Warum schweigen die Lämmer?

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BenutzerGa4gooPh

Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von BenutzerGa4gooPh » 28.10.2016 09:04:30

ralli hat geschrieben:Was die andauernden Forderungen nach Lösungen angeht, so möchte ich schließen und sagen:
Wir müssen nicht immer wieder den uneinlösbaren Anspruch erheben, was die Gesellschaft uns geben soll oder zu geben hat, sondern uns ernsthaft darum bemühen, was wir bereit sind, der Gesellschaft zu geben.
Kann man/frau anders sehen, z. B. verstehe ich Frau Emckes Worte
Menschenrechte sind kein Nullsummenspiel. Niemand verliert seine Rechte, wenn sie allen zugesichert werden. Menschenrechte sind voraussetzungslos. Sie können und müssen nicht verdient werden. Es gibt keine Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit jemand als Mensch anerkannt und geschützt wird. Zuneigung oder Abneigung, Zustimmung oder Abscheu zu individuellen Lebensentwürfen, sozialen Praktiken oder religiösen Überzeugungen dürfen keine Rolle spielen. Das ist dochder Kern einer liberalen, offenen, säkularen Gesellschaft.
so:
Um Menschenrechte muss man nicht betteln, sie stehen Jedem zu. Wenn man darum betteln muss, hat sich die Gesellschaft zu ändern oder muss verändert werden!

Dann darf jeder einen Text lesen und jeder wird Texte entsprechend seinen Fähigkeiten, Erfahrungen und Liebhabereien anders verstehen. Nicht allen gefällt jeder Roman, jede Literatur, jede Philosophie, jede Rede,

Der Kontext der Rede ist eine Danksagung nach der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Die Zuhörerschaft waren wohl Literaturschaffende, Literaturvermarktende. Literaturinteressierte und Journalisten - also wohlhabendes, wohlanständiges Bildungsbürgertum. Nicht jedem ist gegeben, dem Gegenüber einen Spiegel vorzuhalten, also um die Harmonie aufrecht zu erhalten, redet am besten über Dritte, fordert von Dritten. Vermutlich deshalb dreht sich die Rede hauptsächlich um die persönliche Toleranz gegenüber Homosexuellen, Ausländern, Menschen mit anderen Religionen. Ist auch wichtig - aber dem wohlsituierten Bildungsbürgertum wird diese Toleranz wohl nicht abgehen, also Kuschelharmonie bewahrt.

Meines Erachtens gibt es 2 Wege zu Menschenrechten, die unklar ausgedrückt wurden: Bottom up und Top Down. Zu Bottom Up zähle ich beispielsweise persönliche Toleranz gegenüber Anderen, die Frau Emcke lange beschreibt und einfordert. Zu Top Down zähle ich u. a. in Verfassung und Gestzen festgemeißelte und garantierte Menschen- und BÜRGERRECHTE - die von der Exekutive auch durchgesetzt werden.

Frau Emcke spricht den Säkularstaat an. Hat mir gefallen. Arabische Staaten, in denen Frieden herrscht oder herrschte, dort war es doch häufig so: Machthabende Sunniten unterdrücken Schiiten. Im Nachbarland ist es umgekehrt. Nach ameikanischer Invasion im Irak haben sich oder besser wurden per Marionettenregierung auch nur die Unterdrückungsverhältnisse umgekehrt. Also den verfassungsmäßig garantierten Säkularstatt finde ich wichtig und bin Frau Emcke für die kleine Erinnerung daran und das veranlasste Nachdenken darüber dankbar.
Eine freie, säkulare, demokratische Gesellschaft ist etwas, das wir lernen müssen. Immer wieder. Im Zuhören aufeinander. Im Nachdenken über einander. Im gemeinsamen Sprechen und Handeln. Im wechselseitigen Respekt vor der Vielfalt der Zugehörigkeiten und individuellen Einzigartigkeiten. Und nicht zuletzt im gegenseitigen Zugestehen von Schwächen und im Verzeihen.
Kommt leider nur kurz und undeutlich weg.

Dann noch ein Gedanke zu Rede:
Sie stehen vielleicht nicht selbst auf der Straße und verbreiten Angst und Schrecken, die Populisten und Fanatiker der Reinheit, sie werfen nicht unbedingt selbst Brandsätze in Unterkünfte von Geflüchteten, reißen nicht selbst muslimischen Frauen den hijab oder jüdischen Männern die Kippa vom Kopf, sie jagen vielleicht nicht selbst polnische oder rumänische Europäerinnen, greifen vielleicht nicht selbst schwarze Deutsche an – sie hassen und verletzen nicht unbedingt selbst. Sie lassen hassen.
Ist sicher so - aber Deutschland hat einen Gutmenschen-Fehler: Eine Minderheit ist doof und kriminell, dann kommen Gutmenschen und schränken Bürgerrechte für alle ein - kapieren nicht, warum das in Wirklichkeit geschieht, gibt ja auch Vorwände - oder lassen es widerspruchslos geschehen, akzeptieren das: 1 oder 2 Attentate (bei der Schaffung des Gesetzes vermutlich in Frankreich), BND-Gesetz. Kinderpornografie, Überwachung. Facebook-Hasskommentare, Einschränkung der Meinungsfreiheit für alle? Wer kann bei entsprechenden Gesetzen und Maßnahmen zwischen Hasskomentar und sachlicher Kritik unterscheiden, wer traut sich letzteres noch? Auch und vor allem bei sachlicher Kritik an Flüchtlingspolitik und negativem Verhalten von Flüchtlingen wird oft die gutmenschliche Nazikeule geschwungen. Oft von Leuten, die damit nicht direkt umgehen müssen (Flüchtlingsversorgung, Nachbarschaft etc.) und so eine "rosa-soziale" Brille, wenn nicht gar Filzbrille tragen. Nicht alle Flüchtlinge sind nett, sozial, bemühen sich.

Das ehe ich als Gefahr, wenn man Facebok-Kommentare zu hochspielt. Hat Frau Emcke nicht wortwörtlich getan, aber in die Kerbe geschlagen - vmtl. vor unbeteiligten Dritten (Bildungsbürgern). Sehr mutig und zielführend, Frau Emcke. Man kann das Radio oder Facebook auch abschalten - anstatt in den Medien allen und jeden Mist breitzulatschen. Das Internet drängt sich niemand auf und Facebook wird die Zivilisation nicht gefährden. Die weitere Einschränkung von Bürgerrechten jedoch die Reste unsere Demokratie.

EDIT: Es ging mir rein um die Rede an sich, die Person Emcke oder deren bisheriges Wirken und Handeln war wohl nicht das Thema dessen, der gepostet hat (spiralnebelverdreher), und ich sehe das auch als anderes Thema oder eine Erweiterung.

EDIT2: Diese Rede auf einer AFD-, NPD- oder Pegida-Veranstaltung gehalten wäre bewunderungswürdig - so war sie wohl Wasser in den Rhein. :wink:

EDIT3: Bevor ich für den Gebrauch des Schubkastens "Gutmensch" kritisiert werde, meine persönliche Definition: Idealistische, dabei Tatsachen übersehende Philanthropen, die mit dem Po mehr einreißen als sie mit dem Händen aufbauen, dabei andere mit Totschlagargumenten nerven oder sinnlos einschränken. Oftmals als Außenstehende, die die oft schmutzige Realität nicht kennen - oder an dieser aus etwas Abstand verdienen - oder Menschen, denen die Realität einfach nicht in's Weltbild passt. Für einen anderen "Fachteminus" wäre ich dankbar, bis dahin passt es so.
Zuletzt geändert von BenutzerGa4gooPh am 28.10.2016 11:23:28, insgesamt 15-mal geändert.

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ralli
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Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von ralli » 28.10.2016 09:45:56

Auf jeden Fall befindet sich Carolin Emcke jetzt in guter Gesellschaft, wie ein kleiner Auszug früherer Preisträger belegt:

Albert Schweitzer (1951)

Martin Buber (1953)

Hermann Hesse (1955)

Karl Jaspers (1958)

Carl Friedrich von Weizsäcker (1963)

Ernst Bloch (1967)

Alexander Mitscherlich (1969)

Marion Gräfin von Dönhoff (1971)

Club of Rome (1973)

Astrid Lindgren (1978)

Jürgen Habermas (2001)

und und und ....

Auch die Laudatoren lesen sich wie das Who is Who.

Dennoch halte ich Preisverleihungen per se für fragwürdig. Meist werden sie von Institutionen oder ganzen Branchen ausgelobt und ins Leben gerufen, um sich selbst zu feiern und zu inszenieren. Auch die Qualität der Preisverleihungen noch einigermaßen anerkannter Auszeichnungen wie der Nobelpreis hat stark nachgelassen. Aber diese Entwertung ist auch nur ein Spiegel des aktuellen Mainstreams und des herrschenden Zeitgeistes. Daran erkenne ich einen Zerfall unserer Kultur. Hedonistisch hat der Mensch schon immer gelebt und überwiegend, wenn er die Möglichkeit dazu hatte, Unlust zuvermeiden, das auch getan. Das Ergebnis ist unsere augenblickliche Spaßgesellschaft. Dabei wird unser Bedürfnis, nach Lust zu streben, instrumentialisiert durch ein geschicktes Ablenkungsmanagement durch die Unterhaltungsbranche (In diesem Fall auch der Buchhandel). Das ist Kapitalismus pur.

Die Motivlage der Jury hat sich mir in den letzten Jahren auch nicht immer erschlossen. Das die dem Zeitgeist geschuldet, eine wesentlich andere ist, als in den Anfängen und ersten Jahren, ist mir auch klar. Schon der Sponsor (ich glaube der deutsche Börsenverein) läßt auch auf ökonomische Interessen und Ziele schließen.
Wer nicht lieben kann, muß hassen. Wer nicht aufbauen kann muß zerstören. Wer keine Brücken baut, muß spalten.

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hikaru
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Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von hikaru » 28.10.2016 11:29:12

ralli hat geschrieben:Carolin Emckes Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises 2016 ist (für mich) eine Sternstunde für Menschenrechte, Menschenwürde, Toleranz und der Freiheit einer liberalen, offenen dialogfähigen Gesellschaft. Sie ist auch ein Apell gegen Hass, der täglich unser menschliches Miteinander vergiftet.
Sie würde sich sicher freuen, wenn ihre Rede so wahrgenommen wird. Und du scheinst nicht der einzige zu sein, der die Rede so auffasst.
Aber in meinen Augen wird die Rede diesen Ansprüchen nicht gerecht.
ralli hat geschrieben:Jeder neu geborene Mensch wird frei geboren und ist mit der Aura und dem Schutz der Menschenwürde versehen. Er muß sie sich weder verdienen oder erkämpfen. Und Menschenrechte sind an das Menschsein gebunden und daher unveräußerlich.
Eben das sehe ich nicht als Selbstverständlichkeit an. Dieser Zustand musste und muss jeden Tag hart erkämpft werden, indem man sich gegen die Erosion der Menschenrechte zur Wehr setzt.
ralli hat geschrieben:Es ist unfair und unredlich, dieses anzuzweifeln oder in Frage zu stellen. Denn Menschenrechte und Menschenwürde sind unantastbar und unverhandelbar.
Nein, ist es nicht. Es mag für dich unfair und unredlich sein, die Unveräußerlichkeit der Menschenrechte anzuzweifeln (für mich übrigens auch). Aber wir sehen Tag für Tag, dass sie gebrochen werden und dass darum im politischen Betrieb gefeilscht wird.
Sie sind also offensichtlich nicht unantastbar und unverhandelbar. Und das ist nicht meine persönliche Meinung, sondern eine Tatsachenbeobachtung die eigentlich jeder teilen müsste, der mit offenen Augen durch die Welt geht. Wir mögen das bedauern, aber vor der hässlichen Realität die Augen zu verschließen hilft nicht weiter.
ralli hat geschrieben:Aufgemerkt @hikaru, und hier kommen von Frau Emcke brauch- und anehmbare Lösungen, die ganz klar und eindeutig zum Handeln auffordern:
Was wir tun können?

»Sprechend und handelnd schalten wir uns in die Welt der Menschen ein, die existierte, bevor wir in sie geboren wurden«, schrieb Hannah Arendt in der Vita Activa, »und diese Einschaltung ist wie eine zweite Geburt, in der wir die nackte Tatsache des Geborenseins bestätigen, gleichsam die Verantwortung dafür auf uns nehmen.«
Wie sollen wir uns einschalten? Was müssen wir sagen und tun, um die gesellschaftlichen Probleme zu lösen?
Wir dürfen uns nicht wehrlos und sprachlos machen lassen.
Wie erreichen wir das?
Dazu braucht es nur Vertrauen in das, was uns Menschen auszeichnet: die Begabung zum Anfangen.
Was ist diese "Begabung zum Anfassen" genau und wie hilft sie uns am konkreten Beispiel, gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen?
Wir können die Verkrustungen wieder aufbrechen, die Strukturen, die uns beengen oder unterdrücken, auflösen, wir können austreten und miteinander suchen nach neuen, anderen Formen.
Wie genau tun wir das?

Mir ist das alles zu unscharf. Es sind Allgemeinplätze, die sicher gut klingen, aber sie treffen keine Ausagen darüber, wie genau das Ziel zu erreichen ist. Keiner kann daraus exakte Handlungsanweisungen ableiten. Und auch auf die Gefahr hin, das ich mich jetzt wieder einer mechanistischen Weltsicht schuldig mache: Ich hätte hier gern etwas auf dem Niveau von Programmcode:

Code: Alles auswählen

Wenn Aktion A ausgeführt wird, dann kommt aufgrund von Zusammenhang B Prozess C in Gange.
Prozess C erzeugt als Ausgabe die gewünschte Veränderung D.
Jeder Zusammenhang einer solchen Handlungsanweisung ließe sich unabhängig und sachlich auf Plausibilität prüfen. Und am Ende könnte man ein Urteil fällen, das zu dem Schluss kommt: "Ja, das funktioniert.", oder: "Nein, das funktioniert nicht."
Im Ersten Fall geht man die Umsetzung des Programms an, im zweiten Fall sucht man nach Bugfixes oder Alternativen.

Alles das weniger präzise ist lässt zu viel Interpretationsspielraum. Und weil sich dann jeder etwas anderes vorstellt finden zwar alle den Vorschlag ganz toll, aber er lässt sich nicht umsetzen, weil zwar alle an einem Strick ziehen, aber jeder in eine andere Richtung.
ralli hat geschrieben:Was die andauernden Forderungen nach Lösungen angeht, so möchte ich schließen und sagen:

Wir müssen nicht immer wieder den uneinlösbaren Anspruch erheben, was die Gesellschaft uns geben soll oder zu geben hat, sondern uns ernsthaft darum bemühen, was wir bereit sind, der Gesellschaft zu geben.
Wir brauchen aber funktionierende Lösungen für gesellschaftliche Probleme, wenn wir eine bessere Gesellschaft aufbauen wollen. Ich habe keine anzubieten, denn meine Gedankenspiele zu irgendwelchen Lösungen zerschellen immer spätestens an der zweiten Bande, wenn Partikularintessen und die menschliche Natur ins Spiel kommen.
ralli hat geschrieben:Wenn wir uns darum bemühen, jeder einzelne für sich, dann schaffen wir die Wende. Wir sollten ins Gelingen verliebt sein und das uns alles Verbindende wahrnehmen, dann ist mir um die Zukunft nicht bange.
Genau diese Sichtweise halte ich für Selbstbetrug, denn nur weil sich jeder bemüht heißt es noch lange nicht, dass alle (oder auch nur eine kritische Mehrheit) die selben Ziele verfolgen würden.
ralli hat geschrieben:@hikaru entschuldige bitte, das ich Dich im Eifer des Gefechtes so angegangen bin. Aber das Wort "Geschwurbel" ist Deiner Intelligenz nicht würdig und eine solche Ausdrucksweise hast Du auch nicht nötig! Die Wertbeladenheit dieses Wortes ist schon arg herabsetzend, meinst Du nicht? Und bei aller sachlichen Kritik hat das Caroline Emcke nicht verdient.
Für mich ist das Wort nicht herabsetzend. Ich sehe es lediglich als Ausdruck dafür, dass ein Text in seinem Inhalt und/oder seiner Länge nicht den vom Autor beabsichtigten oder vom Rezipienten erwarteten Anspruch erfüllt.

Jana66 hat geschrieben:[..] z. B. verstehe ich Frau Emckes Worte
Menschenrechte sind kein Nullsummenspiel. Niemand verliert seine Rechte, wenn sie allen zugesichert werden. Menschenrechte sind voraussetzungslos. Sie können und müssen nicht verdient werden. Es gibt keine Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit jemand als Mensch anerkannt und geschützt wird. Zuneigung oder Abneigung, Zustimmung oder Abscheu zu individuellen Lebensentwürfen, sozialen Praktiken oder religiösen Überzeugungen dürfen keine Rolle spielen. Das ist dochder Kern einer liberalen, offenen, säkularen Gesellschaft.
so:
Um Menschenrechte muss man nicht betteln, sie stehen Jedem zu. Wenn man darum betteln muss, hat sich die Gesellschaft zu ändern oder muss verändert werden!
Mir fehlt im Emcke-Zitat bzw. in der Rede als Ganzes dein zweiter Satz.
Jana66 hat geschrieben:Frau Emcke spricht den Säkularstaat an. Hat mir gefallen. Arabische Staaten, in denen Frieden herrscht oder herrschte, dort war es doch häufig so: Machthabende Sunniten unterdrücken Schiiten. Im Nachbarland ist es umgekhrt. Nach ameikanischer Invasion im Irak haben sich oder besser wurden per Marionettenregierung auch nur die Unterdrückungsverhältnisse umgekehrt. Also den verfassungsmäßig garantierten Säkularstatt finde ich wichtig und bin Frau Emcke für die kleine Erinnerung daran und das veranlasste Nachdenken darüber dankbar.
Eine freie, säkulare, demokratische Gesellschaft ist etwas, das wir lernen müssen. Immer wieder. Im Zuhören aufeinander. Im Nachdenken über einander. Im gemeinsamen Sprechen und Handeln. Im wechselseitigen Respekt vor der Vielfalt der Zugehörigkeiten und individuellen Einzigartigkeiten. Und nicht zuletzt im gegenseitigen Zugestehen von Schwächen und im Verzeihen.
Kommt leider nur kurz und undeutlich weg.
Ich halte diese Punkte für ebenso wichtig wie du und Frau Emcke, aber ich habe Zweifel daran, ob das ein universelles Modell für alle Menschen sein kann.
Der arabische Raum ist vielleicht einfach noch nicht so weit. Ich bin schon lange der Ansicht, dass dort ein Ereignis bzw. eine Strömung wie die westliche Aufklärung fehlt. Wichtig scheint mir dabei aber zu sein, dass diese Strömung aus der Kultur selbst heraus entsteht und nicht aus einer anderen Kultur importiert wird.
Die ostasiatische Einstellung zu Demokratie und Rechtsstaat ist wesentlich pragmatischer als unsere Westliche. Wir tendieren ja dazu, diese Prinzipien als heilig anzusehen, weil nur auf dieser Grundlage die individuellen Freiheiten geschützt werden können, die in unserer Kultur über allem stehen. Die individuellen Freiheiten treten aber in den ostasiatischen Kulturen hinter das Wohl größerer Gebilde (Familie, Firma, Staat, etc.) zurück. Wenn Demokratie und Rechtsstaat dazu taugen, diese Gebilde zu unterstützen, dann werden sie gern angenommen. Falls sie eher hinderlich sind, dann wird eben etwas anderes probiert.
Jana66 hat geschrieben:Dann noch ein Gedanke zu Rede:
Sie stehen vielleicht nicht selbst auf der Straße und verbreiten Angst und Schrecken, die Populisten und Fanatiker der Reinheit, sie werfen nicht unbedingt selbst Brandsätze in Unterkünfte von Geflüchteten, reißen nicht selbst muslimischen Frauen den hijab oder jüdischen Männern die Kippa vom Kopf, sie jagen vielleicht nicht selbst polnische oder rumänische Europäerinnen, greifen vielleicht nicht selbst schwarze Deutsche an – sie hassen und verletzen nicht unbedingt selbst. Sie lassen hassen.
Ist sicher so - aber Deutschland hat einen Gutmenschen-Fehler: Eine Minderheit ist doof und kriminell, dann kommen Gutmenschen und schränken Bürgerrechte für alle ein - kapieren nicht, warum das in Wirklichkeit geschieht, gibt ja auch Vorwände - oder lassen es widerspruchslos geschehen, akzeptieren das: 1 oder 2 Attentate (bei der Schaffung des Gesetzes vermutlich in Frankreich), BND-Gesetz. Kinderpornografie, Überwachung. Facebook-Hasskommentare, Einschränkung der Meinungsfreiheit für alle? Wer kann bei entsprechenden Gesetzen und Maßnahmen zwischen Hasskomentar und sachlicher Kritik unterscheiden, wer traut sich letzteres noch? Auch und vor allem bei sachlicher Kritik an Flüchtlingspolitik und negativem Verhalten von Flüchtlingen wird oft die gutmenschliche Nazikeule geschwungen. Oft von Leuten, die damit nicht direkt umgehen müssen (Versorgung, Nachbarschaft etc.) und so eine "rosa-soziale" Brille, wenn nicht gar Filzbrille tragen. Sehe ich als Gefahr, wenn man Facebok-Kommentare zu hochspielt. Hat Frau Emcke nicht wortwörtlich getan, aber in die Kerbe geschlagen - vmtl. vor unbeteiligten Dritten (Bildungsbürgern). Sehr mutig und zielführend, Frau Emcke. Man kann das Radio oder Facebook auch abschalten - anstatt in den Medien allen und jeden Mist breitzulatschen. Das Internet drängt sich niemand auf und Facebook wird die Zivilisation nicht gefährden. Die weitere Einschränkung von Bürgerrechten jedoch die Reste unsere Demokratie.
Ich denke, die ganze Politik, nicht nur, aber insbesondere zum Flüchtlingsthema, ist viel zu sehr mit Emotionen beladen, als dass da noch irgendwelche sachlichen gesellschaftlichen Diskurse mit zählbaren Ergebnissen zu erwarten sind.
Das ist genau der Effekt den Populisten erzielen wollen und den sie erzielen wenn sowohl genug Bürger sich von ihnen einlullen lassen, als auch die etablierten politischen Parteien populistische Methoden übernehmen.
Das zersetzt auf Dauer demokratische Strukturen.

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Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von BenutzerGa4gooPh » 28.10.2016 11:41:06

Säkularstaat:
hikaru hat geschrieben:Ich halte diese Punkte für ebenso wichtig wie du und Frau Emcke, aber ich habe Zweifel daran, ob das ein universelles Modell für alle Menschen sein kann.
Hhm. Das Modell hat sich HIER einigermaßen bewährt. Mir fällt kein anderes ein, damit verschiedene Religionen einigermaßen gut, zumindest friedlich zusammenleben. Aber es mag sicher noch andere Modelle (Konfuziianismus?) geben, da kenne ich mich nicht aus.
hikaru hat geschrieben:Ich denke, die ganze Politik, nicht nur, aber insbesondere zum Flüchtlingsthema, ist viel zu sehr mit Emotionen beladen, als dass da noch irgendwelche sachlichen gesellschaftlichen Diskurse mit zählbaren Ergebnissen zu erwarten sind.
Das ist genau der Effekt den Populisten erzielen wollen und den sie erzielen wenn sowohl genug Bürger sich von ihnen einlullen lassen, als auch die etablierten politischen Parteien populistische Methoden übernehmen.
Das zersetzt auf Dauer demokratische Strukturen.
Sind Populisten nur AFD, NPD, Pegida - oder auch Gutmenschen nach meiner Definition? Einseitig berichtende Medien? Einseitig quatschende GroKo-Politiker? CETA wurde wohl schlecht dem Volk erläutert - und Gutmenschen kümmern sich mehr oder fast ausschließlich um "soziale Probleme", natürlich punktuell, nicht prinzipiell: TTIP Geheimverhandlungen interessieren nicht, BND-Gesetz ist vergessen.

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Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von Luxuslurch » 28.10.2016 12:00:31

Jana66 hat geschrieben:Sind Populisten nur AFD, NPD, Pegida - oder auch Gutmenschen nach meiner Definition?
Es gibt Definitionen von Populismus. Das beantwortet die Frage.
Wikipedia hat geschrieben:Populismus ist geprägt von der Ablehnung von Eliten und Institutionen, Anti-Intellektualismus, einem scheinbar unpolitischen Auftreten, Berufung auf den „gesunden Menschenverstand“ (common sense), Polarisierung, Personalisierung und Moralisierung.
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Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von hikaru » 28.10.2016 12:02:36

Jana66 hat geschrieben:Säkularstaat:
hikaru hat geschrieben:Ich halte diese Punkte für ebenso wichtig wie du und Frau Emcke, aber ich habe Zweifel daran, ob das ein universelles Modell für alle Menschen sein kann.
Hhm. Das Modell hat sich bewährt.
... bei uns im Westen.
In der muslimisch geprägten Welt bin ich mir aber nicht sicher, dass das wirklich funktioniert, denn anders als die Bibel hat der Koran den Anspruch, nicht nur religiöse sondern auch weltliche Leitlinie zu sein.
Ich denke für einen Christen ist es daher wesentlich einfacher in einem säkularen Staat zu leben als für einen Muslim.
Jana66 hat geschrieben:Mir fällt kein anderes ein, damit verschiedene Religionen einigermaßen gut, zumindest friedlich zusammenleben.
Mir auch nicht. Mit Konfuzius und anderen Geistesgelehrten aus dem Raum kenne ich mich nicht gut genug aus, um mir ein Urteil zu bilden. Die Ostasiaten die ich kenne sind selbst allle recht säkular - keine Ahnung ob das repräsentativ ist.
Jana66 hat geschrieben:Sind Populisten nur AFD, NPD, Pegida - oder auch Gutmenschen nach meiner Definition?
Ich bin mir deiner Gutmenschen-Definition nicht sicher, daher kann ich das nicht beantworten.
Jana66 hat geschrieben:Einseitig berichtende Medien? Einseitig quatschende GroKo-Politiker?
Ich denke, einseitige Interessenvertretung, egal ob durch Medien oder Politik ist nicht grundätzlich populistisch, aber natürlich trotzdem schädlich für demokratische Strukturen.
Populistisch wird es in meinen Augen immer dann, wenn unabhängig von Sachargumenten durch gezielten Appell an die Emotionen des Publikums versucht wird, für Zustimmung zu werben. Insofern sehe ich in Merkels "Wir schaffen das." Populismus, denn der Satz kann in seiner Allgemeinheit nur auf Emotionen zielen. Und auch bei Gabriel vermeine ich viel Populismus zu sehen, allerdings bin ich mir bei ihm nicht sicher ob das wirklich gezielt oder nur Ausdruck seines ohnehin sehr emotionalen Charakters ist.

TomL

Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von TomL » 28.10.2016 12:35:39

An dieser Diskussion gefällt mir überhaupt nicht, dass "ihr" solch oppositionellen Positionen einnehmt, begleitet von Vorwürfen, anschließend deren Relativierung, darauf Rechtfertigung und Gegenvorwurf, usw..... und das vor dem Hintergrund, dass uns allen die Mängel offensichtlich sind und das es darüber gar keinen großen Unterschied in unserem gesellschaftlichen/politischen Fazit gibt. Und in der groben Ausrichtung der von uns allen als ideal angesehenen Werte sind wir uns doch auch einig.

Der Grund für diese Differenzen ist m.E. hikarus gnadenlose Bilanz über die menschliche Natur auf der einen Seite ... und damit hat er ohne jeden Zweifel Recht. Und auf der oppositionellen Seite der unbedingte Glaube an das Gute im Menschen... also so wie uns das die betroffene Rede erklärt und es sicher Millionen Menschen gibt, die dieses ideal anstreben und dafur kämpfen. Auch die haben m.M.n. ohne jeden zweifel Recht. Beides gibt es auf dieser Welt. Und vielleicht sogar heute in einem ausgewogenem Verhältnis.

Für meinen von jeglichen intellektuellen Ballast befreiten Verstand ist allerdings ein Standpunkt argumentatorisches Geschwurbel, wenn er das schlechte im Menschen als die ultimative und einzige Kraft anerkennt. Wenn das tatsächlich so wäre, dann wäre es vielleicht wirklich das beste, dieser Planet würde gesprengt werden, um Platz für eine intergalaktische Autobahn zu schaffen. Aber auf der anderen Seite ist es für mich das gleiche Geschwurbel, wenn eine Rede schlichtweg ignoriert, dass in JEDEM von uns das genetische Potential besteht, durch Prägung, Erziehung und Umwelteinfluss zu einem (i.ü.S.) Idi Amin zu werden.

Ich glaube nicht, dass die StarTreck-Gesellschaftsform unerreichbare Utopie ist. Wir haben uns immer weiter und weiter entwickelt. In den westlichen Staaten ist Sklaverei abgeschafft. Irgendwann werden wir -das glaube ich- Menschenrechte für Tiere haben. Wir entwickeln uns auch heute ständig weiter. Irgendwann werden wir erkennen, dass wir uns in Geiselhaft einiger weniger Menschen befinden .... Regierungspolitiker, Konzern-Vorstandsvorsitzende..... die letztendlich für millionenfachen Mord, Tod, Leid und für die Flucht von weiteren Millionen Menschen verantwortlich sind. Vielleicht braucht es einfach eine Neuauflage der französischen Revolution .... oder einen Anstoß von (ganz weit) ausserhalb.... oder einer KI wird unser Wohlergehen anvertraut,aus der Erkenntnis heraus, dass unsere Natur uns sonst selber im Weg steht.... oder vielleicht auch nur den nächsten evolutionären Schritt zu tun, der uns in unseren eigenen subjektiven Überzeugung in die Nähe der StarTreck-Gesellschaft bringt.

Ich bin ebenfalls davon überzeugt, wie hikaru, die Kugel läuft im Moment unaufhaltsam den Berg hinunter. Das dauert noch an.... da bin ich sicher. Es wird also noch deutlich schlechter für unsere Kinder und Enkel werden. Aber muss es dass nicht auch, damit es danach anders wird? Und ich bin sicher, irgendwann ist das von Frau Emcke beschriebene Ideal nicht mehr nur ein Ideal mit einiger Anhängern, sondern Realität für alle. Beide Seiten existieren bereits heute nebeneinander, die gute und die schlechte. Würde sich das gute nicht durchsetzen, wäre das für mich Stillstand in unserer Entwicklung. Setzt sich hingegen das schlechte durch, dann wirds halt hier dunkel .... und die nächste Auseinandersetzung findet mit Speeren und Keulen statt. Und genau das glaube ich nicht.

Jm2c
Zuletzt geändert von TomL am 28.10.2016 12:38:05, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von Luxuslurch » 28.10.2016 12:36:06

hikaru hat geschrieben:Populistisch wird es in meinen Augen immer dann, wenn unabhängig von Sachargumenten durch gezielten Appell an die Emotionen des Publikums versucht wird, für Zustimmung zu werben
Das "unabhängig von Sachargumenten" musst du da aber schon fett rausstreichen. Gerade die postfaktische Attitüde ("Mir doch egal, ob's stimmt, ich kann sagen, was ich will") ist ein essentielles Merkmal von Populismus. Einfach nur an Emotionen zu appelieren, reicht da nicht aus.
hikaru hat geschrieben:In der muslimisch geprägten Welt bin ich mir aber nicht sicher, dass das wirklich funktioniert, denn anders als die Bibel hat der Koran den Anspruch, nicht nur religiöse sondern auch weltliche Leitlinie zu sein.
Ich denke für einen Christen ist es daher wesentlich einfacher in einem säkularen Staat zu leben als für einen Muslim.
Da würde mich mal interessieren, woher du diese Idee hast. Beide Bücher sind in einer Zeit geschrieben, als es praktisch keinen erkennbaren Unterschied für den Otto-Normalverbraucher gab. Politik und Religion zu trennen ist ein sehr, sehr spätes Gedankengut und hat seine Quellen nicht in der Bibel oder im Koran.
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Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von BenutzerGa4gooPh » 28.10.2016 12:44:14

Luxuslurch hat geschrieben:Es gibt Definitionen von Populismus. Das beantwortet die Frage.

Wikipedia hat geschrieben:
Populismus ist geprägt von der Ablehnung von Eliten und Institutionen, Anti-Intellektualismus, einem scheinbar unpolitischen Auftreten, Berufung auf den „gesunden Menschenverstand“ (common sense), Polarisierung, Personalisierung und Moralisierung.
Definitionen sind sinnvolle, zweckmäßige, rein willkürliche FESTLEGUNGEN, die nicht bewiesen werden können oder müssen. Habe ich in Mathe gelernt. Also nichts Unumstößliches, sobald es sinnvollere Festlegungen gibt ... Siehe gleiche Fachterminis unterschiedlicher Wissenschaften. Oder Änderungen von Definitionen nach gesellschaftlichen Veränderungen, Zunahme von Fachwissen, Unterschiede gleicher Begriffe in verschiedenen philosophischen Theorien. Wikipedia ist sicher nicht der liebe Gott und Atome waren mal unteilbar - wie der Name immer noch sagt. -ismen sind oft Totschlagargumente.
Wikipedia :mrgreen: sagt:
Da Ismen (Plural von Ismus) häufig ein Kollektiv von Anhängern einer theoretischen Bewegung bzw. Ideologie bezeichnen (z. B. Sozialisten, Liberalisten, Putschisten), verwendet man diese Form von Adjektiven häufig auch abwertend oder aufwertend als Zeichen der Gruppenzugehörigkeit, um sich mental von etwas zu distanzieren (wie z. B. imperialistisch statt imperial) oder sich mit etwas zu identifizieren. Außerdem verwendet man das Suffix, um jemanden zu charakterisieren oder zu klassifizieren (Egoismus, Narzissmus).
Zuletzt geändert von BenutzerGa4gooPh am 28.10.2016 12:57:27, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von Luxuslurch » 28.10.2016 12:56:12

Und genau so fängt Postfaktizität an...Die meisten Definitionen über unsere Wirklichkeit im sind intersubjektiv, und nicht willkürlich! Die meisten Menschen können sich nunmal darauf einigen. Und es gibt für jeden nachvollziehbare Argumente dafür. Und gerade mathematische Axiome werden überhaupt gar nicht begründet. 1+1 ist 2, da kannste noch so lange auf "Meinungsfreiheit" pochen. Wie sagte Sascha Lobo erst letztens sinngemäß? Es gibt Meinungsfreiheit, aber keine Faktenfreiheit.
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Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von hikaru » 28.10.2016 13:28:30

TomL hat geschrieben:An dieser Diskussion gefällt mir überhaupt nicht, dass "ihr" solch oppositionellen Positionen einnehmt, begleitet von Vorwürfen, anschließend deren Relativierung, darauf Rechtfertigung und Gegenvorwurf, usw..... und das vor dem Hintergrund, dass uns allen die Mängel offensichtlich sind und das es darüber gar keinen großen Unterschied in unserem gesellschaftlichen/politischen Fazit gibt. Und in der groben Ausrichtung der von uns allen als ideal angesehenen Werte sind wir uns doch auch einig.
Damit hat du sicher Recht. Danke für die kalte Dusche!
TomL hat geschrieben:Für meinen von jeglichen intellektuellen Ballast befreiten Verstand ist allerdings ein Standpunkt argumentatorisches Geschwurbel, wenn er das schlechte im Menschen als die ultimative und einzige Kraft anerkennt.
Sehe ich genauso. Aber das was du hier beschreibst ist nicht mein Standpunkt. Um ehrlich zu sein mag ich schon die wertenden Begriffe "gut" und "schlecht" in dem Zusammenhang nicht, aber der Einfachheit halber will ich es dabei belassen, zumal vermutlich alle wissen, was du damit meinst.
Menschen haben nun mal unterschiedliche Charaktereigenschaften. Und ich glaube, dass in unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen verschiedene Charaktereigenschaften zum Tragen kommen. Diese Ebenen definieren sich für mich in erster Linie über ihre Größe (z.B. Familie, Freunde, Gemeinde, Staat) und ein ganz zentraler Punkt in dieser Betrachtung ist für mich die Überschreitung der Dunbar-Zahl [1], also der Punkt an dem ein Einzelner mit Menschen kooperieren muss, die er nicht persönlich kennt.
Ich denke in Gemeinschaften unterhalb der Dunbar-Zahl überwiegen die "guten" Eigenschaften, in größeren Gemeinschaften die "schlechten". Das Dumme ist eben, dass alle für gesellschaftliche Prozesse relevanten Gesellschaftsebenen oberhalb der Dunbar-Zahl liegen.
Läge die Dunbar-Zahl nicht bei 150 sondern bei 10 Milliarden, dann würden sich vermutlich alle Menschen als einander zugehörig fühlen und die meisten unserer Probleme würden sich in Luft auflösen. Mit einer kleinen Dunbar-Zahl kommt es aber zwangsläufig zu Gruppenbildungen. Und wenn es dann Interessengegensätze zwischen verschiedenen Gruppen gibt, dann ist man viel eher geneigt, statt einen Kompromiss anzustreben der beiden nur mäßig gefällt aber mit dem beide leben können, das für die eigene Gruppe optimale Ergebnis zu erzielen, gern auch auf Kosten der anderen Gruppen.

Luxuslurch hat geschrieben:Das "unabhängig von Sachargumenten" musst du da aber schon fett rausstreichen. Gerade die postfaktische Attitüde ("Mir doch egal, ob's stimmt, ich kann sagen, was ich will") ist ein essentielles Merkmal von Populismus. Einfach nur an Emotionen zu appelieren, reicht da nicht aus.
Ja.
Luxuslurch hat geschrieben:
hikaru hat geschrieben:In der muslimisch geprägten Welt bin ich mir aber nicht sicher, dass das wirklich funktioniert, denn anders als die Bibel hat der Koran den Anspruch, nicht nur religiöse sondern auch weltliche Leitlinie zu sein.
Ich denke für einen Christen ist es daher wesentlich einfacher in einem säkularen Staat zu leben als für einen Muslim.
Da würde mich mal interessieren, woher du diese Idee hast. Beide Bücher sind in einer Zeit geschrieben, als es praktisch keinen erkennbaren Unterschied für den Otto-Normalverbraucher gab. Politik und Religion zu trennen ist ein sehr, sehr spätes Gedankengut und hat seine Quellen nicht in der Bibel oder im Koran.
Ich habe die falschen Begriffe verwendet, entschuldige bitte! Ich meinte nicht Bibel und Koran sondern Christentum und Islam.
Soweit ich weiß gibt es im Christentum nichts was der Scharia gleich kommt, also eine Art Regelwerk das sich neben dem religiösen Leitfaden (Bibel bzw. Koran) um die weltlichen Belange der Anhänger kümmert. Ein überzeugter Christ hat im Allgemeinen kein Problem damit, sich in weltlichen Dingen einem beliebigen Gesetzbuch zu unterwerfen, z.B. der Verfassung seines jeweiligen Staates, denn religiöses und weltliches Regelwerk sind von Ausnahmen abgesehen berührungsfrei.
Ein überzeugter Muslim steht in weltlichen Belangen im Konflikt zwischen Scharia und dem Gesetz des Säkularstaates. Der Islam ist in dieser Hinsicht also umfassender als das Christentum, denn er ist nicht konfliktfrei (bzw. -arm) säkularisierbar.


[1]https://de.wikipedia.org/wiki/Dunbar-Zahl

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Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von Luxuslurch » 28.10.2016 13:41:41

hikaru hat geschrieben:Soweit ich weiß gibt es im Christentum nichts was der Scharia gleich kommt, also eine Art Regelwerk das sich neben dem religiösen Leitfaden (Bibel bzw. Koran) um die weltlichen Belange der Anhänger kümmert.
Nein? Ich dachte, du warst im Konfirmationsunterricht :-) 10 Gebote und darauf folgende Abschnitte in Exodus 21 ff. sind da schon sehr deutlich.
Das sind die Rechtsvorschriften, die du ihnen vorlegen sollst: (lange Liste mit Zivil- und Strafrecht folgt)
Religiöse und weltliche Macht sahen sich schon immer mehr oder weniger als Konkurrenten. Heute ist das hierzulande etwas genauer getrennt, aber auch heutzutage lassen sich genügend überzeugte Christen finden, die aus ihrer religiösen Überzeugung den Staat ablehnen. Spontan denke ich da an die 12 Stämme.
Richtig ist, dass es im "christlich geprägten Abendland" deutlich mehr Staaten gibt, in denen Glaubensfreiheit existiert. Aber dass das dem Christentum zu verdanken wäre, sehe ich so nicht. Genauso wenig wie ich muslimische Glaubensgemeinschaften als Hindernis für säkulare Strukuren sehe. Viele Gläubige arrangieren sich mit dem, was da ist, solange sie noch tun dürfen, wovon sie überzeugt sind.
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Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von hikaru » 28.10.2016 14:22:02

Luxuslurch hat geschrieben:10 Gebote und darauf folgende Abschnitte in Exodus 21 ff. sind da schon sehr deutlich.
Das sind die Rechtsvorschriften, die du ihnen vorlegen sollst: (lange Liste mit Zivil- und Strafrecht folgt)
Ach ja, die Mose-Bücher ...
Hatten die denn zu der Zeit als in Westeuropa die modernen Nationalstaaten und mit ihnen ihre Verfassungen entstanden den gesellschaftlichen Stellenwert, den heute noch die Scharia in weiten Teilen der islamisch geprägten Welt hat? Ich bin da offensichtlich nicht sattelfest genug.
Luxuslurch hat geschrieben:Richtig ist, dass es im "christlich geprägten Abendland" deutlich mehr Staaten gibt, in denen Glaubensfreiheit existiert. Aber dass das dem Christentum zu verdanken wäre, sehe ich so nicht.
Ich sehe auch nicht, dass die Glaubensfreiheit dem Christentum selbst zu verdanken ist. Aber vielleicht ist sie seinem nicht (mehr?) so weitreichenden Gültigkeitsanspruch zu verdanken.
Luxuslurch hat geschrieben:Genauso wenig wie ich muslimische Glaubensgemeinschaften als Hindernis für säkulare Strukuren sehe.
Ich denke das kann man nicht über eine Kamm scheren, während man es bei christlichen Glaubensgemeinschaften vielleicht kann, weil die Idee eines säkulären Staates die christlcihen Gemeinschaften wohl schon weit durchdrungen hat.
Wie gesagt, vielleicht ist es auch für den Islam nur eine Frage der Zeit, bis säkulare Ansichten die etablierte Norm sind. Im Moment sehe ich da aber keine Mainstream-Tendenz sondern bestenfalls eine Aufspaltung in verschiedene Lager.

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Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von Luxuslurch » 28.10.2016 14:45:10

hikaru hat geschrieben:Hatten die denn zu der Zeit als in Westeuropa die modernen Nationalstaaten und mit ihnen ihre Verfassungen entstanden den gesellschaftlichen Stellenwert, den heute noch die Scharia in weiten Teilen der islamisch geprägten Welt hat?
Vermutlich nicht. Aber darum ging es mir auch nicht. Es geht mir darum, dass ich diese monokausalen Schlussfolgerungen nicht nachvollziehen kann. Gerade Kultur (und ich zähle hier die Gesamtheit geteilter Wirklichkeit zur Kultur) ist überall auf der Welt dauernd in Bewegung, niemals richtig fassbar. Es gibt nicht, wie in Sid Meiers "Civilization", den einen richtigen Weg zu irgendeiner Errungenschaft. Insofern würde ich argumentieren, dass der politische Islam ("Islamismus") in vielen muslimischen Ländern zur heutigen Zeit nicht ein Punkt auf irgendeiner Entwicklungsskala ist, den wir schon lange überwunden haben, sondern dass es genau die Form ist, wie sich diese Nationen in der postkolonialen Welt aufstellen.

Ich sehe das auch nicht wertfrei! Das hierzulande verfügbare Ausmaß an individueller Freiheit ist enorm und das möchte ich auch gerne in Zukunft noch so sehen. Ich sage nur, dass es vor 100 Jahren anders aussah und in wiederum 100 Jahren auch im Iran oder Saudi Arabien auf einmal ganz anders aussehen kann.
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Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von TomL » 28.10.2016 17:15:27

hikaru hat geschrieben:
TomL hat geschrieben:Für meinen von jeglichen intellektuellen Ballast befreiten Verstand ist allerdings ein Standpunkt argumentatorisches Geschwurbel, wenn er das schlechte im Menschen als die ultimative und einzige Kraft anerkennt.
Sehe ich genauso. Aber das was du hier beschreibst ist nicht mein Standpunkt. Um ehrlich zu sein mag ich schon die wertenden Begriffe "gut" und "schlecht" in dem Zusammenhang nicht, aber der Einfachheit halber will ich es dabei belassen, zumal vermutlich alle wissen, was du damit meinst.
Meine Aussage war in diesem Kontext zu sehen:
hikaru hat geschrieben:Zunächst ist das einzige Recht das existiert das Recht des Stärkeren.
Ich hatte das so verstanden, dass Du mit dieser menschlichen Eigenschaft so zu handeln die Menscheit im allgemeinen charakterisierst. Erstens bin ich davon überzeugt, dass das kein Recht ist. Nur aus der Tatsache der Stärkere zu sein und dem enstprechenden Handeln leitet sich für mich nämlich überhaupt kein Recht ab, sondern es wird stattdessen konkret rechtlos gehandelt - nur bleibt das eben leider ungesühnt. Und zweitens glaube ich, dass beileibe nicht alle Menschen so handeln würden, auch dann nicht, wenn sie es könnten. Einfach deshalb, weil es diesen Unterschied von "gut" und "schlecht" verteilt auf uns Menschen gibt. Meines Erachtens wird im allgemeinen doch damit assoziert, dass sich der Stärkere das Recht herausnimmt, über Wohl und Unwohl des anderen zu entscheiden.... und das eben auch durchaus rücksichtslos und radikal, bis hin zu ultimativ. Allein diese Motivationslage und auch die Bereitschaft dazu genau so zu handeln, nur weil man das ungestraft tun kann und unbedingt als Gewinner daraus hervorgeht, beschreibt für mich allgemein das "schlechte im Menschen".... völlig unberücksichtigt von den eigentlichen subjektiven Beweggründen. Und ich gehe davon aus, dass 99% der Weltbevölkerung als unbetroffene Beobachter einer solchen hypothetischen Situation meine Einschätzung teilen würden. Ganz einfach deshalb, weil in uns allen ein persönliches Interesse am Schutz unserer eigenen physischen und psychischen Integrität verankert ist und wir mit Em­pa­thie, Verstand und Erkennen der körperlichen Ausdrucksweisen anderer auch fremde Empfindungen adaptieren können.

Aber trotzdem ist natürlich die Wertung in "gut" und "schlecht" gleichzeitig auch dilletantisch, weil es im Effekt immer auf die eigene Betroffenheit ankommt und diese Wertung damit relativ ist. Das heisst, auch Folter kann doch "gut" sein....oder? Zumindest für den, der foltert, wenn er dabei königliches Vergnügen empfindet. Damit ist das empfinden von "gut" und "schlecht" hier an dieser Stelle genau seitenverkehrt und für die 2 betroffenen Individuuen exakt entgegengesetzt zum Empfinden neutraler Beobachter. Allein die Frage bleibt: Wem hilft eine solche Diskussion? Verhindert sie nicht vielleicht sogar ein gemeinsam erarbeites und akzeptiertes Ergebnis? Zu 1: niemanden, zu 2: imho ja.

Deshalb glaube ich, dass es richtig ist, entgegengesetzt einer akademischen detailreicheren Betrachtung eine möglicherweise intellektuell stark vereinfachte Gut- und Schlechtwertung vorzunehmen..... einfach deshalb, weil die Mehrheit (vielleicht auch alle) Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit zum gleichen Resultat bei einer solchen Wertung kommen werden. Für mich ergibt sich daraus ein faktisches Ergebnis, was mir zur Festellung genügt, welcher Standpunkt der richtige ist und um gegen den anderen (das Schlechte) Stellung zu beziehen. Wir haben derzeit eine Realität, in der die einfachen Menschen die im Wesentlichen betroffenen sind. Ich halte es deshalb für wichtig, eine für alle verständliche Sprache zu sprechen, die mit allgemein anerkannten Parametern eine allgemein verständliche Basis schafft und die nicht den Grossteil der tatsächlich betroffenen Menschen vom Gespräch faktisch ausschließt.

An diesem Punkt spielen auch die Unterschiede in christlichen oder muslimischen Wertesystemen meiner Meinung nach überhaupt keine Rolle. Denn wenn ein Mensch Opfer ist, ist es völlig egal, welcher Religion er angehörig ist. Und die Religion und das dahinterstehende Wertesystem wird noch weitaus irrelevanter, wenn beide ein Opfer der gleichen Täter sind. Die gleichen Täter, die Krieg und Tod im nahen/mittleren Osten verursachen oder dafür verantwortlich sind, sind doch auch die, die hier unsere bislang sichere westliche Welt destabilisieren und gleichzeitig dabei unsere Demokratie beseitigen.

Du beklagst, dass Frau Emcke keine praktikablen Lösungen anbietet. Wie kann man jemanden vorwerfen, unwirkliche Lösungs-Ideen zu wirklichen Problemen zu haben? Ich würde nur jemanden vorwerfen, Lösungen resp. Veränderungen für unnötig zu erachten und sich überhaupt nicht an Ideen zu beteiligen. Für mich ist der erste Schritt zu künftigen Lösungen die Feststellung, das etwas überhaupt einer Lösung bedarf. Genau das erfüllen nach meinem Verständnis beide, sowohl Herr Mausfeld als auch Frau Emcke. Beide Standpunkte machen mir deutlich, das Dinge nicht so sind, wie sie eigentlich sein müssten. Beide Standpunkte fokussieren sich -so schätze ich das ein- prinzipiell auf die gleichen Defizite. Emcke vielleicht etwas mehr auf die menschliche (für mich heute symptomatische) Seite, Mausfeld ein wenig mehr auf die verursachende Seite. Aber beide Standpunkte vervollständigen das Puzzlewerk in meinem Gehirn, aus dem sich ein besseres Gesamtbild ergibt, als ich es zuvor hatte. Ich betrachte desktruktive Reaktionen auf eine vielleicht nicht-gute oder unzureichende Formulierung auf jeden Fall als eine Aktion, die möglicherweise verhindert, dass sich das als Trigger oder Initialzündung für eine bessere Anfangs-Idee erweist, die sich dann vielleicht sogar dynamisch weiterentwickeln könnte. Was einmal verworfen ist, ist schwer weiterzuentwickeln. Ich halte es deshalb immer für viel wichtiger, nicht die Schwächen hervorzuheben, sondern die Stärken herauszuarbeiten und zu verbessern, konstruktiv Verbindungen herzustellen, damit dann darüber irgendwann vielleicht die Schwächen gegenstandslos werden. Das, was sie sagt, gefälllt mir weitestgehend. Wo sie allerdings meiner Meinung nach völlig daneben liegt, ist ihre Einschätzung zum "Klima des Fanatismus und der Gewalt in Europa" . Da stellt sie Symptome als Ursachen da.... und da bin ich völlig anderer Meinung. Aber ansonsten betrachte ich ihre Werteinhalte als sehr ähnlich zu meinen.
hikaru hat geschrieben:Ich denke in Gemeinschaften unterhalb der Dunbar-Zahl überwiegen die "guten" Eigenschaften, in größeren Gemeinschaften die "schlechten". Das Dumme ist eben, dass alle für gesellschaftliche Prozesse relevanten Gesellschaftsebenen oberhalb der Dunbar-Zahl liegen.
Da denke ich, dass das nicht zwangsläufig so ist oder so sein muss. Für die Menschen oberhalb der Dunbar-Zahl empfinde ich keinesfalls mehr als nur Gleichgültigkeit und mangelndes Interesse. Aber der Gedanke, dass die zu meinen Ressourcen gehören könnten, käme mir jedenfalls nie in den Sinn. Und solange meine Meinung nicht von ausserhalb beeinflusst oder gemanage'd wird, bleiben alle Menschen oberhalb der Dunbar-Zahl für mich schlichtweg bedeutungslos, eben auch im Hinblick gesellschaftlicher Prozesse. Natürlich das immer vor dem Hintergrund, dass wir alle in unserer Umwelt im wesentlichen vergleichbar gestellt sind und es uns allen mehr oder weniger gleichgut geht. Und auch hier bin ich davon überzeugt, dass der Großteil der "einfachen" Menschen da keine abweichende Einstellung hat. Ich bleibe deshalb bei meinem Gedanken der "verursachenden Verantwortlichkeit" .... und ich habe eine Vorstellung davon, wer das ist...

maroc

Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von maroc » 28.10.2016 17:54:59

hikaru hat geschrieben:Populistisch wird es in meinen Augen immer dann, wenn unabhängig von Sachargumenten durch gezielten Appell an die Emotionen des Publikums versucht wird, für Zustimmung zu werben. Insofern sehe ich in Merkels "Wir schaffen das." Populismus, denn der Satz kann in seiner Allgemeinheit nur auf Emotionen zielen.
Eventuell hast Du dies auch mit einem Seitenblick auf mich formuliert, hatte ich doch kürzlich in einem anderen Zusammenhang Merkels Satz "Wir schaffen das" verteidigt. Ich möchte deshalb kurz klarstellen, warum ich den Satz nicht für populistisch halte, auch nicht wenn man Deine Definition zum Maßstab nimmt: Angela Merkel hat besagtes Motto mehrmals in verschiedenen Zusammenhängen verwendet, immer flankiert von Sachargumenten (die Du natürlich nicht zu teilen brauchst). Eine große Emotionalität strahlt die Kanzlerin, nebenbei bemerkt, mit ihrem vergleichsweise ruhigen, ja fast schon drögen Auftreten sowieso nicht aus.

Auch wenn der gezielte Appell an Emotionen ohne Zweifel zum Grundinstrumentarium des Populismus gehört, würde ich die Definition schärfer fassen als Du: Populismus appelliert an ein (oft völkisch verstandenes) Wirgefühl; dies geschieht immer auch durch eine massive Stigmatisierung oder Ausgrenzung anderer Gruppen und unter Verwendung plakativer Feindbilder.

Merkels Satz "Wir schaffen das" wendet sich zwar auch an ein "Wir", richtet sich aber eben gerade dezidiert gegen Ausgrenzung und setzt so einen Kontrapunkt zu ausländerfeindlicher Stimmungsmache. Die Häme der einschlägigen Populisten ließ dann ja auch nicht lange auf sich warten. Dagegen möchte ich die Kanzlerin in Schutz nehmen, auch wenn ich beileibe kein Merkel-Fan bin.

Dies nur als Randglosse; eigentlich hatte ich vor, heute zu pausieren. :wink:

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Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von BenutzerGa4gooPh » 01.11.2016 08:34:04

@TomL: Du hast die Vorteile und Nachteile einer "Gut-Schlecht-Wertung" bereits dargestellt. Ich bin ins Grübeln gekommen, als ich ob deines Textes ganz abstrakt darüber nachdachte, wie man Mitläufertum (ohne dir das irgendwie persönlich vorwerfen zu wollen) einordnet. "Verweigerte Hilfeleistung" ist heutzutage ein Straftatbestand, den man wohl auch im übertragenen Sinne mal anwenden kann: Mitläufer im Dritten Reich, Schweigen und direkte oder indirekte Unterstützung ausländischer Mächte, die Menschenrechtsverletzungen, ja sogar Kriegsverbrechen begehen, Kirchen hätten die Macht, m. E. sogar die Pflicht, EINDEUTIGE Worte ihren Schäfchen zu sagen, Russlandsanktionen - aber Amis, Juden und Türken dürfen alles ... . Mitläufertum und Wegsehen ist m. E. strafwürdige verweigerte Hilfeleistung.

@maroc: Das Wort Populismus ist mittlerweile auch zum Totschlagargument verkommen - vor allem von denjenigene, die mit ihrer Politik keine Emotionen mehr ansprechen können, Wahlverluste befürchten. Es bestünde ja zumindest die theoretische Möglichkeit, POSITIVE Emotionen, humanistische Ideale anzusprechen ... .
Das populistische Wort "Lügenpresse" wird oft angegriffen, getroffene Hunde bellen halt - aber nie wird berichtet, wie die Menschen darauf kommen. Man könnte ja mal einen der schlaueren Populisten interviewen - oder so. Vielleicht haben manche Populisten ja auch Mausfeld gelesen - und kurz und knapp, demogerecht und damit populistisch zusammengefasst?! :mrgreen:

Zumeist die größten Idioten und dümmsten Sprüche zu senden, ist wohl auch eine Art Populismus - zumindest eine einseitige Berichterstattung und man braucht sich so nicht sachlich auseinandersetzen. Ja, bald kommen deutsche Wahlwerbespots - da werde ich mir die Definition von Populismus nochmals genau zu Gemüte führen.

Noch ein Gedanke: Es gibt in einem mächtigen Land Wahlen, da hat man nur die Wahl zwischen Populist und Populistin. Schade, dass dieses Land (welt-)mächtig ist. Gut dass es einen Gegenpol gibt, hoffentlich kommt kein Kampf zwischen Teufel und Beelzebub, den Dritte ausbaden. Aber Ressourcenkriege wird es sowieso geben, machen wir uns nichts vor.

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Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von Luxuslurch » 01.11.2016 09:41:52

Jana66 hat geschrieben:Das Wort Populismus ist mittlerweile auch zum Totschlagargument verkommen - vor allem von denjenigene, die mit ihrer Politik keine Emotionen mehr ansprechen können
Nochmal: Du meinst "Effekthascherei", wenn du Populismus sagst. Das ist nicht das gleiche. Jeder Politiker will gewählt werden, muss dazu möglichst viele Menschen von sich überzeugen und führt sein Bühnen-Programm auf.
Jana66 hat geschrieben:Das populistische Wort "Lügenpresse" wird oft angegriffen, getroffene Hunde bellen halt - aber nie wird berichtet, wie die Menschen darauf kommen.
Eine Sekunde bei Google verrät dir, dass es ein beliebtes Wort von Goebbels war. Und auch heute wird es nur zu einem Zweck verwendet, nämlich klarzustellen "Wer nicht meiner Meinung ist, ist ein Lügner / Verräter / Volksschädling." Hier ist "populistisch" übrigens richtig von dir verwendet worden, denn Lügenpresse heißt ja auch, dass "das System" und "die Medienmogule", kurz: "die da oben" uns alle belügen, während der freundliche Herr Reichspropagandaleiter natürlich überhaupt gar nicht zur Elite gehört, sondern dem lieben Volk ach so nahe steht.

Insofern ist übrigens auch Hillary keine Populistin, weil sie nicht vorgibt, außerhalb des Washingtoner Establishments zu stehen. Wäre auch eine unglaubwürdige Dramaturgie, wo sie doch schon First Lady war.
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Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von BenutzerGa4gooPh » 01.11.2016 09:58:24

Ein saurer Wein wird nicht dadurch besser, indem man ihn mit Wasser vergleicht. :wink:
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Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von TomL » 01.11.2016 10:04:47

Jana66 hat geschrieben:"Verweigerte Hilfeleistung" ist heutzutage ein Straftatbestand, den man wohl auch im übertragenen Sinne mal anwenden kann: Mitläufer im Dritten Reich, Schweigen und direkte oder indirekte Unterstützung ausländischer Mächte, die Menschenrechtsverletzungen, ja sogar Kriegsverbrechen begehen, Kirchen hätten die Macht, m. E. sogar die Pflicht, EINDEUTIGE Worte ihren Schäfchen zu sagen, Russlandsanktionen - aber Amis, Juden und Türken dürfen alles ... . Mitläufertum und Wegsehen ist m. E. strafwürdige verweigerte Hilfeleistung.
Ich bin unsicher, ob ich verstehe, worauf Du damit abzielst. Aber ich glaube, dass Mitläufer, die sich dazu bekennen, keine Mitläufer sind, sondern Unterstützer. Der Unterschied liegt für mich in Indoktrination und Meinungsmanagement. Für den einen ist es eine Glaubenssache, der andere denkt, wenn die Allgemeinheit (Meinungs'ge'manage'd) das so sieht oder keine Einwände hat, muss es wohl ok sein.
Der Schlüssel das aufzubrechen ist "aufrichtige Information". Aber genau das wird doch verhindert. Ich werfe also denen, die *das alles* unwissend mehr oder weniger schweigend dulden nix vor, weil ich denen nicht vorwerfen kann, wenn sich ihr Einkommensuntergrenzen-Blick allein auf ihr kleines eigenes Universum fokussiert, in der das TV-Bundesligaerlebnis das wöchentliche Hilight ist. Und ich werfe es denen nicht vor, indoktriniert worden zu sein, denen es an kognitiven Möglichkeiten fehlt, das festzustellen. Das ganze Dilemma ist schlicht an einem Parameter festzumachen, und zwar "fehlende oder gezielt falsche Information".
Für mich besteht da eine wesentliche Parallele zum Islam. Der radikale Islam funktioniert imho auch nur, wel Mädchen und damit die künftigen Mütter rigoros von "Wissen" ferngehalten werden. 'Wissende' Mütter erziehen 'andere' Söhne. Ein fragwürdiges System funktioniert nach meiner Überzeugung nie mit wissenden und informierten Menschen.

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Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von Luxuslurch » 01.11.2016 10:35:28

Jana66 hat geschrieben:Ein saurer Wein wird nicht dadurch besser, indem man ihn mit Wasser vergleicht.
Wenn du damit meinst, dass Hillary nicht allein dadurch zu einer guten Politikerin wird, weil sie kein billiger Populist wie Trump ist, dann stimme ich zu. Aber hast du das ernsthaft gedacht? Bist du wirklich noch in der Phase, dass das Gegenteil von dem Bösen immer das Gute für dich darstellt? Also Russland gut, weil Amerika so schlecht? Compact gut weil Spiegel schlecht? Dann wäre (Konjunktiv II) es Zeit, erwachsen zu werden.
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Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von maroc » 01.11.2016 10:56:00

TomL hat geschrieben: Das ganze Dilemma ist schlicht an einem Parameter festzumachen, und zwar "fehlende oder gezielt falsche Information".
Das Urteil "fehlende oder gezielt falsche Information" läßt sich logischerweise nur fällen, wenn man im Besitz der "richtigen" Information ist. Deshalb würde mich interessieren: Woher beziehst Du Deine Informationen? Mausfeld empfiehlt mir in seiner Rede leider keine alternativen Informationsquellen.

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Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von Luxuslurch » 01.11.2016 11:27:25

Mausfeld zeigt sehr präzise auf, wie man erkennt, ob Fakten unter den Tisch gekehrt werden sollen, bzw. umgedeutet werden sollen.
Die Fakten ("die richtigen Informationen") selber sind ja nicht das Problem. Im Grunde leben wir in einer Zeit, in der wir noch nie mehr faktisch wussten, auch über die Machenschaften der Regierungen, nicht nur im wissenschaftlichen Sinne. Das Problem heutzutage ist es, in dieser Informationsflut nicht unterzugehen und die falschen Rückschlüsse zu ziehen. Aber dazu muss man halt mal sein Köpfchen anstrengen...
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Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von hikaru » 01.11.2016 11:58:26

Luxuslurch hat geschrieben:Es geht mir darum, dass ich diese monokausalen Schlussfolgerungen nicht nachvollziehen kann. Gerade Kultur (und ich zähle hier die Gesamtheit geteilter Wirklichkeit zur Kultur) ist überall auf der Welt dauernd in Bewegung, niemals richtig fassbar. Es gibt nicht, wie in Sid Meiers "Civilization", den einen richtigen Weg zu irgendeiner Errungenschaft. Insofern würde ich argumentieren, dass der politische Islam ("Islamismus") in vielen muslimischen Ländern zur heutigen Zeit nicht ein Punkt auf irgendeiner Entwicklungsskala ist, den wir schon lange überwunden haben, sondern dass es genau die Form ist, wie sich diese Nationen in der postkolonialen Welt aufstellen.
Damit hast du natürlich recht. Vermutlich fehlt mir einfach das grundlegende Rüstzeug, wenn es um Religionsgeschichte geht.

TomL hat geschrieben:
hikaru hat geschrieben:Zunächst ist das einzige Recht das existiert das Recht des Stärkeren.
Ich hatte das so verstanden, dass Du mit dieser menschlichen Eigenschaft so zu handeln die Menscheit im allgemeinen charakterisierst.
Ja, das hatte ich so gemeint.
TomL hat geschrieben:Erstens bin ich davon überzeugt, dass das kein Recht ist.
Ich würde dazu gern erstmal den Begriff des "Rechts" definieren. Aber ich bin geneigt dir zuzustimmen. Die Frage ist eben, ob ein Recht nur etwas ist, das einem von welcher Autorität auch immer verliehen wird, oder ob es auch etwa sein kann, das man sich Kraft seiner bestehenden Autorität herausnimmt. Die zentrale Frage dürfte vermutlich sein, was eine bestimmte Instanz in die Lage versetzt, "Recht" zu schaffen.
TomL hat geschrieben:Und zweitens glaube ich, dass beileibe nicht alle Menschen so handeln würden, auch dann nicht, wenn sie es könnten. Einfach deshalb, weil es diesen Unterschied von "gut" und "schlecht" verteilt auf uns Menschen gibt.
Bis hierher stimme ich zu, aber ich halte den ersten Satz nicht für ausreichend um die Situation zu beleuchten. Ich denke nämlich, dass die meisten Menschen entsprechend des "Rechts" des Stärkeren handeln würden, wenn sie es MÜSSTEN.
Es gibt ja da so schöne Gedankenexperimente die darauf hinauslaufen, dass man vor die Wahl gestellt wird entweder das Leben eines nahen Angehörigen oder eines Fremden zu retten. Die meisten Menschen würden sich wohl für den Angehörigen entscheiden. Vorausgesetzt der Fremde hat sich keiner Schuld beladen, dann ist diese Entscheidung für den Angehörigen eine Willkürentscheidung die nur aufgrund des Rechts des Stärkeren umgesetzt werden kann.
TomL hat geschrieben:Aber trotzdem ist natürlich die Wertung in "gut" und "schlecht" gleichzeitig auch dilletantisch, weil es im Effekt immer auf die eigene Betroffenheit ankommt und diese Wertung damit relativ ist.
Genau das ist mein zentraler Kritikpunkt an dem Gut/Böse-Konzept als Ganzes. Abgesehen von sadistischen Motiven ist kaum jemand ist der Meinung, selbst "böse" zu handeln. Von anderen als böse empfundene Taten wird man selbst meist irgendwie rechtfertigen können.
TomL hat geschrieben:Das heisst, auch Folter kann doch "gut" sein....oder? Zumindest für den, der foltert, wenn er dabei königliches Vergnügen empfindet.
Aus Vergnügen zu foltern wäre sadistisch, und ich glaube Sadismus wird auch vom Sadisten selbst als "böse" empfunden. Nur siegt hier das Vergnügen über die Moral.
Aber selbst der stereotypische IS-Kämpfer, den wir hier vermutlich alle als "böse" betiteln würden, kann seine Handlungen vor sich selbst wunderbar damit rechtferrtigen, dass er ja i(n seinem Verständnis vo)m Interesse Allahs handelt, seine "bösen Taten" also durch eine höhere Macht gerechtfertigt und damit wieder "gut" sind.
TomL hat geschrieben:neutraler Beobachter.
Ich bezweifle, das es so jemanden in moralischen Fragen geben kann.
TomL hat geschrieben:Allein die Frage bleibt: Wem hilft eine solche Diskussion? Verhindert sie nicht vielleicht sogar ein gemeinsam erarbeites und akzeptiertes Ergebnis? Zu 1: niemanden, zu 2: imho ja.
Ich denke so eine Diskussion ist nötig um überhaupt erstmal die wertende Ebene eines Gut/Böse"-Konzepts zu erkennen und in der Folge zu überwinden. Erst wenn das getan ist kann an echten Lösungen gearbeitet werden, denn wenn man sich Lösungsversuche auf Basis von Gut/Böse-Konzepten anschaut, dann stellt man fest, dass diese extrem wertende Perspektive eigentlich mehr Probleme verursacht, als sie löst.
Insbesondere die US-amerikanische Politik der letzten 100 Jahre ist dafür immer wieder ein Paradebeispiel.
TomL hat geschrieben:Deshalb glaube ich, dass es richtig ist, entgegengesetzt einer akademischen detailreicheren Betrachtung eine möglicherweise intellektuell stark vereinfachte Gut- und Schlechtwertung vorzunehmen..... einfach deshalb, weil die Mehrheit (vielleicht auch alle) Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit zum gleichen Resultat bei einer solchen Wertung kommen werden.
Eben dieses gleiche Resultat zweifle ich an. Ich glaube, diese Gut/Böse-Vereinfachung ist ein zentraler Problempunkt unserer Gesellschaft(en), denn die Relativität der moralischen Auslegung (man selbst ist immer gut, der andere immer böse, egal wessen Position man in einem Konflikt einnimmt) führt dazu, dass sich Problemlösungsstrategien unendlich im Kreis drehen.
TomL hat geschrieben:Die gleichen Täter, die Krieg und Tod im nahen/mittleren Osten verursachen oder dafür verantwortlich sind, sind doch auch die, die hier unsere bislang sichere westliche Welt destabilisieren und gleichzeitig dabei unsere Demokratie beseitigen.
Die Täter die du hier identifizierst sehen sich selbst als Opfer, nämlich einer imperialistischen westlichen Politik. Ihre Angriffe sehen sie als Verteidigung*.
Das Ergebnis ist genau diese zirkuläre endlose Gewaltspirale aus der man nie herauskommen wird, so lange man politische Prozesse nach Gut/Böse-Konzepten bewertet.
TomL hat geschrieben:Du beklagst, dass Frau Emcke keine praktikablen Lösungen anbietet. Wie kann man jemanden vorwerfen, unwirkliche Lösungs-Ideen zu wirklichen Problemen zu haben?
Ich glaube, dass sie Lösungsvorschläge präsentiert hat, die sie selbst Kraft ihres Intellekts als untauglich hätte erkennen können. Und ich werfe ihr vor, damit die wichtige Diskussion um tragfähige Lösungskonzepte zu verwässern, indem sie die Köpfe ihrer Zuhörer mit Wohlfühlgeschwurbel (sorry ralli! ;) ) vollspammt.
Wenn sie nichts besseres anzubieten hat, dann sollte sie mMn lieber gar nichts vorschlagen (wie z.B. Mausfeld) oder besser noch darauf hinweisen, dass ihr keine Lösungen einfallen und so vielleicht andere dazu animieren, tragfähige Vorschläge zu präsentieren.
TomL hat geschrieben:Ich würde nur jemanden vorwerfen, Lösungen resp. Veränderungen für unnötig zu erachten und sich überhaupt nicht an Ideen zu beteiligen. Für mich ist der erste Schritt zu künftigen Lösungen die Feststellung, das etwas überhaupt einer Lösung bedarf. Genau das erfüllen nach meinem Verständnis beide, sowohl Herr Mausfeld als auch Frau Emcke. Beide Standpunkte machen mir deutlich, das Dinge nicht so sind, wie sie eigentlich sein müssten.
Zustimmung.
TomL hat geschrieben:Ich betrachte desktruktive Reaktionen auf eine vielleicht nicht-gute oder unzureichende Formulierung auf jeden Fall als eine Aktion, die möglicherweise verhindert, dass sich das als Trigger oder Initialzündung für eine bessere Anfangs-Idee erweist, die sich dann vielleicht sogar dynamisch weiterentwickeln könnte.
Ich halte manch Lösungsvorschläge für so platt, dass die Beschäftigung damit von besseren Vorschlägen (oder deren verstörendem Fehlen) ablenkt. Emckes Vorschläge aus dieser Rede gehören für mich dazu.
TomL hat geschrieben:Was einmal verworfen ist, ist schwer weiterzuentwickeln. Ich halte es deshalb immer für viel wichtiger, nicht die Schwächen hervorzuheben, sondern die Stärken herauszuarbeiten und zu verbessern, konstruktiv Verbindungen herzustellen, damit dann darüber irgendwann vielleicht die Schwächen gegenstandslos werden.
Das sehe ich ähnlich. Aber auf welche Stärken aus Emckes Lösungsvorschlägen sollte man sich denn konzentrieren? Ich sehe da keine. Im Grunde war es doch nur ein sehr allgemeiner Aufruf zu mehr Mitgefühl. Das ist für mich trivial und taugt nicht als Lösungsansatz.
TomL hat geschrieben:Für die Menschen oberhalb der Dunbar-Zahl empfinde ich keinesfalls mehr als nur Gleichgültigkeit und mangelndes Interesse. Aber der Gedanke, dass die zu meinen Ressourcen gehören könnten, käme mir jedenfalls nie in den Sinn.
Legst du konsequent Wert darauf, keine Kleidung aus Bangladesch zu kaufen, oder keine Nahrungsmittel aus Südamerika, oder keine Elektronik aus China, oder keine Produkte aus afrikanischen Bodenschätzen? Falls ja, dann Hut ab!
Falls nein, dann reduzierst du die Menschen die das Zeug dort produzieren auf "Humanresourcen", denn du lässt dir von ihnen deine Produkte fertigen, zu Bedingungen die du vermutlich nicht als menschenwürdig bezeichnen würdest. Den Großteil der Zeit ist dir das nicht bewusst, aber wenn du mal darüber nachdenkst, dann wird dir recht schnell klar, dass du nur so leben kannst wie du es tust, weil du anderen Menschen gegenüber "böse" handelst.

maroc hat geschrieben:
hikaru hat geschrieben:Populistisch wird es in meinen Augen immer dann, wenn unabhängig von Sachargumenten durch gezielten Appell an die Emotionen des Publikums versucht wird, für Zustimmung zu werben. Insofern sehe ich in Merkels "Wir schaffen das." Populismus, denn der Satz kann in seiner Allgemeinheit nur auf Emotionen zielen.
Eventuell hast Du dies auch mit einem Seitenblick auf mich formuliert,
Eigentlich nicht.
maroc hat geschrieben:Ich möchte deshalb kurz klarstellen, warum ich den Satz nicht für populistisch halte, auch nicht wenn man Deine Definition zum Maßstab nimmt: Angela Merkel hat besagtes Motto mehrmals in verschiedenen Zusammenhängen verwendet, immer flankiert von Sachargumenten (die Du natürlich nicht zu teilen brauchst). Eine große Emotionalität strahlt die Kanzlerin, nebenbei bemerkt, mit ihrem vergleichsweise ruhigen, ja fast schon drögen Auftreten sowieso nicht aus.
Ich finde, gerade weil Merkel sonst nicht als emotional bekannt ist, macht sich der gebetsmühlenartig wiederholte Satz "Wir schaffen das!" des Populismus verdächtig.
maroc hat geschrieben:Auch wenn der gezielte Appell an Emotionen ohne Zweifel zum Grundinstrumentarium des Populismus gehört, würde ich die Definition schärfer fassen als Du: Populismus appelliert an ein (oft völkisch verstandenes) Wirgefühl; dies geschieht immer auch durch eine massive Stigmatisierung oder Ausgrenzung anderer Gruppen und unter Verwendung plakativer Feindbilder.
Das ist sicher die gebräuchlichste Form des Populismus, mir ist die Reduzierung des Begriffs darauf aber zu eng.

Jana66 hat geschrieben:Das populistische Wort "Lügenpresse" wird oft angegriffen
Zurecht wie ich finde, und zwar unabhängig von seiner Geschichte. Der Begriff "Lügenpresse" impliziert, dass die Lüge ein inhärenter Bestandteil der Presse sei. Ob dem so ist sei dahingestellt, aber wenn es so ist, dann ist der Begriff schlicht eine Tautologie (vergleiche: "schwarzer Rappe"), wenn es nicht so ist, dann ist er eine unzulässige Verallgemeinerung.
So oder so, dem Wort Presse die Lüge voranzustellen erhöht nicht den Informationsgehalt, sondern dient nur dazu Emotionen zu schüren.


*) Anekdote am Rande: Warum gibt es eigentlich überall auf der Welt nur Verteidigungsminister und keine Angrffsminister? Und wenn es keine Angriffsminister gibt, wozu braucht man dann überhaupt Verteidigungsminister?

ChronoBoost
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Re: Warum schweigen die Lämmer?

Beitrag von ChronoBoost » 01.11.2016 12:09:33

Luxuslurch hat geschrieben:Wenn du damit meinst, dass Hillary nicht allein dadurch zu einer guten Politikerin wird, weil sie kein billiger Populist wie Trump ist, dann stimme ich zu.
Stimmt. "Billig" ist Hillary Clinton nur für Milliardäre.

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