld entwickelt wird. In der Freien Software Bewegung begrüßen wir sogar die Kommerzialisierung, da dass sehr wichtig ist um Freie Software in allen Bereichen zu etablieren und da wir sehr wohl der Meinung sind und das natürlich auch zeigen wollen, dass man auch von Freier Software leben kann.

Der Begriff "Open Source" (S.102):

Unter dieser Überschrift beschreibst du das Verhältnis zwischen GNU und Linux, was das mit der Überschrift zu tun hat ist mir nicht ganz klar.

Auf Seite 109 schreibst du dann "Noch im gleichen Jahr distanzierte sich Richard Stallman von dem Begriff"

Für mindestens genauso interessant halte ich in diesem Zusammenhang, dass sich noch im gleichen Jahr einer der Initiatoren von "Open Source" wieder davon distanziert hat Bruce Perens: It's Time to Talk About Free Software Again.

Auf Seite 110 schreibst du:
"Als Begriff jedoch hat "Open Source" die Bezeichnung "Freie Software" weitgehend abgelöst: 96 Prozent der rund 900.000 freien Entwickler, die ihre Projekte auf der Online-Plattform Sourceforge einstellen, verwendeten "Open Source", stellte Raymond 2004"

Das Sourceforge Beispiel halte ich für sehr gewagt. Dafür gibt es zwei Gründe. Ersten besteht Sourceforge selber nicht vollkommen aus Freier Software. wodurch sich viele die sich Freier Software verbunden fühlen vielleicht ein anderes Portal suchen. Zweitens ist sourceforge nur ein Portal, wenn ich mit gna.org oder savannah.gnu.org ansehe werde ich wahrscheinlich ein anderes Ergebnis bekommen.

Dazu kommt das sich meiner Meinung nach in den letzten Jahren immer mehr Projekte wieder zu Freier Software bekennen. Die beiden großen Desktops (KDE und GNOME) sprechen von Freier Software, die einzige (einsatzfähige) freie alternative zu Sun Java kommt vom GNU Projekt und spricht daher natürlich auch von Freier Software, eine freie Alternative zum proprietären Flash kommt von GNU (gnash) und spricht daher natürlich von Freier Software, bei der Fedora Distribution arbeitet man gerade sehr stark mit der FSF an dem Ziel Fedora Core6 zu 100% Freier Software nach der Definition der FSF zu machen.

Also ich denke so eindeutig sieht es für "Open Source" nicht aus. Wenn man mich fragen würde, würde ich sagen hat der Begriff "Open Source" seine stärken ganz klar in der Industrie, meiner Meinung nach weil er leichter zu missbrauche ist als der Begriff Freie Software, und in den Medien. Bei den Software Projekten steht dagegen Freie Software nicht wirklich schlechter da als Open Source und wie oben beschrieben würde ich für den Begriff Freie Software in den "aktuellen" und "großen" Bereichen sogar einen kleinen Vorteil sehen. Dazu kommt das die OSI nicht viel macht außer ihre Homepage und ihre Lizenz-Liste zu pflegen während die FSF's sehr stark in der Politik und in Organisationen wie der UNO (z.B. WIPO) aktiv sind um Freie Software langfristig zu sichern. Von daher gehe ich davon aus, dass hier der Begriff "Freie Software" auch zumindest ein starkes Standbein hat.

Ups, eigentlich wollte ich nur ein paar Sätze schreiben und jetzt ist es doch ganz schön viel geworden. Jetzt höre ich aber auf :)
Deine Unterstützung für Freie Software kostet dich nur wenige Minuten: www.fsfe.org/support

Ich spreche von Freier Software!

uhansen
Beiträge: 42
Registriert: 24.08.2006 23:13:51
Kontaktdaten:

Beitrag von uhansen » 25.08.2006 03:17:15

Danke für das Lob! Es war tatsächlich eine ziemliche Recherchearbeit und ich habe mich ziemlich um Präzision bemüht.

Zum Feedback:
Bildstärker meint in diesem Zusammenhang die Offenheit für Assoziationen. Ich habe auf S. 111 dazu angeführt, dass inzwischen "Open Source" sogar im Nicht-IT-Bereich von den Medien benutzt wird, etwa zur Beschreibung des Humangenomprojekts, das Wort scheint da schon fast vergleichbar mit "Glasnost". Das ergibt sich natürlich auch durch die Bildkraft des Wortes "Source" als "Quelle".

Stärker heißt, dass diese Assoziationen dem Verständnis eher nutzen (Zugänglichkeit einer grundlegenden Ressource), die Fehldeutbarkeit von "free" aber immerhin im bedeutendsten Verbreitungs- und Herstellungsgebiet dem Verständnis von "Free Software" schadet: Denn es weckt Zweifel an der kommerziellen Nutzbarkeit der Software - und die ist, wie auch ich selbst mehrfach schreibe, eine der wichtigsten Stärken der GNU GPL gegenüber den davor üblichen "handgemachten" Lizenzen ("nur zum privaten Gebrauch", "nur, wenn man damit kein Geld macht" etc.).

Vielleicht wäre sowas wie "Software of Freedom" oder gar ein pathetisches "Source of Freedom" besser geeignet gewesen, das Wort Freiheit eindeutig unterzubringen, aber ich vermute, dass Stallman selbst zu Beginn mit dem Wort "free" "gratis" assoziierte. Wie sonst wären Formulierungen wie "Once GNU is written, everyone will be able to obtain good system software free, just like air" (GNU Manifesto) zu verstehen (Formulierungen, die er selbst mittlerweile als "achtlos" bezeichnet). Es scheint sich bei dieser Doppeldeutigkeit also um einen Geburtsfehler zu handeln, der auch ihm selbst anzurechnen ist.

Ich selbst halte es für falsch, dass ein so wichtiger (auch politischer) Begriff wie "Freiheit" in der Bezeichnung dieser Softwaregattung weggefallen ist, da die Freiheitsliebe nicht nur das klare Motiv Stallmans zu sein scheint, sondern auch das Motiv vieler, sich an- und zusammenzuschließen und sie auch ein grundlegender Wert der Hacker insgesamt ist ("All Information should be free", "Hands-On Imperative"). Aus diesem Grund verwende ich auch den ursprünglichen Begriff in meiner Arbeit und halte die üblichen Akronyme (FLOSS, FOSS) für absurd. Sollte sich der Begriff "Freie Software" wie von Dir geschildert, so langsam durch die Hintertür wieder einschleichen, in einer Zeit, in der deren kommerzielle Nutzbarkeit außer Frage steht, wäre dies natürlich ein nachträglicher Triumph und der Begriff "Open Source" entpuppte sich als das, als was er ursprünglich (und durchaus gutgemeint) gedacht war: Als Marketing-Trick.

Allerdings sagt unser Orakel Google noch was anderes:
Suchbegriff "Open Source": 731 Mio. Treffer
Suchbegriff "Free Software": 290 Mio. Treffer

Zu Perens:
Stimmt, die Distanzierung von Perens gehört in das Kapitel eigentlich mit rein. War selbst verwundert, dass sie nicht zumindest in einer Fußnote vorkommt. Hole ich noch nach.

Zur Kommerzialisierung von Software:
Ich denke aus dem Text wird klar, dass es hier um den Wandel des Verständnisses von Software als einer Dienstleistung zu einem Massenprodukt geht. Und die einzige Art und Weise, wie man glaubte, dessen kommerziellen Wert zu erhalten, war, den Aufbau des Produkts geheimzuhalten.

In diesem Fall steht Kommerzialisierung also nicht als Abgrenzung zum nachfolgenden Verständnis von Software (GNU) sondern zum vorherigen Verständnis von Software als selbstverständlichem Bestandteil der (wenigen) vorhandenen Computer, notwendigerweise von der kleinen Elite, die daran arbeiten durfte, frei anpassbar und erweiterbar.

Würde ich also eher so lassen wollen. Muss aber noch mal checken, ob klar wird, dass sich Stallmans Protest nicht gegen die Kommerzialisierung richtet, sondern gegen die damit einhergehende Kultur der Schließung (denke aber, dass das so drin ist).

Jedenfalls noch einmal Danke für diese tolle und differenzierte inhaltliche Kritik!
Gute Nacht!
Ulrich Hansen

Benutzeravatar
BeS
Moderator
Beiträge: 3236
Registriert: 17.04.2002 18:30:21
Lizenz eigener Beiträge: MIT Lizenz
Wohnort: Stuttgart
Kontaktdaten:

Beitrag von BeS » 25.08.2006 13:10:08

uhansen hat geschrieben: Danke für das Lob! Es war tatsächlich eine ziemliche Recherchearbeit und ich habe mich ziemlich um Präzision bemüht.
Ja, man sieht dem Text an, dass da sehr viel Arbeit drin steckt. Das Ergebnis ist aber auch wirklich gelungen.
Bildstärker meint in diesem Zusammenhang die Offenheit für Assoziationen. Ich habe auf S. 111 dazu angeführt, dass inzwischen "Open Source" sogar im Nicht-IT-Bereich von den Medien benutzt wird, etwa zur Beschreibung des Humangenomprojekts, das Wort scheint da schon fast vergleichbar mit "Glasnost". Das ergibt sich natürlich auch durch die Bildkraft des Wortes "Source" als "Quelle".
Die Frage ist halt was für ein Bild die Wörter "Source" und "Open" haben. Wie gesagt denke ich, dass diese Wörter, egal in welchem Sprachgebrauch, nicht das hergeben was die OSI in ganzen 10 Punkten (!) definiert. Dabei geben die Wöter "Free" und "Software" im ganz normalen Sprachgebrauch ein sehr schlüssiges und leicht zu verstehendes Bild mit den 4 Freiheiten.

Was die Verwendung des Begriffs "Open Source" in anderen Bereichen angeht ist mir in letzter Zeit auch oft "Open Source"-Film aufgefallen. Aber was bedeutet das? Das ich meine Quellen (d.h. wo ich die Geschichte her habe usw.) offen lege? Das ich den Film mit "Open Source" Software erstellt habe? Das man den Film mit "Open Source" Software ansehen kann? ... Oder das der Film "Open Source" ist wie Software "Open Source" ist? Bei letzterem Frage ich mich dann aber warum man von "Open Source" Filmen spricht wenn der Film unter einner cc-nc steht?
Also ich halte den Begriff "Open Source" für hochgradig verwirrend und die Verwendung in anderen Bereichen macht das eher noch schlimmer.

Dabei könnte man es mit dem Begriff Freie Software so schön haben und mit jedem in seiner Sprache reden: Freie Software, Freie Musik, Freie Literatur, Freie Kunst, Freier Film,... und es würde immer ein schlüssiges Bild geben, auch wenn man in ein paar wenigen Sprachen wie Englisch darauf hinweisen müsste welches "free" man hier meint.
Stärker heißt, dass diese Assoziationen dem Verständnis eher nutzen (Zugänglichkeit einer grundlegenden Ressource), die Fehldeutbarkeit von "free" aber immerhin im bedeutendsten Verbreitungs- und Herstellungsgebiet dem Verständnis von "Free Software" schadet
Ich denke du stützt dich hier zu sehr auf eine Sprache, Englisch. Im englischen sind viele Begriffe mit mehreren Bedeutungen verbunden. "Free" ist aber auch mit Freiheit und damit mit den 4 Freiheiten sehr gut verbunden, während es mit "Open" und den 10. Punkten der Open Source Definition keine wirkliche sprachliche Verbindung gibt. Ausserdem sollte man auch all die anderen Sprachen sehen, in denen "Free Software" sehr eindeutig wird, während "Open Source" überall gleich bleibt.
Allerdings sagt unser Orakel Google noch was anderes:
Suchbegriff "Open Source": 731 Mio. Treffer
Suchbegriff "Free Software": 290 Mio. Treffer
Du müsstest fairer Weise aber auch nach "Freie Software" (und dann auch nach so Feinheiten wie "Freier Software"), "logiciels libre" "software liebre" "software libero" usw. suchen und daraus die Summe bilden. Das ist meiner Meinung nach eine der großen stärken des Begriffs "Freie Software", man kann mit den Menschen in ihrer Sprache reden und der Begriff ist bis auf ein paar Ausnahmen in vielen Sprachen sehr eindeutig und harmoniert sehr gut mit der Free Software Definition. Das kann man meiner Meinung nach von dem Begriff "Open Source" nicht sagen.

(PS: Ausßdem ist google natürlich keine sehr vertrauensvolle Quelle, wenn ich nach "Free Software" suche bekomme ich 291.000.000 Ergebnisse, klicke ich gleich nochmal aus Suchen bekomme ich 349.000.000, danach wieder 291.000.000 usw. :D)
Deine Unterstützung für Freie Software kostet dich nur wenige Minuten: www.fsfe.org/support

Ich spreche von Freier Software!

uhansen
Beiträge: 42
Registriert: 24.08.2006 23:13:51
Kontaktdaten:

Beitrag von uhansen » 26.08.2006 00:11:22

Dass der Begriff "Open Source" auf andere Bereiche abstrahlen kann, wie Literatur, Wissenschaft oder sogar Journalismus ("Open-Source-Journalismus", siehe meine Schlussbemerkung) liegt natürlich einfach daran, dass das zweite Wort im Begriff "Free Software" dem entgegensteht. "Open Source" beinhaltet eben durch seine Unverbindlichkeit das ganze Flair der digitalen Reproduzierbarkeit, das für viele gesellschaftliche Bereiche derzeit zur Herausforderung geworden ist. Während Kunst und Wissenschaft sich von jeher als "frei" bezeichnen - ohne damit die Art von Freiheit zu meinen, die in "Freie Software" enthalten ist (Stallman sagte mal so etwas wie, er habe mit der Freien Universität Amsterdam verhandelt, aber man habe ihn aufgeklärt, das sei eben nur der althergebrachte Name).

Das Ganze Namensbrimborium ist aber eigentlich nur ein Nebenkriegsschauplatz.

Wichtiger scheint mir zu sein, dass der Namenswechsel, der bei dem Treffen am 03.02.1998 von Eric S. Raymond mit Larry Augustin, John "Maddog" Hall, Sam Ockman und Christine Peterson (Foresight Institute) und auch bei dem nachfolgenden, vom Verleger O'Reilly veranstalteten "Freeware Summit" am 07.04.1998 vollzogen wurde, vor allem den Sinn gehabt zu haben scheint, Richard M. Stallman zu entmachten.

Der Begriff "Open Source", der ja (auch nach der von Dir zitierten Perens-Mail) lediglich ein Marketing-Begriff für Freie Software bei gleichbleibender Bedeutung sein sollte (also ein Dummy), spielt da viel weniger eine Rolle, als dass man Stallman mitten im Dot-Com-Boom die Macht nahm, für die meisten Entwickler zu sprechen. Der Druck kam offensichtlich durch den Erfolg der Mozilla-Freigabe. Es kommt mir so vor, als habe man, möglicherweise auch in Vorbereitung des Red Hat-Börsengangs, Risiken durch den unberechenbaren bisherigen Vordenker der Szene ausschließen wollen.

Und es waren ja Leute, die Stallman gut kannten: Raymond hatte im GNU-Projekt eng mit Stallman zusammengearbeitet (auch zwei Freundinnen an ihn verloren, das habe ich irgendwo zitiert), Perens war bei ihm angestellt (als Debian noch zur FSF gehörte). Sie haben es also alle mit ihm versucht.

Und das Ganze geht weiter: Man denke an den Hickhack um die GNU FDL und Debian, man denke an den momentanen Streit mit Torvalds um die GPL 3. Die Tragik scheint mir dabei zu sein, dass Stallmans Mangel an Führungs- und Netzwerkqualitäten gepaart ist mit einer außerordentlichen Hellsichtigkeit (auch für ziemlich realistische Gefahren für freie Software wie Patente, DRM) und einer überzeugenden Vision, die weniger dem Kommunismus gleicht, als einem sehr amerikanischen Verständnis von Freiheit (Erfolg durch eigenes Tun, nicht durch ererbten Besitz, gepaart mit christlichen Werten "so you can help your neighbor").

Open-Source-Vordenker Raymond scheint mir da eher Managementrezepte anzubieten (auch wenn er das soziale Räderwerk der Entwicklergemeinschaften brilliant analysiert hat) und eine recht verkruschtelte Version von Zen und Hacking - und Linus Torvalds ist ja Pragmatiker aus Prinzip. Das geht ja auch gut, solange der Markt wächst.

Auch wenn die Weltverbesserungsvisionen mancher Programmierer (wie in meiner Arbeit dargestellt) ein altes, typisches und letztlich naives Hackersyndrom sind ("Computers can change your life for the better"), heisst das ja nicht, dass man mit diesen Visionen nicht seinen eigenen Stall, seine eigene Schaffenswelt in Einklang bringen kann, mit dem, was man für gesellschaftlich sinnvoll, kooperations-, kreativitäts- und produktivitätsfördernd hält ("Hacker-Ethik") und da scheint Stallman doch einige wichtige gedankliche Vorleistungen erbracht zu haben. Zumindest der Erfolg der GPL-Programme, die damit einhergehenden Innovationen und die ungebrochene Lust, da mitzumachen, geben ihm recht.

Von daher scheint mir der Verlust des Begriffs "Free Software" weit weniger relevant, als der Verlust einer Vision.

Ulrich Hansen

Benutzeravatar
BeS
Moderator
Beiträge: 3236
Registriert: 17.04.2002 18:30:21
Lizenz eigener Beiträge: MIT Lizenz
Wohnort: Stuttgart
Kontaktdaten:

Beitrag von BeS » 26.08.2006 08:01:12

uhansen hat geschrieben:"Open Source" beinhaltet eben durch seine Unverbindlichkeit das ganze Flair der digitalen Reproduzierbarkeit, das für viele gesellschaftliche Bereiche derzeit zur Herausforderung geworden ist.
tut der das? Also "Open Source" steht für mich erstmal (aus dem Sprachgebrauch heraus) für "offene Quellen" sachen wie die "digitalen Reproduzierbarkeit" oder allgemein die Freiheit im Umgang mit immateriellen Werken müssen hier erst durch eine Definition "neuerfunden" werden, die Wörter geben das nicht her, Freie Software dagegen schon.
Während Kunst und Wissenschaft sich von jeher als "frei" bezeichnen - ohne damit die Art von Freiheit zu meinen, die in "Freie Software" enthalten ist.
Aber auch hier musst du nur einmal auf eine Bedeutung von "frei" hinweisen, die es im tägliche Sprachgebrauch wirklich gibt und in anderen Sprachen sogar eindeutig sind, deswegen bevorzuge ich übrigens auch die Großschreibung so das es auf einen Namen hindeutet der etwas "besonderes" bedeutet: Freie Software, Freie Kultur,....
Das ist imho deutlich besser als in Wörter wie "open" und "source" etwas reinzuinterpretieren was die Sprache so nicht hergibt. Dazu kommt mein Beispiel mit den äußerst missverständlichen "Open Source Filmen"
Von daher scheint mir der Verlust des Begriffs "Free Software" weit weniger relevant, als der Verlust einer Vision.
Das Problem ist, dass der Verlust von Begriffen mit dem Verlust der Visionen[*] zusammenhängt.
Wenn Leute von "Open Source" und "Linux" hören, dann denken sie an etwas das "Just for Fun" entstand und das es letztlich nur um gute Software geht, unabhängig von der Lizenz. Sie lernen eben die Open Source Philosophie und Linus als das große "Sprachrohr" kennen.
Hören sie dagegen von "Freier Software" und "GNU/Linux", dann wird die Verbindung klar mit einer Entwicklung die nicht "Just for Fun" entstand sondern aus dem Drang nach einer freien Welt (dazu gehören natürlich auch Sachen wie eine freie Marktwirtschaft) die auch im digitalen Zeitalter bestehen bleibt und das die Freiheit kein Zufall ist, wie es bei der Lizenz Wahl von Linux der Fall war (Linus wählt erst eine non-commercial Lizenz), sondern die Schlüsselrolle spielt.
Wenn es nur ein Namenwechsel wäre, dann wäre es kein Problem, aber es steckt eben viel mehr dahinter.

[*] Eigentlich passt das Wort Vision garnicht mehr richtig, da es sich mittlerweile um eine Realität handelt um die nichtmal Firmen wie IBM, HP, Novell und sogar Microsoft (Stichwort shared source Lizenzen die teilweise Freie Software Lizenzen sind) herum kommen. Oder um Eben Moglen aus einer Rede zu zitieren:
Eben Moglen hat geschrieben: [..]
Practical revolution, the friends and colleagues with whom I have been working for the past 20 years have shown, practical revolution is based upon two things: proof of concept and running code. That is to say: do it first and allow the implications of what has been done to settle in. Technology, unlike the Hegelian or Marxian flow of history, technology itself is irreversible. That which we have is ours--not a dream--it belongs to us: it runs; we use it.
Having brought into being the tools of our liberation, it is now our privilege to use them to change the world around us. This is our special role in the long history of the struggle for freedom of thought. The conditions which brought about this unusual situation, a revolution based not on dreams about what might be but on recognition of the full implications of what is: this situation we owe to the industrial capitalism of the 20th century. It will--it must--go down in history as having adroitly worked its own destruction.
The tools that we gained from the system of industrial ownership of information thrown up by the 20th century, those tools are the tools by which we undo unfreedom and return our communities, our loves, our friends, ourselves to the condition of liberation for which we have all and for which our ancestors too long hoped. The technology of the 20th century makes our liberation possible, because the technology of the 20th century turns solidity into digital air. "All that was solid," it was said, "would melt." And so it did.
[..]
PS: Ich bin jetzt erstmal für 10 Tage ohne Internet. Wir können hier gerne noch weiter diskutieren (wobei ich denke das wir in den meisten Punkten einer Meinung sind), nur das du dich nicht wunderst falls meine Antwort etwas auf sich warten lässt.
Deine Unterstützung für Freie Software kostet dich nur wenige Minuten: www.fsfe.org/support

Ich spreche von Freier Software!

Antworten