maroc hat geschrieben:[*] Nachtrag: Wer seine Naivität verloren hat, dem bleibt die Rückkehr zu ihr allerdings versperrt (von einer beginnenden Demenz einmal abgesehen). Vielleicht bleibt uns dann nur die ewige Revolte gegen das Absurde im Sinne des Camus'schen "Mythos von Sisyphos".
Wobei natürlich die Revolte gegen das Absurde selbst absurd ist. Ob das im Sinne von Camus erstrebenswert wäre vermag ich nicht zu beurteilen.
Ich glaube aber, dass Camus trotz der unbestreitbaren Eleganz seines Konzepts des Absurdismus einen entscheidenden Fehler gemacht hat. Er kommt ja zu dem Schluss, dass Sisyphos trotz seines absurden Tuns insgesamt ein glücklicher Mensch war. Ich glaube das ist nicht richtig. Er hatte sicher glückliche Momente wenn er sich auf dem Weg bergab auf einer grünen Wiese in die Sonne legte. Aber das tat er immer in dem Wissen, das er im nächsten Moment den Stein wieder Berg hinaufrollen würde. Wenn er dabei kein Glück empfand, dann muss er sich der Absurdität seines Lebens bewusst gewesen sein, was sich mMn nicht mit einem glücklichen Leben (sondern nur glücklichen Momenten innerhalb eines absurden Lebens) verträgt. Wenn er beim Hinaufrollen Glück empfand (z.B. weil er es als sportliche Herausforderung schätzte), dann war sein Leben sicher glücklich, aber nicht absurd.
rockyracoon hat geschrieben:Mir fehlt aber immer etwas. Nämlich die Hinterfragung der fast zwangsläufigen autodestruktiven Eigendynamik der Finanzsysteme.
Ich habe das bisher bei Mausfeld nicht vermisst, weil ich es nicht als seine Domäne betrachtet habe. Vielleicht kommt noch sowas von ihm, aber ich denke, das Thema ist weit genug verbreitet, das er auf eine eigene Behandlung auch verzichten könnte.
rockyracoon hat geschrieben:Stichwort: Wachstumszwang. Und damit keine Möglichkeit zur Ruhe, zur Konsolidierung, zum Gleichgewicht zu kommen.
Die Geldwirtschaft "funktioniert" also wie Heroinsucht. Einige Zeit scheint es gutzugehen, dann dekompensiert der Prozeß.
Früher gab es in den dadurch auftretenden zyklischen Krisen Kolonialismus, Seuchen oder Kriege. Danach lief wieder alles prächtig, weil Wachstum stattfand. Heute droht aufgrund der technischen und bevölkerungsstatistischen Dimensionen der Planet zu kollabieren.
Ich betrachte die Krisen als inneren Teil des Systems Kapitalismus, nicht als äußere Störung. Insofern ist der Prozess im Gleichgewicht, nur sind die Schwankungszyklen mit Perioden mehrerer Jahrzehnte zu lang, als dass wir das als Gleichgewicht wahrnehmen würden.
Der "planetare Kollaps" wie du ihn nennst ist dabei vielleicht nur die nächste Krise, die einen neuen Zyklus des Kapitalismus einleiten wird. Es wird ja mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Welt nach dem Kollaps geben. Vielleicht werden die Lebensbedingungen aufgrund von Ressourcenausbeutung, Umweltverschmutzung und Klimawandel deutlich schlechter sein und es wird möglicherweise Millionen von Toten geben, aber das stört ja den Kapitalismus nicht.
rockyracoon hat geschrieben:Neben der Veränderung des menschlichen Bewußtseins weg vom Egoismus hin zur Solidarität fehlt aus meiner Sicht also ein homöostasefähiges Wirtschaftsmodell, jenseits von Diktatur oder Wildwuchs.
Ich bin mir nicht sicher, ob der Mensch zu wahrer Solidarität fähig ist. Das war wir gemeinhin als Solidarität bezeichnen beschränkt sich eigentlich immer auf kleine Gruppen die sich persönlich kennen (siehe Dunbar-Zahl) oder entsteht aus einer externen Notwendigkeit heraus und bricht auch mit dem Wegfall der Notwendigkeit wieder zusammen.
Viele ehemalige DDR-Bürger beklagen z.B. den Verlust von Solidarität nach der Wende. Dabei lassen sie aber oft außer acht, dass diese Solidarität im Wesentlichen auf einem Mangelzustand fußte, der es erforderlich machte sich solidarisch zu verhalten um erfolgreich am Tauschhandel teilnehmen zu können. Nachdem der Mangel und somit auch das Tauschhandelssystem verschwand, gab es keine Notwendigkeit mehr für die darauf aufbauende Solidarität.
scientific hat geschrieben:Prinzipiell funktioniert unser Wirtschaftssystem ja durchaus gut. Aber es müssten ein paar Randbedingungen verändert werden.
Eine davon wäre z.B. dass Handelsunternehmen bei der Betriebsgenehmigung eine Auflage erhalten, dass nach dem Beenden des Betriebs der Ursprungszustand wieder hergestellt werden muss. Wie bei Eisenbahnen.
Das funktioniert nur bei standortgebundenen Unternehmen. Eine Eisnbahnstrecke muss an genau dieser Stelle (zwischen A und B) errichtet werden, sonst kann sie ihren wirtschaftlichen Zweck (Geld mit dem Transport von Menschen/Gütern von A nach B verdienen) nicht erfüllen. Ein Unternehmen das nicht an einen bestimmten Standort gebunden ist könnte auf Alternativstandorte ausweichen, wo es die Auflage der Wiederherstellung nicht gibt. Das Fehlen der Auflage wäre dann für den Alternativstandort ein Standortvorteil. Solche Prozesse sehen wir z.B. in Steueroasen.
Jana66 hat geschrieben:Gibt wohl auch erfolgreiche Populisten der Mitte. Und diese dominieren erfolgreich Medien.
Ja, aber die haben andere Ziele als Rechtspopulisten. Rechts- und übrigens auch Linkspopulisten sind darauf aus, (echte oder vermeintliche) Probleme zu thematisieren und aus diesen Problemen eine Notwendigkeit zu Veränderungen (in ihrem Interesse) zu begründen. Populisten der Mitte dementieren entweder die Existenz oder das Gewicht der identifizierten Probleme und leiten daraus ab, dass der aktuelle politische Kurs im Wesentlichen richtig ist.
Diese beiden Positionen sind nicht vereinbar, daher kommt für gewöhnlich kein Dialog zustande.