Buch: "Fassadendemokratie und Tiefer Staat"

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hikaru
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Buch: "Fassadendemokratie und Tiefer Staat"

Beitrag von hikaru » 19.09.2017 15:18:50

Hallo,

eigentlich sollte der Titel des Threads so lauten:
Mausfeld: "Die Wahrheit über die Demokratie"

Bis ich feststellte, dass das nur ein Teilbeitrag Mausfelds [1] zu dem im (tatsächlichen) Threadtitel genannten Buch (weitere kurze Auszüge daraus: [2]) ist. Ich habe das Buch noch nicht gelesen, weshalb ich noch keine wirkliche Meinung dazu haben will. Angesichts dessen, dass sich zumindest Mausfelds Beitrag offenbar stark mit der marktkonformen Rolle der repräsentativen Demokratie im aktuellen Gesellschaftssystem beschäftigt, wollte aber gern noch vor der Bundestagswahl andere darauf aufmerksam machen.

Zu dem Ausschnitt aus dem Rubikon-Artikel kann ich bisher nur anmerken, dass mir offenbar die historischen Kenntnisse fehlen um insbesondere die erste Hälfte auf Stichhaltigkeit zu prüfen. Die Schlussfolgerungen im zweiten Teil entsprechen dagegen weitgehend meinem "Bauchgefühl", was aber natürlich ein schwacher Ersatz für Wissenslücken ist.
Eine Kleinigkeit die mir spontan negativ auffällt ist Mausfelds Verwendung des Begriffs "Spätkapitalismus", was mir immer etwas nach Glaskugelei ausieht, so als ob ein Ende absehbar wäre.


[1] https://www.rubikon.news/artikel/die-wa ... demokratie
[2] http://www.epochtimes.de/politik/welt/f ... 79745.html

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ottonormal
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Re: Buch: "Fassadendemokratie und Tiefer Staat"

Beitrag von ottonormal » 19.09.2017 22:41:12

Danke für den Tipp. Ich habe das in meine Liste mit "noch anzuschaffenden Büchern" aufgenommen.
Eine Leseempfehlung von Mausfeld aus seinem Vortrag "Die Angst der Machteliten vor dem Volk" war auch das Buch von Daniela Dahn "Wir sind der Staat". Das habe ich kürzlich als E-Buch gekauft aber noch nicht gelesen. Ist aber als nächstes an der Reihe.

cronoik
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Re: Buch: "Fassadendemokratie und Tiefer Staat"

Beitrag von cronoik » 20.09.2017 00:41:32

Der Auszug auf Rubikon macht eine Meinungsfindung und eine Diskussion zum Artikel nicht wirklich einfach, da die Quellenangaben nur im Buch aufgelistet sind. Des Weiteren fehlt mir an einigen Stelle eine kontroverse Betrachtung und das Beschreiben von Alternativen. Letzteres ist in dem Sinne zu bedauern, dass mir bei einigen Punkten das Wissen fehlt, um den eigentlichen Standpunkt von Professor Mausfeld wirklich erfassen zu koennen. Der Artikel geht, nach meiner lesart, von der Grundannahme einer homogenen Machtelite aus. Diese hat seit der Bronezeit den Poebel fuer ihre eigenen Zwecke benutzt und das notwendige veranlasst, um ihre eigenen Privilegien zu sichern. Die letzte grosse Aktivitaet der Machtelite war die Einfuehrung der repraesentativen Demokratie und dies wird von Professor Mausfeld insbesondere am Schutz des Eigentums festgemacht:
Prof. Rainer Mausfeld hat geschrieben:...Der eigentlich autoritäre Charakter der repräsentativen Demokratie wird klar erkennbar in den Gründungsdokumenten der Federalisten. So machte James Madison (1751-1836) explizit deutlich, dass es im Rahmen einer dem Gemeinwohl dienenden Politik vorrangig um den Schutz der Eigentumsordnung geht und dass bei der Wahl der politischen Repräsentanten der Meinung der Bürger kein besonderes Gewicht zukommen könne. Die Eliten wüssten besser, was für das Volk gut sei, als das Volk selbst.

„Die öffentliche Meinung, die von den Vertretern des Volkes ausgesprochen wird, steht mit dem Gemeinwohl mehr im Einklang als die Meinung des Volkes selbst.“...
Bei diesem Abschnitt stellt sich fuer mich die Frage, ob der Schutz des Eigentums nicht eine wesentliche Voraussetzung fuer die Demokratie ist. Kann jemand der abhaengig ist, freie Entscheidungen treffen? Ich teile hier die Ansicht von Milton Friedman, demnach wirtschaftliche Freiheit eine notwendige Voraussetzung fuer politische Freiheit ist [2]. Auch das aufgefuehrte Zitat laesst Platz fuer Interpretationen. Mochte Madison damit ausdruecken, dass der Meinung der Buerger kein besonderes Gewicht zukommt oder ging es ihm darum, dass die gewaehlten Vetreter die unterschiedlichen Auffassung des Volkes aufnehmen und aus diesen einen hypothetischen Volkswillen bilden (muessen)?
Prof. Rainer Mausfeld hat geschrieben:...Zu den Kernelementen einer wirklichen Demokratie gehört, dass „das Volk“ souverän im Sinne der „gesellschaftlichen Kompetenz der Selbstgesetzgebung“ ist und alle Staatsapparate dem demokratischen Gesetz untergeordnet sind. Die athenische Demokratie, in der „die Regierung im ganz buchstäblichen Sinn eine „Regierung durch das Volk“ war, war durch eine Herrschaft des Gesetzes und eine Teilhabe am Entscheidungsprozess gekennzeichnet....
Besonders bei diesem Abschnitt und bei den folgenden Abschnitten in denen die partizipatorische Demokratie benannt wird, fehlt mir eine Vorstellung ueber diese. Wie kann die Findung eines Volkswillens bei einer Gruppe von "nur" 5000 Leuten stattfinden? Woher nimmt sich der einzelne die Zeit um sich umfassend ueber eine Thematik zu informieren, wenn es schon fuer den Besuch von Kindern, Omas, Opas oder Freunden nicht langt?

Fazit: Mein Unwissen und die fehlende Tiefe des Artikels, halten mich vom Erwerb des Buches ab.

[1] https://www.rubikon.news/artikel/die-wa ... demokratie
[2] http://www.poeteus.de/zitat/Wirtschaftl ... eiheit/325
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guennid

Re: Buch: "Fassadendemokratie und Tiefer Staat"

Beitrag von guennid » 20.09.2017 01:02:55

Oh, oh, jetzt wird's aber wirklich gruselig. Salonbolschewist und Milton Friedman in einem Atemzug! hikaru, da haste dir aber einen angelacht! :wink:

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hikaru
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Re: Buch: "Fassadendemokratie und Tiefer Staat"

Beitrag von hikaru » 20.09.2017 10:25:43

cronoik hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
20.09.2017 00:41:32
Der Auszug auf Rubikon macht eine Meinungsfindung und eine Diskussion zum Artikel nicht wirklich einfach, da die Quellenangaben nur im Buch aufgelistet sind. Des Weiteren fehlt mir an einigen Stelle eine kontroverse Betrachtung und das Beschreiben von Alternativen. Letzteres ist in dem Sinne zu bedauern, dass mir bei einigen Punkten das Wissen fehlt, um den eigentlichen Standpunkt von Professor Mausfeld wirklich erfassen zu koennen.
Genau das meinte ich damit, als ich sagte, dass mir hier historische Kenntnisse fehlen um die Aussagen einzuordnen.
cronoik hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
20.09.2017 00:41:32
Der Artikel geht, nach meiner lesart, von der Grundannahme einer homogenen Machtelite aus. Diese hat seit der Bronezeit den Poebel fuer ihre eigenen Zwecke benutzt und das notwendige veranlasst, um ihre eigenen Privilegien zu sichern.
Ich weiß nicht ob ich dir hier zustimmen oder widersprechen soll, denn ich kann nicht einordnen, was du mit einer homogenen Machtelite meinst.
Ich lese aus dem Text nicht heraus, dass Mausfeld meint, es habe seit der Bronzezeit ein und die selbe Machtelite gegeben, die ihren Status und die Mittel zu dessen Durchsetzung immer weiter an ihre Erben weitergegeben habe. Aber ich denke schon, dass er ausagen möchte, dass der grundlegende Zustand eines deutlichen Machtgefälles zwischen Herrschern und Behherrschten historisch gesehen eine ziemliche Konstante ist und dass die Mittel natürlich im Grunde immer den selben Zweck hatten, auch wenn sicherlich ein evolutionärer Prozess stattgefunden hat, in dem die Beherrschten immer ausgefeiltere Mittel entwickelt haben um die Herrschaft zu brechen und die Herrscher immer ausgefeiltere Mittel zu deren Abwehr entwickelt haben.
Der vorläufige Höhepunkt dieses Wettrüstens ist nach Mausfeld die repräsentative Demokratie, in der einerseits der einzelne Herrscher beliebig durch die Beherrschten ausgetauscht werden kann ohne aber die Fremdherrschaft als systemischen Prozess zu beenden und wo andererseits große Teile der Beherrschten durch eben diese scheinbare politische Mitbestimmung sediert werden können.
Je nachdem ob du dich hier auf die konkret handelnden Personen oder auf die Systemprozesse beziehst würde ich dir widersprechen oder zustimmen.
cronoik hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
20.09.2017 00:41:32
Bei diesem Abschnitt stellt sich fuer mich die Frage, ob der Schutz des Eigentums nicht eine wesentliche Voraussetzung fuer die Demokratie ist. Kann jemand der abhaengig ist, freie Entscheidungen treffen? Ich teile hier die Ansicht von Milton Friedman, demnach wirtschaftliche Freiheit eine notwendige Voraussetzung fuer politische Freiheit ist [2].
Ich denke hier lohnt es sich, zwischen Privateigentum an Produktionsmitteln und persönlichen Habseligkeiten zu unterscheiden.
Dann ist man natürlich sofort bei der Kommunismustheorie. Ich glaube, dass Demokratie im theoretischen Kommunismus funktionieren könnte, denn es gäbe kein Machtgefälle in der Abhängigkeit von Produktionsmittteln. Ich glaube allerdings auch, dass der theoretische Kommunismus als solcher utopisch ist, da er der menschlichen Natur eines grundlegenden Egoismus' zuwider läuft.
Im Kapitalismus ist natürlich Eigentum an Produktionsmitteln essenzielle Voraussetzung für persönliche Freiheit. Andererseits ist das (überproportionale) Eigentum des Einen auch immer der Mangel des Anderen. Daraus ergibt sich von ganz allein ein Machtgefälle. Da es im Kapitalismus keine funktionierenden Korrekturmechanismen gibt (die soziale Marktwirtschaft ist offernsichtlich gescheitert) ist Demokratie in diesem System langfristig nicht erreichbar.
cronoik hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
20.09.2017 00:41:32
Mochte Madison damit ausdruecken, dass der Meinung der Buerger kein besonderes Gewicht zukommt oder ging es ihm darum, dass die gewaehlten Vetreter die unterschiedlichen Auffassung des Volkes aufnehmen und aus diesen einen hypothetischen Volkswillen bilden (muessen)?
Meinem Verständnis nach ist es eher Letzteres, wobei Ersteres aber eine Forderung ist um das umsetzen zu können, denn um dem Volk einen hypotetischen Volkswillen Aufzwingen zu können muss es von Mitteln zu effektivem Widerstand dagegen ferngehalten werden.
cronoik hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
20.09.2017 00:41:32
Besonders bei diesem Abschnitt und bei den folgenden Abschnitten in denen die partizipatorische Demokratie benannt wird, fehlt mir eine Vorstellung ueber diese. Wie kann die Findung eines Volkswillens bei einer Gruppe von "nur" 5000 Leuten stattfinden?
Ich mag den Abschnitt im Artikel grundsätzlich nicht, denn die "Athenische Demokratie" schloss nur freie Männer ein. Sklaven und Frauen waren von ihr ausgeschlossen. Über demokratische Prozesse in so einem System zu diskutieren lohnt sich mMn nicht.
cronoik hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
20.09.2017 00:41:32
Woher nimmt sich der einzelne die Zeit um sich umfassend ueber eine Thematik zu informieren, wenn es schon fuer den Besuch von Kindern, Omas, Opas oder Freunden nicht langt?
Das ist wohl einer der Knackpunkte jeder Demokratie: Wie souverän kann der "Souverän" sein?

guennid hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
20.09.2017 01:02:55
Oh, oh, jetzt wird's aber wirklich gruselig. Salonbolschewist und Milton Friedman in einem Atemzug! hikaru, da haste dir aber einen angelacht! :wink:
Mag sein, das ich schon zu sehr von Mausfeld eingenomen bin, aber ich sehe in ihm keinen Salonbolschewisten. Er zeigt auf, was in der marktkonformen Demokratie nicht funktioniert, aber er vermittelt zumindest mMn nicht den Eindruck, als könne Kommunismus eine Alternative sein.
Friedman kann man mMn ernst nehmen, wenn man nicht aus dem Blickwinkel einer funktionierenden Demokratie sondern aus dem eines funktionierenden kapitalistischen Herrschaftssystems argumentiert.
Ich weiß nicht ob das auf dich zutrifft, aber was ich in Diskussionen um das "richtige" Politische System oft beobachte ist, dass von jemandem der Kritik am bestehenden System äußert gleichzeitig erwartet wird, eine bessere Alternative aufzuzeigen. Auch ich tue das, wenn ich zum Widerstand aufgerufen werde.
Ich glaube aber, dass es ein "richtiges" System (in dem Demokratie wirklich und langfristig funktioniert) nicht geben kann, weil der Mensch von Natur aus nicht in größeren Gruppen zusammenarbeitet. Das ist eine äußerst unbefriedigende Annahme, weshalb sich meiner Menung nach viele gegen diese Sichtweise sträuben, ohne dagegen aber Argumente eines gefühlten Unwohlseins vorbringen zu können.

Ozelot
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Re: Buch: "Fassadendemokratie und Tiefer Staat"

Beitrag von Ozelot » 20.09.2017 14:20:51

Wopp!.. Ich muß ihn jetzt wirklich mal lesen, nachdem hikaru ja schon einiges zu Mausfeld gesagt hat..

aber: ein bißchen mulmig wird mir, wenn er einen Kampfbegriff der alt.right-Bewegung (Breitbart, Bannon..) als Buchtitel verwendet ("deep state").

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novalix
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Re: Buch: "Fassadendemokratie und Tiefer Staat"

Beitrag von novalix » 25.09.2017 14:02:29

hikaru hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
20.09.2017 10:25:43
Ich glaube aber, dass es ein "richtiges" System (in dem Demokratie wirklich und langfristig funktioniert) nicht geben kann, weil der Mensch von Natur aus nicht in größeren Gruppen zusammenarbeitet. Das ist eine äußerst unbefriedigende Annahme, weshalb sich meiner Menung nach viele gegen diese Sichtweise sträuben, ohne dagegen aber Argumente eines gefühlten Unwohlseins vorbringen zu können.
Ich weiß nicht, ob ich da richtig liege, aber wenn es die Natur des Menschen ist, nicht in größeren (wie groß?) Gruppen zusammen arbeiten zu können, ist es dann nicht sehr erstaunlich, dass es große Gruppen von Menschen gibt?
Sind die nur noch nicht dazu gekommen sich ihrer Natur folgend gegenseitig zu erschlagen?
Es gibt ja solche Begriffe wie "Zivilisation". Was ist damit gemeint, wenn nicht ein menschliches Gemeinschaftsprojekt?
Über die "Natur" des Menschen zu spekulieren, sie zu beschreiben, zu untersuchen, in theoretische Modellen dar zu legen, ist etwas, dass wir als wissenschaftliches Handeln beschreiben können. Ich würde Wissenschaft als menschliches Gemeinschaftsprojekt charakterisieren, an welchem wohl eine einigermaßen große Gruppe von Menschen teil nimmt.
Wie konnte der Linux-Kernel und die GNU-Toolchain entstehen, wenn es in der Natur des Menschen liegt, nicht in größeren Gruppen zusammen arbeiten zu können?
Sicher, wir können in der Geschichte und der Gegenwart sehen, dass der Mensch des Menschen Wolf sein kann, und der terminierende, unumkehrbare Akt des Tötens beweist anscheinend den Fatalismus als Totschlagargument.
Es ändert allerdings nichts daran, dass es auch anders geht und auch schon immer gegangen ist. Im Menschen steckt ganz offensichtlich mehr als die angenommene Egomaschine und das nicht nur im "kleinen Kreis".
Wenn ich mich frage: "Was ist Egoismus?" und meinen George Herbert Mead zu Rate ziehe, wird es interessant.
Ja, es gibt wohl so einen einzelnen biologischen Organismus, der ein "Ich" genannt werden kann. Das ist allerdings gar nicht das, was wir meinen, wenn wir von unserem "Ich", von unserer Person reden. "Ich" ist eine soziale Funktion, die in der Begegnung mit anderen, zunächst konkreten und mehr oder weniger zunehmend einem generalisierten Anderen, über das Erlernen und die Benutzung bedeutsamer Gesten entsteht.
Die Sonne, sie kreist gar nicht um mich.
"Ich" ergibt nur Sinn in einem bedeutsamen Beziehungsgeflecht. Ein "Wolfskind" weiß nichts von einem "Ich", was Du für Dich annimmst.
Der "Egoismus" ist folglich zu einem erheblichen Teil, ein soziales Geschehen, über das wir reden und das wir beeinflussen können. Das ist kein Argument "eines gefühlten Unwohlseins". Das ist wissenschaftliche Erkenntnis über die Natur des Menschen.

https://de.wikipedia.org/wiki/George_Herbert_Mead
Das Wem, Wieviel, Wann, Wozu und Wie zu bestimmen ist aber nicht jedermannns Sache und ist nicht leicht.
Darum ist das Richtige selten, lobenswert und schön.

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Re: Buch: "Fassadendemokratie und Tiefer Staat"

Beitrag von hikaru » 26.09.2017 13:35:48

Ozelot hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
20.09.2017 14:20:51
aber: ein bißchen mulmig wird mir, wenn er einen Kampfbegriff der alt.right-Bewegung (Breitbart, Bannon..) als Buchtitel verwendet ("deep state").
Der Begriff hat wohl einen anderen Ursprung. [1] Ich mag ihn auch nicht sonderlich, weil er mMn überhaupt nicht selbsterklärend ist (viellecht ist das auf Türkisch anders), aber so ist nun mal der Buchtitel.

novalix hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
25.09.2017 14:02:29
Ich weiß nicht, ob ich da richtig liege, aber wenn es die Natur des Menschen ist, nicht in größeren (wie groß?) Gruppen zusammen arbeiten zu können, ist es dann nicht sehr erstaunlich, dass es große Gruppen von Menschen gibt?
Da war ich wohl zu unräzise in meiner Formulierung. Entschuldige bitte!
Ich meine nicht, dass Menschen in großen Gruppen nicht zusammenarbeiten KÖNNEN, sondern dass sie es nicht WOLLEN. Bzw. ich tendiere zu der Ansicht, dass sie bestrebt sind, die für die (vermeintliche) Erfüllung einer Aufgabe nötige Gruppengröße auf ein möglichst überschaubares Minimum zu reduzieren. Diese Reduktion führt mit schöner Regelmäßigkeit zu Übervereinfachung der bearbeiteten Aufgabe.

Beim Rest deines Beitrags vermisse ich den Themenbezug zum Konzept der Demokratie. Natürlich leben wir in einer großen Gesellschaft (je nach Blickwinkel sogar in einer Globalen) und natürlich gibt es weitreichende Kooperation zwischen deren Teilnehmern. Aber diese Kooperation läuft in weiten Teilen ohne Mitbestimmung der Mitglieder ab und je größer die betrachtete Gesellschaft ist umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Medianteilnehmer bei Entscheidungsprozessen unterrepräsentiert ist.


[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Tiefer_Staat

BenutzerGa4gooPh

Re: Buch: "Fassadendemokratie und Tiefer Staat"

Beitrag von BenutzerGa4gooPh » 26.09.2017 18:29:18

Hikaru, ich habe deine Links nun endlich mal ge lesen. Mir fehlt auch etwas Konkretation. Habe mal weiter gesucht.
Heute gibt es gigantische Machtstrukturen, die weder demokratisch legitimiert, noch durch Wahlen zu beseitigen sind. "Die Situation ist fast aussichtslos", so der Professor. Im Saal könnte man eine Stecknadel fallen hören. Dabei ist es dem Neoliberalismus, der nichts mit dem klassischen Liberalismus zu tun hat, gelungen, staatliche Strukturen für eigene Interessen, jene der Reichen und Konzerne, zu übernehmen. So belegt eine Studie der Universität Princeton, dass die Meinung der Bevölkerung "fast null Einfluss auf politische Entscheidungen" hat.
https://deutsch.rt.com/meinung/50175-me ... -illusion/
Ich habe hierzu auch etwas gefunden - aber da kann man wohl leicht Verschwörungstheorien aufsitzen. Verifikation traue ich mir nicht zu:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=40074

Nun, ganz offensichtlich werden wichtige Ämter der Legislative, Exekutive und Judikative und der 4. Macht Medien nicht demokratisch legitimiert besetzt. Dgl. findet in der EU statt. Oder wie sind Oettinger und Stoiber dahin gelangt? Und dauerhafte, einflussreiche Posten und Ämter führen immer zu Eliten und Vetternwirtschaft von Eliten untereinander. Die Strukturen sind gegen Änderungen "betoniert". Die oft propagierte, angebliche Gewaltenteiling muss mir noch bewiesen werden.

Nicht grundlos sind Hürden für Volksentscheide und Volksbefragung hoch, für GG-Aenderungen durch Eliten niedrig.

Die internationale Zusammenarbeit (finanz-) wirtschaftlicher, politischer, militärischer, geheimdienstlicher Kreise im imperialistischem (Neuwort: neoliberal) Interesse ist unübersehbar. Das kann auch Public Relation Management oder Propaganda nicht mehr unter den Teppich kehren.

Ich halte es ganz einfach (sinngemäß) mit Marx:
Der Staat ist das Machtinstrument der herrschenden Klasse zur Unterdrückung anderer Klassen und hat die kapitalistischen Eigentums- und Produktionsverhältnisse zu sichern und die Erzielung von Maximalprofiten zu ermöglichen. Die sogenannte repräsentative Demokratie entspricht genau dem und ist schon von den Begrifflichkeiten her Sand in den Augen. Mausfeld hingegen schreibt um den heißen Brei. Eventuell auch nur die Zitierer und Interviewer - mit Absicht?! Der heiße Brei ist die Offenlegung der konkreten, aktuellen und eigentlichen internationalen Machtstrukturen. Daraufhin kann man über Änderungen nachdenken. Die Mittel der Eliten (PR, Propaganda, Soziologie, Psychologie etc.) sind vielleicht nachrangig. Ist ja wohl logisch und offensichtlich, dass das Volk so beeinflusst wird, dass.es seine Ausbeuter immer wieder selber wählt. Dazu muss ab und an halbherzig und unwesentlich reguliert werden (Umweltschutz, Verbraucherschutz, Arbeitsrecht ... ). :wink:

Herzlichen Dank für die Denkanstöße!
Zuletzt geändert von BenutzerGa4gooPh am 26.09.2017 19:01:42, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Buch: "Fassadendemokratie und Tiefer Staat"

Beitrag von novalix » 26.09.2017 19:01:13

hikaru hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
26.09.2017 13:35:48
Ich meine nicht, dass Menschen in großen Gruppen nicht zusammenarbeiten KÖNNEN, sondern dass sie es nicht WOLLEN.

Wahrscheinlich ist es häufig sogar so, dass sie durchaus auch wollen (zumindest in ihrer Selbstzuschreibung), aber schlicht und einfach nicht auf die Kette bekommen.
Es ist ja auch richtig, dass der Bezug zu einer größeren Gruppe von Menschen nicht unter den selben psychologischen und sozialen Vorzeichen steht, wie der "familiäre" Bezug zu einer Peer-Group.[1]
hikaru hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
26.09.2017 13:35:48
Beim Rest deines Beitrags vermisse ich den Themenbezug zum Konzept der Demokratie. Natürlich leben wir in einer großen Gesellschaft (je nach Blickwinkel sogar in einer Globalen) und natürlich gibt es weitreichende Kooperation zwischen deren Teilnehmern. Aber diese Kooperation läuft in weiten Teilen ohne Mitbestimmung der Mitglieder ab und je größer die betrachtete Gesellschaft ist umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Medianteilnehmer bei Entscheidungsprozessen unterrepräsentiert ist.
Der vornehmliche Grund warum ich mich auf Deine Formulierung von der "Natur des Menschen" "gestürzt" habe, ist der, dass nach meiner Auffassung ein Konzept der Demokratie ohne ein humanistisches Menschenbild letztlich eine leere Hülse bleibt.

Da weiter oben schon Milton Friedman ins Spiel gebracht wurde, können wir die ubiquitären Neoliberalen als Versuchstiere sezieren. Deren ganze Weltanschauung beruht ja auf der axiomatischen und reduktionistischen Annahme der Mensch sei nichts anderes als eine Bedürfnisbefriedungsmaschine. Eine ausschließlich dem Eigenwohl verpflichtete biologische Entität, letztlich zu keiner anderen Regung als der Gier wirklich fähig.

Dieses "Konzept" des Menschen ist korrupterweise verführerisch, weil es eine eingebaute Verantwortungsdiffusion mit liefert, und da stehen wir alle drauf; vor allem dann, wenn es mal wieder mit der Zusammenarbeit knifflig wird.
Vom "Selfish Gene" des Trottels Dawkins bis zum "Sozial ist, was Arbeitsplätze schafft" vom König der Trottel, dieser Mist hat Konjunktur als vermeintliches Welterklärungsmodell.
Ich habe mir in meinem vorigen Beitrag deswegen mal erlaubt einen Vertreter des amerikanischen Pragmatismus dagegen zu stellen, auch um die demokratische Kultur dieses Landes ein wenig zu würdigen.

@Mausfeld
Ich finde in seinem Text einiges, was ich ähnlich sehe. Es stören mich zwei Punkte erheblich:

1. Der Alarmismus
Eine wirklich sachliche Betrachtung der Verhältnisse sollte ohne apokalyptische Akrobatik auskommen, selbst dann, wenn das Ende wirklich nah ist (gerade dann).

2. Die Repräsentation als die Wurzel aller Übel
Die repräsentative Demokratie ist sicherlich nicht das Paradies auf Erden. Sie kann unterlaufen werden, wie wir es momentan ja auch an vielen Stellen konstatieren können. Aber sie ist nicht zu diesem Zweck erschaffen worden. Das ist motherfucking Verschwörungstheorie. So gescheit sind die Illuminati nicht.
In der Herleitung finde ich auch nichts vom konstituven Korrektiv des Rechts. Selbstverständlich kann die Justiz auch unterlaufen werden (und das wird sie ja auch), aber sie bleibt eben doch ein fundamentales Korrektiv zum beliebigen Machtmißbrauch.

Zusätzlich zu Deiner bereits erfolgten Kritik an Mausfelds Beispiel der "wahren" Demokratie Athens muss man dann ja noch erwähnen, dass in deren Blütezeit der Schierlingsbecher ein häufig gebrauchtes Requisit war. Sokrates war da nur das prominenteste Beispiel. Jeder konnte jeden denunzieren und mit einem geschickten Rhetor und Sophisten die ansonsten eher den Unterhaltungs- als den Wahrheitswert suchende Menge dazu bringen, das erwünschte Urteil zu fällen, Prosit. Klingt irgendwie nach Brexit

[1] Ferdinand Tönnies hat die Unterschiede zwischen Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung sehr präzise und fruchtbar heraus gearbeitet. https://de.wikipedia.org/wiki/Gemeinsch ... sellschaft
Das Wem, Wieviel, Wann, Wozu und Wie zu bestimmen ist aber nicht jedermannns Sache und ist nicht leicht.
Darum ist das Richtige selten, lobenswert und schön.

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