Mario M.

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ckoepp
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Beitrag von ckoepp » 10.11.2006 09:20:03

icewalker hat geschrieben:sollte dieses verfahren von gerichten anerkannt werden, so würden wahrscheinlich alleine in den usa hunderte verurteilter straftäter aus den normalen gefängnissen herauskommen um in dauerhafte, medizinisch/psychiatrische dauerunterkünfte eingewiesen incl psychiatrischer und medizinischer dauerbetreuung..
Weder du noch ich können wirklich beurteilen ob das so stimmt. Studien sind genau das: Studien. Sie haben erstmal für sich alleine genommen keine wissenschaftliche Aussagekraft (bzw. je nachdem wer sie durchführt sprechen sie natürlich für die Investoren - z.B. ePlus bei der Handystrahlung usw.).

Aber mal ganz davon abgesehen: ist das schlimm wenn die Straftäter in geschlossene psychatrische Anstalten kommen?
Die Straftäter haben natürlich auch im Gefängnis Therapiesitzungen und dauerhafte Betreuung durch Psychater. Wir haben das Ganze in erster Linie um zu resozialisieren nicht um wegzusperren (obwohl das natürlich bei einer nicht möglichen Resozialisierung die letzte Wahl ist).

Oder bist du eher dafür sie wie beim Terminator in San Fransisco mit GPS am Fuß ein Leben lang zu überwachen oder sie auf Webseiten zur Schau zu stellen?
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icewalker
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Beitrag von icewalker » 10.11.2006 09:45:54

@ckoepp

der unterschied ist, dass in normalen gefängnissen die täter gehören, die sich ihrer tat bewusst sind, bzw. bewusst herbeigeführt haben.

alle anderen gehören in die geschlossene psychiatrie.

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McAldo
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Beitrag von McAldo » 10.11.2006 09:53:55

ckoepp hat geschrieben: Eine Zahl dazu: 60% der Kindesmissbraucher sind als Kind selbst missbraucht worden. Das entschuldigt keine Taten, allerdings ist es nicht ganz so einfach einen Schuldigen ausfindig zu machen. Wenn ein Mensch über Jahre hinweg missbraucht wird und nichts anderes kennenlernt, ist der Mensch dann nicht selbst in gewissen Sinne ein Opfer?
Leider ist die Welt eben nicht in schwatz weiß eingeteilt...die Sache sieht oft komplexer aus als viele es wahrhaben wollen.
Übrigens haben u.a Wildwasser e.V. und der Kinderschutzbund dieses seit Jahren auch erkannt und inzwischen gibt es Beratungen für ehemals missbrauchte Erwachsene (fast ausschließlich Männer) die fürchten selbst zum Täter zu werden. Dazu kam vor einigen Monaten auf Phoenix eine Doku in der sich 5 Betroffene dazu äußerten.
Siehe dazu meinen ersten Post zu diesem Thema, ich zitiere:
McAldo hat geschrieben:Das Problem setzt doch schon viel früher ein und wird in Zukunft noch schlimmer werden. Durch die Verwahrlosung der Geselschaft und deren Verrohung, wird es zu mehr und schlimmeren Straftaten in der Richtung kommen. Um dem Vorzubeugen kann nur an erster Stelle der Staat etwas unternehmen, in dem er Geld und Zeit für Projekte bereit stellt, welche die Kinder und Jugend fördert und/oder eine Aufgabe gibt (Sportverein, Freizeitklubs). In der DDR war fast jeder in irgendeinem Verein tätig. Sicher gab es Ausnahmen, aber vom Prinzip her war das vom Staat organisiert.
...
...
...
Es ist klar, dass die sehr viele der Leute dazu gemacht wurden, es gibt aber auch welche, die trotz toller Kindkeit und keiner Probleme in der Jugend soetwas machen. Oder vielleicht gerade deswegen, weil sie sich langweilen? Naja, die Abgründe der menschlichen Psyche sind tief.

Aber man sieht an den ganzen Posts, es geht wieder nur um den Täter (der, wie erkannt, oft zuerst ein Opfer war) und nicht um das Opfer, welches aktuell auch Hilfe benötigt um das Erlebte zu verarbeiten und zu überwinden ohne daran hängenzubleiben und vielleicht später auch so zu werden.

McAldo
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Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter.
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Beitrag von icewalker » 10.11.2006 10:03:25

McAldo hat geschrieben:
Aber man sieht an den ganzen Posts, es geht wieder nur um den Täter (der, wie erkannt, oft zuerst ein Opfer war) und nicht um das Opfer, welches aktuell auch Hilfe benötigt um das Erlebte zu verarbeiten und zu überwinden ohne daran hängenzubleiben und vielleicht später auch so zu werden.

McAldo
selbstverständlich geht es in hier "nur" um den täter, da das eingangsposting als titel mario m. hat.

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ckoepp
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Beitrag von ckoepp » 10.11.2006 11:15:22

McAldo hat geschrieben:Aber man sieht an den ganzen Posts, es geht wieder nur um den Täter (der, wie erkannt, oft zuerst ein Opfer war) und nicht um das Opfer, welches aktuell auch Hilfe benötigt um das Erlebte zu verarbeiten und zu überwinden ohne daran hängenzubleiben und vielleicht später auch so zu werden.
Natürlich ist das immer das Totschlagargument gegen jede Befassung mit den Täter selbst. Aber es hält nicht stand, denn dem Opfer kommen natürlich sämtliche zur Verfügung stehenden Mittel zu Gute. Eigentlich eine Sache der Selbstverständlichkeit.

Niemand kann die Tat ungeschehen machen, aber es gibt eben in unserer Verantwortung alles Mögliche zu tun um weitere Taten zu verhindern und möglich wenig Menschen zu Opfern werden lassen. Fälschlicherweise wird das Wegsperren als Weg dahin gesehen.
Was mir gerade einfällt: Tookie ist das beste Beispiel für eine Resozialisierung. Vom Mörder (oder zumindest extrem gewaltätigen Ganggründer) zum Kinderbuchautor...
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Beitrag von walf » 10.11.2006 11:43:29

ckoepp schrieb:
Die Straftäter haben natürlich auch im Gefängnis Therapiesitzungen und dauerhafte Betreuung durch Psychater. Wir haben das Ganze in erster Linie um zu resozialisieren nicht um wegzusperren (obwohl das natürlich bei einer nicht möglichen Resozialisierung die letzte Wahl ist).
Wie kommst du darauf, dass Straftäter permanent von Psychologen betreut werden? In Bayern haben zur Zeit ca. 300 bis 400 Inhaftierte einen Sozialpädagogen zur Verfügung, dazu kommen dann in größeren Haftanstalten noch fest installierte Gefängnisseelsorger, Ärzte und ein bis zwei Psychologen (auf 1000 bis 2500 #Gefangene).
In ganz Bayern gibt es bei einer Gesamtzahl von 12387 Inhaftierten (31.03.06) (1) eine Soziotherapeutische Haftanstalt in Erlangen mit insgesamt 41 Haftplätzen (2), von dieser Möglichkeit sind Sexualstraftäter komplett ausgeschlossen. Für diesen Personenkreis bleibt nur noch die Forensik, also das was hier als "geschlossene Psychiatrie" bezeichnet wird. In die Forensik geht es, wenn ein Mensch eine Straftat begangen hat und entweder nicht Schuldfähig ist (z.B. wegen einer psychischen Erkrankung wie Sucht, Pyromanie etc.) oder wenn von einem Menschen nach verbüßen einer Haftstrafe eine erhebliche Fremd- oder Selbstgefährdung ausgeht und er deshalb therapeutischer Betreuung bedarf (z.B. Sexualstraftäter). Da spricht man dann von Sicherungsverwahrung.
Der Zahl der Verurteilten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern lag 1971 bei 3222, 1981 bei 1714, 1991 bei 1687 und 2001 bei 2144 (3)
Am 31.03.05 waren insgesamt 4907 Menschen wegen eines "Eingriffes in die sexuelle Selbstbestimmung" inhaftiert (incl Sicherungsverwahrung), die Gesamtzahl der Inhaftierten betrug 63533, davon 350 in Sicherungsverwahrung. Von diesen 350 Sicherungsverwahrten waren wiederum 170 Sexualstraftäter. (4)
Das mal um die Diskussion ins richtige Verhältniss zu rücken.
Bei der ganzen Diskussion um Sicherungsverwahrung ("wegsperren solche Leute, das sind doch keine Menschen") sollte man imho nie außer acht lassen, dass jede dafür nötige Grundgesetzänderung eben nicht nur diesen Personenkreis betrifft, sondern die Möglichkeit schafft per Definition (also StGB) einen Personenkreis zu benennen, bei dem dieses lebenslange Wegsperren angebracht ist. So eine Grundgesetzänderung beträfe vielleicht vordergründig erstmal Sexualstraftäter und/oder (Kindes-)Mörder, würde aber nicht klar abgrenzbar nur für diesen Personenkreis zu schaffen sein.
Wer dann letztendlich unter entsprechenden politischen Wirren alles betroffen wäre, ohne dass irgendeine Instanz (BVG) noch eine Einspruchsmöglichkeit hätte bleibt dann dahingestellt. Es geht hier um Missbrauch! Es geht hier darum die leidvollen Erfahrungen der Vergangenheit ernst zu nehmen und die persönliche Freiheit zu schützen. Wie die Zahlen von (4) schon zeigen, gibt es beileibe auch kein Phänomen das neu wäre, wohl gibt es aber neue Reaktionsmuster, gefördert von einem fragwürdigen Sensationsjournalismus.
Übrigens schreibe ich grad meine Diplomarbeit zum Thema Folgen von Inhaftierung/Angehörige von Inhaftierung. Deshalb auch dieser Ausbruch :wink:
Grüße,
walf

1: "Bestand der Gefangenen und Verwahrten in den deutschen Justizvollzugsanstalten
nach ihrer Unterbringung auf Haftplätzen des geschlossenen und offenen Vollzuges
jeweils zu den Stichtagen 31. März, 31. August und 30. November eines Jahres" Statistisches Bundesamt, 2006


2: http://www.justizvollzug-bayern.de/JV/ ... ki/jva_er

3: "Lange Reihen zur Strafverfolgungsstatistik" Statistisches Bundesamt, 2005

4: Rechtspflege: Strafvollzug - Demographische und kriminologische Merkmale der Strafgefangenen zum Stichtag 31.3. - Statistisches Bundesamt, 2005
Ich möchte wie mein Großvater sterben: Friedlich und im Schlaf!
Und nicht wie sein Beifahrer schreiend und weinend.

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Beitrag von ckoepp » 10.11.2006 12:42:08

walf hat geschrieben:Wie kommst du darauf, dass Straftäter permanent von Psychologen betreut werden?
...weil ich erstens persönlichen Kontakt zu je einem Psychologen und einem Gefänginspriester habe und ich durch meine ehrenamtliche Arbeit damit auch direkt in Berühung komme ;)

Ich kann dir nicht sagen wie es in Bayern oder einzelnen Bundesländern aussieht (das sollen die Statistiker machen), aber ich kann dir die Grundlagen erklären.
http://de.wikipedia.org/wiki/Strafvollzug

Grundsätzlich ist es natürlich so das ein Dieb oder Steuerhinterzieher (im Normfall) keine spezielle Betreuung durch Psychologen braucht. Das Ganze musst du nicht mit der Zahl der gesamten Inhaftieren ansehen, das wäre vollkommen falsch. Um Aussagen zu treffen brauchst du die Zahlen von Inhaltfierten in geschlossen Einrichtungen UND dem Gefängnis und deren Psychologen. Und es gibt immer die Möglichkeit zur Behandlung (auf Wunsch des Inhaftierten), manchmal - wie bei Gewaltverbrechern - sogar die Pflicht dazu.

Das weißt du ja aber mit ziemlicher Sicherheit dann auch wenn du deine Dipl-Arbeit drüber schreibst.
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Beitrag von walf » 10.11.2006 13:38:48

Grundsätzlich ist es natürlich so das ein Dieb oder Steuerhinterzieher (im Normfall) keine spezielle Betreuung durch Psychologen braucht.
Das ist, Entschuldigung, aber mal eine sehr gewagte Aussage.
Haft ist in jedem Fall ein tiefer Einschnitt in`s Leben einer Person. Ausgehend vom Gedanken der Resozialisierung, würde eine Umfassende Betreuung Not tun, im Hinblick darauf, dass eben nicht Bestrafung des Einzelnen sondern Schutz der Gemeinschaft durch Reintegration im Vordergrund steht. Anders sieht es in der Praxis aus.
Wer erst mal im Knast sitzt dessen Rückfallrisiko erhöht sich deutlich. Die Perspektiven für ein normales Leben werden durch einen längeren Gefängnissaufenthalt (damit meine ich eine Haftzeit von über sechs bis neun Monaten) deutlich beschnitten.
Nicht nur, dass ehemals Inhaftierte eine weitaus schlechtere Beschäftigungsperspektive haben, sich schwer tun eine Wohnung zu finden und massiv von Armut bedroht sind, sondern auch weil soziale Bezüge verlorengehen. Das alles wiederspricht dem Gedanken der Resozialisierung und würde implizieren, dass wesentlich mehr Betreuung vonnöten wäre. Politischer Grundtenor ist diesbezüglich aber leider, die Tendenz zu härterem Durchgreifen. Wohin das führt zeigen die Zahlen des "großen Bruders" USA.
Bayern war im übrigen nur das für mich naheliegenste Beispiel, wesentlich besser siehts in anderen Bundesländern auch nicht aus.
Das Ganze musst du nicht mit der Zahl der gesamten Inhaftieren ansehen, das wäre vollkommen falsch. Um Aussagen zu treffen brauchst du die Zahlen von Inhaltfierten in geschlossen Einrichtungen UND dem Gefängnis und deren Psychologen.
Diese Aussage ist völlig schräg!
Die in geschlossenen Einrichtungen (also Forensik) haben natürlich einen ganz anderen Betreuungsschlüssel, schließlich haben wir hier eine psychiatrische Betreuungsstruktur, das kann mit dem normalen Vollzug nicht verglichen und auch nicht in Bezug gesetzt werden. Und natürlich ist die Zahl der gesamt Inhaftierten völlig von Belang. Warum hab ich ja schon geschrieben. Was daran ist also falsch?
Der Begriff der in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist, ist auch nicht Strafvollzug sondern Haft (http://de.wikipedia.org/wiki/Haft), bzw. Strafhaft (http://de.wikipedia.org/wiki/Freiheitsstrafe), da Strafvollzug jede Form von richterlich angeordneter und durch die Rechtsorgane vollzogener Strafe meint. Strafvollzug ist umgangssprachlich und wird meist mit Strafhaft gleichgesetzt.
Ganz davon abgesehen sitzen nur die wenigsten Straftäter in Haft :wink: . Wir haben in dieser Diskussion allerdings den Bezug zu Sexualstraftaten und die entsprechenden Reaktionen des "gesunden Volksempfindens" thematisiert.
Grüße,
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Beitrag von Kaper » 14.11.2006 01:27:46

@walf: Volle Zustimmung. In welchem Fach schreibst du deine Diplomarbiet?
Gruss, Dirk

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Beitrag von walf » 17.11.2006 11:18:21

Danke!
Ich schreibe über Methoden und Ansätze eines Online-Beratungsangebotes für Angehörige Inhaftierter. Danach werde ich, vorraussichtlich :wink: , Dipl. SozPäd (FH) sein.
Schwerpunktmäßig habe ich mich während meines Hauptstudiums im Bereich Resozialisierung bewegt.
Viele Grüße,
walf
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