guennid hat geschrieben: 29.07.2018 09:37:25
hikaru hat geschrieben:Du glaubst ja nicht an Emergenz, jedenfalls nicht in dem Maße wie ich es tue. [...] Ohne Emergenz zerfällt "der Staat" nämlich in seine Einzelakteure
Ich denke, das ist nicht ganz stringent gedacht. Jedenfalls möchte ich eher dem "jedenfalls nicht in dem Maße wie ich es tue" zustimmen.
Ja, ich habe es mir etwas einfach gemacht, um dich aus der Reserve zu locken.
Meine grundsätzliche Frage an dich bleibt aber:
Was ist für dich die Grundlage der Vertrauensbeziehung zwischen dir und "deinem Staat", bzw. präziser von dir in "deinen Staat"? Ich sehe nämlich keine, weshalb ich auch kein Vertrauen in "meinen Staat" habe - nicht weil ich "meinen Staat" für vertrauensunwürdig halte, sondern weil ich prinzipiell das Konzept von Vertrauen nicht für auf Staaten anwendbar halte.
guennid hat geschrieben: 29.07.2018 09:37:25
Im (deutschsprachigen) Wikipedia-Artikel zur Emergenz werden als Vertreter ausschließlich Wissenschaftler anglo-amerikanischer Provenienz aufgeführt.
Nach meiner Wahrnehmung basiert dortiges Denken sehr stark auf empiristischen Grundannahmen, die dann im Bereich der Ethik im Utilitarismus münden.
Im Artikel sind bei Weitem nicht nur Anglo-Amerikaner erwähnt.
Ob deine Wahrnehmung zutrifft weiß ich nicht. Ich kenne den Begriff "Emergenz" ursprüngklich aus dem Psychologieunterricht in der Schule, insbesondere zum Thema Gestaltpsychologie. [1] Meiner Wahrnehmung nach stehen dessen Vertreter nicht unter Verdacht, überdurchschnittlich oft "Utilitaristen" zu sein. Aber selbst wenn es so wäre, sähe ich darin erst mal kein Problem.
guennid hat geschrieben: 29.07.2018 09:37:25
hikaru hat geschrieben: Ich gehe aber davon aus, dass er das nicht tun wird [mich angreifen, guennid], weil er bei einem Vertrauensbruch den Verlust meiner Gunst als schwerwiegender ansehen wird, als den Vorteil, den er ggf. dadurch erlangt mich zu verraten.
Grundmuster utilitaristischen Kalküls. Ich mag nicht glauben, dass das die Basis der Verhälnisses zur "besten Frau der Welt" ist.
Das glaube ich dir gern.
(Wir können das gern ohne Smilies vertiefen, was ich aber nur machen möchte, wenn du wirklich daran interessiert bist, denn das Thema hat das Potenzial Weltanschauungen zu verändern. Ich weiß noch, wie schön kuschelig es sich vorher angefühlt hat, und das will ich dir nicht kaputt machen.)
guennid hat geschrieben: 29.07.2018 09:37:25
das letztlich auf Thomas Hobbes zurückgehende utilitaristische Axiom des egozentrischen Menschen halte ich für widersprüchlich, damit für falsch.
Ein "Axiom des egozentrischen Menschen" von Hobbes ist mir nicht bekannt. Falls du damit seine Auffassung meinst, dass es außer dem Recht auf individuelle Selbsterhaltung keine universellen (Natur)Rechte gibt, dann kann ich mit der Bezeichnung leben. Ich würde das aber nicht utilitaristisch bezeichnen, denn im Utilitarismus geht es ja darum, der größtmöglichen Anzahl von Menschen das bestmögliche Leben zu ermöglichen. Mit "axiomatisch egozentrischen Menschen" ist dieses Ziel nicht erreichbar.
Generell sehe ich Hobbes zwiespältig. Ich teile einige seiner Schlussfolgerungen, finde oft aber seine Herleitungen problematisch. Allerdings weiß ich dann wieder nicht, ob diese Probleme nur auf den begrenzten wissenschaftlichen Erkenntnissen seiner Zeit beruhen, oder ob es echte Denkfehler seinerseits sind. Dafür habe ich mich nicht tiefgründig genug mit ihm beschäftigt.
guennid hat geschrieben: 29.07.2018 09:37:25
Kann es sein, dass das Emergenz-Konzept einem empiristischen Ansatz eigentlich widerspricht?
Warum? Ich würde eher zum Gegenteil tendieren:
Gerade empiristische Ansätze mit ihrem begrenzten Blick "vom Ende her" neigen dazu, Phänomene als emergent zu bezeichnen, die sich bei näherem Hinsehen auch ohne Emergenz erklären ließen.
Da ist man dann auch schnell bei der Emergenzkritik, nämlich bei dem Punkt, das "Emergenz" gern als Restmülltonne für alles herhalten muss, was man sich nur aufgrund fehlender Detailkenntnisse nicht erklären kann.
guennid hat geschrieben: 29.07.2018 09:37:25
Patriotismus: Der 2015 gefallene Satz der Kanzlerin "Wir schaffen das." hat mir ziemlich imponiert.
Er hätte mir imponiert, wenn er in seiner Vision fuktioniert hätte. Damit meine ich nicht mal unbedingt abgeschlossene Ergebnisse vom Typ "Wir haben es geschafft", sondern einen immer noch ergebnisoffenen Prozess.
Leider hat sich herausgestellt (und das ist eigentlich keine Überraschung), dass sich im Zweifel doch jeder der Nächste ist. Gerade die "2+4-Staaten" (Bayern & Ostereich + Visegrád) haben das "Wir schaffen das" konsequent torpediert. Ich wette, wenn das historisch nicht so belastet wäre, dann gäbe es an einigen europäischen Grenzen schon wieder Selbstschussanlagen.
Ich muss sagen, dass ich mich ehrlich schäme, dass "Heimat-Horst" "mein Innenminister" ist. Mir wird auch ganz anders in der Magengegend beim Gedanken daran, dass die in Bayern seit Gründung der BRD ohne Pause durchregierende CSU bei der nächsten Landtagswahl mit dem Versuch in's Rennen gehen wird, die AfD rechts zu überholen. Sowas ist die "Schwesterpartei" von Merkels "Wir schaffen das"-CDU.
Ich habe kein Problem mit den paar abgehobenen Knallköppen, solche gibt's immer. Aber die sind demokratisch gewählt. Die Leute ticken wirklich so, dass sie im grölenden Mob dabei zusehen wie andere Menschen ersaufen. Und dann versuchen sie es tatsächlich noch damit zu rechtfertigen, dass die Flüchtlinge* sich ja "freiwillig" wochenlang eingepfercht durch die Sahara karren, und sich auf löchrigen Schlauchbooten auf dem Mittelmeer aussetzen lassen, so als wäre das ein Abenteuerurlaub.
guennid hat geschrieben: 29.07.2018 09:37:25
Ich denke schon, dass man Regeln/Indizien finden kann, die es erlauben, auch persönlich unbekannten Personen ein Stück weit zu vertrauen.
Auf persönlicher Ebene sicherlich. Ich kann z.B. jemandem vertrauen, der mir von einem guten Freund empfohlen wurde, denn mein Freund wird daran interessiert sein, mir nicht zu schaden. Und wenn der Dritte mein Vertrauen in ihn bricht, dann fällt das als schlechte Empfehlung auf meinen Freund zurück.
Genau diese Zwischenposition meines Feundes, der bei einer schlechten Empfehlung mein Vertrauen in ihn zu verlieren hat fehlt aber im Verhältnis zwischen mir und einem mir unbekannten dritten Staatsdiener.
guennid hat geschrieben: 29.07.2018 09:37:25
Oha, ich fürchte, jetzt bin ich wieder ziemlich weit weg von Sozialkreditsystemen. Was das angeht, versuch' ich's mal mit ENGSOZ konterkarierendem ENGSOZ: "Weniger ist mehr!"
Freiheit ist Sklaverei!
[1]
https://de.wikipedia.org/wiki/Gestaltpsychologie
*) Ob die humanitär oder wirtschaftlich motiviert flüchten ist mir sch*egal, genauso wie es den flüchtenden Eltern egal ist, ob ihre Kinder von anderen Kindersoldaten abgeknallt werden oder schlicht an Krankheiten sterben, weil sie sich kein sauberes Trinkwasser leisten können.