interessante Arte Dokumentation

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hikaru
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Re: interessante Arte Dokumentation

Beitrag von hikaru » 15.07.2014 16:32:10

Knight hat geschrieben:Ihr holt meiner Meinung nach alle viel zu weit aus. Laßt doch mal den ganzen Rassismus und das dritte Reich beiseite und fangt im Kleinen an, denn da geht es in aller Regel los.
Aber das sind doch zwei Seiten der selben Medaille. In der Doku ging es nun mal um Rassismus, warum sollte man den dann beiseite lassen?
Natürlich lässt sich das Prinzip an beliebigen Merkmalen festmachen, aber es bleibt immer das Gleiche. Hier war es eben die Augenfarbe. Die ist genauso sinnfrei und damit gut geeignet für das Experiment wie jedes andere Merkmal auch.
Knight hat geschrieben:Interessant wäre vielleicht gewesen, die Rollen zu tauschen. Wie hätte sich das wohl entwickelt ?
Im Originalexperiment (das in der Doku war dr Xte Aufguss) wurden die Rollen von Blau- und Braunäugigen auch getauscht.
Ergebnis: Auch andersrum funktioniert die Diskriminierung. Davon dass man also aus Erfahrungen klug wird kann nicht die Rede sein.

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Re: interessante Arte Dokumentation

Beitrag von inne » 15.07.2014 22:24:49

hikaru hat geschrieben:Im Originalexperiment (das in der Doku war dr Xte Aufguss) wurden die Rollen von Blau- und Braunäugigen auch getauscht.
Du hast das Original gesehen? Kannst du sagen was dort die Merkmale waren, an denen die Diskriminierung fest gemacht wurde?

Das Argument in der ZDFneo Doku, dass die blauen Augen (weniger Melanine) das Sonnenlicht nicht mehr davon abgehalten hat die Hirnzellen der blauäugigen zu verbruzeln und sie deswegen dümmer wären. Das ist ja mal richtig gut....

Die Workshops von Jane Elliott sind dann ja nochmal eine Spur härter. Krass!

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hikaru
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Re: interessante Arte Dokumentation

Beitrag von hikaru » 16.07.2014 00:18:49

inne hat geschrieben:Du hast das Original gesehen?
Nein. Das Original war ein Experiment mit Schülern in den 60ern. Videoaufnahmen gibt es offenbar dazu, die wurden aber nicht öffentlich in einer Doku ausgewertet.
inne hat geschrieben:Kannst du sagen was dort die Merkmale waren, an denen die Diskriminierung fest gemacht wurde?
Auch da war es die Augenfarbe. Aber mal wurden Blauäugige, mal Braunäugige diskriminiert.

Danke auch für den Link zur britischen Doku! Die ist wirklich nochmal eine Nummer härter, was im Wesentlichen daher kommt dass das Setting ein ganz anderes ist:
Im deutschen Experiment war allen Beteiligten klar, dass es ein Spiel ist. Jeder wusste dass die diskriminierenden Aussagen über Blauäugige Schwachsinn sind. Die meisten haben sich trotzdem in das Spiel gefügt, sich in dessen Rahmen überlegen oder erniedrigt gefühlt, aber es war immer klar, dass es ein Rollenspiel ist. Worum es in dem Spiel geht wurde den Teilnehmern nicht gesagt. Jeder musste selbst herausfinden dass es um Diskriminierung Blauäugiger durch Braunäugige ging (was zugegebenermaßen nicht schwer war, angesichts der Spruchtafeln). Es war also eigenständiges Denken gefordert, wenn auch auf einfachem Niveau.

Im englischen Experiment wurde den Teilnehmern von Anfang an mitgeteilt, dass es darum geht Blauäugige durch Braunäugige zu diskriminieren. Selbstständiges Denken wurde an diese Stelle nicht gefordert. Auch gab es hier keine übertrieben lächerliche Herabsetzung der Blauäugigen. Im deutschen Experiment war klar, dass die abstrusen Anfeindungen nicht ernst gemeint sein können sondern Teil des Spiels sind. Dazu gehört auch das überspitzt ambivalente Auftreten des Experimentators.
Im englischen Experiment bewegten sich die Anfeindungen (z.B. "Alle Weißen sind Rassisten.") in einem Rahmen der durchaus ernst gemeint sein könnte. Auch die Experimentatorin ist hier mit einer konsistenten (ich würde fast schon authentischen) Persönlichkeit aufgetreten. Alles in Allem war das englische Experiment nicht als offensichtliches Spiel zu durchschauen.

Was mich richtig erstaunt, fast schon schockiert hat war, dass die Experimentatorin am Ende nicht aufgelöst hat, dass das Spiel noch läuft. Darauf habe ich die ganze Zeit gewartet und die Offenlegung den Blauäugigen mal eine Lektion zu erteilen hielt ich für ein schlaues Ablenkungsmanöver vom eigentlichen Ziel, nämlich zu demonstrieren, dass die richtige Führerpersönlichkeit jeden zum Rassisten machen kann. Vielleicht ist diese Auflösung hinter den Kameras passiert, aber so wie es in der Sendung dargestellt wurde war es ihr voller Ernst, dass alle Weißen Rassisten seien und den Weißen (hier symbolisiert durch Blauäugige) das klarzumachen war ihr wirkliches Ziel.
Wenn dass tatsächlich der Fall ist dann neige ich zu der Ansicht, dass sie ihr eigenes Experiment nicht verstanden hat. Sie hat eine fiktive rassistische Gesellschaft aufgebaut, innerhalb dieser fiktven Gesellschaft eine reale Rassismusdebatte geführt und dabei nicht gemerkt, dass sie ein reales Rassismusopfer (die Schwarze die da so wehement argumentiert hat) zu einer fiktiven Rassismustäterin gemacht hat die Fiktion und Realität nicht mehr auseinanderhalten kann, denn sie war für Diskriminierung jenseits der Hautfarbe überrhaupt nicht mehr empfänglich.

Ich halte das englische Experiment (im Gegensatz zum deutschen) daher für einen fatalen Fehlschlag, der seinem Ziel - nämlich die Schärfung der Wahrnehmung von Diskriminierung - einen Bärendienst erweist.

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Re: interessante Arte Dokumentation

Beitrag von inne » 16.03.2017 09:35:50

Elektroschock-Experiment Fast jeder würde auf Befehl foltern

Stanley Milgram zeigte 1961, wie leicht man Menschen dazu bringen kann, andere zu quälen und zu töten. Nun wurde der legendäre Stromstoßversuch wiederholt. Das Ergebnis ist ernüchternd. Nur ein Viertel der Teilnehmer zweifelte.
Funktioniert Heute noch wie Damals.
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mens ... ml#ref=rss
(Die Leute kennen das Experiment anscheinend nicht...)

PS: Könnte glatt zu Tierversuchen abbiegen, dazu gabs auch neulich was.

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Re: interessante Arte Dokumentation

Beitrag von hikaru » 16.03.2017 10:38:17

Ja, das Milgram-Experiment ist wirklich ein mächtiges Werkzeug für jemanden, der anderen die Illusion hinter der Vorstellung des "Guten im Menschen" verdeutlichen möchte.
Unter den "richtigen" Umständen wird jeder zum Foltermeister, egal wie hoch er seine moralischen Werte hält. Das "Augenfarbenexperiment" das wir hier ursprünglich diskutiert haben, habe bzw. hätte ich vermutlich nur deshalb durchschaut, weil das Strickmuster dem Milgram-Experiment ähnlich genug ist, welches ich schon aus der Schule kannte.

Als weiteres Experiment nach ähnlichem Strickmuster sei hier noch das Stanford-Prison-Experiment genannt, das dem einen oder anderen vielleicht aus dem Film "Das Experiment" bekannt ist. Natürlich gibt es im Film ein paar unrealistische dramatische Überzeichnungen, aber Alles in Allem halte ich den Film für gelungen.

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Re: interessante Arte Dokumentation

Beitrag von BenutzerGa4gooPh » 16.03.2017 14:26:11

hikaru hat geschrieben:Ja, das Milgram-Experiment ist wirklich ein mächtiges Werkzeug für jemanden, der anderen die Illusion hinter der Vorstellung des "Guten im Menschen" verdeutlichen möchte.
Unter den "richtigen" Umständen wird jeder zum Foltermeister, egal wie hoch er seine moralischen Werte hält.
Laut innes Spiegel-Link nur Autorität, Ausnahmesituation und Gewoehnung. Wo haben wir das häufig, wie entstehen Kriegsverbrechen - mit recht vielen Teilnehmern/Taetern? Die entsprechende Doku hat mir sehr zu denken gegeben, früher mal gesehen.
Weitere "foerderliche" Umstände sehe ich noch in geringer Bildung, Erfahrung (Jugend), Gruppenzwang ("Kameradschaft", Elitedenken, -arroganz) und relativem "Unbeobachtetsein" (Ausland) sowie Rassismus/Nationalismus. Eventuell sogar als Staatsdoktrin, Deutschland ueber alles, Apartheid, Rassentrennung, America First ... .
Spiegel-Kommentare waren auch schon mal besser ... dazumal ... auf altmodischem Papier. :mrgreen:
hikaru hat geschrieben:Unter den "richtigen" Umständen wird jeder zum Foltermeister, egal wie hoch er seine moralischen Werte hält.
Märtyrer, Widerstandskämpfer, Wehrdienstverweigerer und allg. zivilen Widerstand hast du aussen vor gelassen?! Waren und sind leider nur wenige.

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Re: interessante Arte Dokumentation

Beitrag von MartinV » 16.03.2017 16:38:34

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Re: interessante Arte Dokumentation

Beitrag von hikaru » 16.03.2017 17:02:42

Jana66 hat geschrieben:
hikaru hat geschrieben:Unter den "richtigen" Umständen wird jeder zum Foltermeister, egal wie hoch er seine moralischen Werte hält.
Märtyrer, Widerstandskämpfer, Wehrdienstverweigerer und allg. zivilen Widerstand hast du aussen vor gelassen?!
Nein. Die brauchen nur andere Trigger.

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Re: interessante Arte Dokumentation

Beitrag von BenutzerGa4gooPh » 16.03.2017 21:51:47

Die Trigger wären deines Erachtens?

Habe mal ein Buch ueber den Iran gelesen: Leute die unter dem Schah verfolgt und gefoltert wurden, wandelten sich unter Chomeini zu ebensolchen Tätern. In der DDR gab es zumindest psychische Folterknechte aus Überzeugung. Religion und (politischer) Fanatismus als weitere Trigger?
Jugendliche schlagen und treten Fremde aus nichtigem oder keinem Anlass krankenhausreif bis tot. Gewalt als Selbstbefriedigung oder Angeberei?
Gewalttaetig durchgesetzte Hackordnungen unter Gefangenen ...
Was wuerde man mit einem Entfuehrer oder Moerder geliebter Menschen anstellen, wenn dieser einem in die Hände fiele?!

Gibt wohl viele Trigger, kann gut sein, dass es fur jeden Menschen einen gibt. Die Triggerschwellen sind wohl unterschiedlich.

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Re: interessante Arte Dokumentation

Beitrag von hikaru » 17.03.2017 10:23:52

Jana66 hat geschrieben:Die Trigger wären deines Erachtens?
Alles, was die moralischen Überzeugungen eines Menschen verändern oder unterlaufen kann.

Ein einschneidendes Erlebnis z.B., das die Weltsicht eines Menschen ändert, könnte für eine Verschiebung seiner moralischen Überzeugungen sorgen.
Ein Szenario in dem jemand nicht (früh genug) erkennt, dass es ihn zur Verletzung seiner moralischen Werte führt, könnte ebenso solch ein Trigger sein. Das Milgram-Experiment ist im Prinzip so ein Szenario.
Es ist aber auch möglich, dass jemand in vollem Bewusstsein gegen seine moralischen Überzeugungen verstößt, z.B. bei einem Interessenkonflikt.

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