Lesetipp: "Losing Earth"

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hikaru
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Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von hikaru » 03.04.2019 21:05:52

(... oder warum "Fridays For Future" 30 Jahre zu spät kommt.)

Hallo,

am Sonntag lief kurz vor Mitternacht im ARD-Magazin "ttt" ein Beitrag über ein Buch von Nathaniel Rich mit dem Titel "Losing Earth: The Decade We Almost Stopped Climate Change", welches die Anfänge des politischen Kampfes gegen den Klimawandel in den USA zwischen 1979 und 1989 darstellt. [1]
Der Beitrag wirkte wie der Teaser eines Katasprophenfilms. Fiktive Alternativweltgeschichten (mit guter Story), welche die Grundlagen menschlichen Zusammenlebens neu definieren, finde ich spannend. Die Geschichte ist nicht fiktiv und spielt auch nicht in einer Alternativwelt, also war eine gute (realistische) Story garantiert.

Bei weiterer Recherche stieß ich darauf, dass der Text des Buches letztes Jahr auf der Website der New York Times veröffentlicht wurde. [2] Das war in den letzten drei Tagen meine Abendlektüre.
Der Prolog stellt die Ausgangssituation dar und liest sich auch hier wie der Klappentext einer Katastrophengeschichte. Die beiden Hauptteile beschreiben dann die politischen Aktivitäten einiger Wissenschaftler und Journalisten um das Thema in den öffentlichen Fokus zu rücken und lesen sich streckenweise wie ein Krimi. Der Epilog hat zweckoptimistische Züge nach dem Motto: "Schön war die Erde! Machen wir das Beste aus dem was kommt!"


[1] https://pdvideosdaserste-a.akamaihd.net ... 384160.mp4 (6 Min. 179MB)
[2] https://www.nytimes.com/interactive/201 ... earth.html

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McAldo
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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von McAldo » 11.04.2019 11:31:43

Krasser Beitrag.
Was mir immer unklar ist bei sowas ..., die Leute die alles Leugnen und so darstellen als wäre es nicht so schlimm ..., die haben doch oft auch Nachkommen. Vielleicht erlebt der eine oder andere Leugner die wirklichen Auswirkungen nicht mehr, weil schon zu alte. Aber die Nachkommen werden doch voll betroffen sein. Wieso können die dann weiter ohne Gewissen ihren Mist verbreiten?

Oder haben die alle einen Plan(et) B von dem die normale Bevölkerung nichts weiß?
Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte.
Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen.
Achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten.
Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter.
Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.
(Talmud)

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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von hikaru » 11.04.2019 13:31:44

Lass mich darauf mit einem Zitat aus dem Text antworten:
Losing Earth hat geschrieben:Gore asked when the planet would reach a point of no return — a “trigger point,” after which temperatures would spike. “I want to know,” Gore said, “whether I am going to face it or my kids are going to face it.”

“Your kids are likely to face it,” Calvin replied. “I don’t know whether you will or not. You look pretty young.”
It occurred to Hansen that this was the only political question that mattered: How long until the worst began?
Die dahinterstehende Haltung lässt sich im Grunde auf einen einzelnen Satz kondensieren:
Nach mir die Sintflut!

PS: Die aktuelle Ausgabe der "Anstalt" vom 9.4. befasste sich im weiteren Sinn auch mit dem Thema, mit Greta Thunberg und Andreas Scheuer auf einem sinkenden Kreuzfahrtschiff. (Wiederholung 14.4. 21:00 3sat und 16.4. 2:25 ZDFneo)
Die Sendung zählte mMn mit zu den besten der Serie, ersetzt aber "Losing Earth" nicht.

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Dogge
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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von Dogge » 11.04.2019 13:39:26

Die Folge von "Die Anstalt" kann man sich auch unabhängig von Sendeterminen jederzeit in der Mediathek anschauen:

Code: Alles auswählen

mpv https://www.zdf.de/comedy/die-anstalt/die-anstalt-vom-9-april-2019-100.html
Mpv benötigt youtube-dl um den Link direkt abspielen zu können.
Debian Testing + Gnome | Linux-Anfänger seit 04/2003
http://files.mdosch.de/2014-07/0xE13D657D.asc

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heisenberg
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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von heisenberg » 12.04.2019 03:04:16

Danke für den Hinweis. Interessanter Stoff.

Ich frage mich ja schon auch immer, wie krass da manipuliert wird, wenn man in Talk-Sendungen dann einzelne Autoren/Wissenschaftler ausgräbt, die den Klimawandel leugnen/verharmlosen und denen im Fernsehen auch noch eine Plattform gibt, um ja die Tatsachen wieder in Zweifel zu ziehen(Z. B. Gerd Ganteför bei Sloterdijk im literarischen Quartett) und beim Volk dann Verwirrung zu stiften, nach dem Motto: Na die Experten sind sich ja selbst noch nicht Mal einig. Sagt mir Bescheid wenn's was definitives gibt.

Auch von der Sendung von Joachim Bublath - Fernsehbegleiter meiner Kindheit/Jugend - war ich jetzt im Nachhinein von seiner Sendung zum Thema Klimawandel 2007 in einzelnen Statements sehr verwundert. "Diese Klimarechenmodelle taugen alle nix." Die eingespielte Visualisierung sah da aber ganz anders aus.

Aber ja: Ich gehe Mal davon aus, dass das Szenario jetzt wie bisher vorgezeichnet beginnt: Dürre, extreme Wetterlagen, Nahrungsknappheit, Hungerkatastrophen, Massensterben. Und das ist für mich jetzt alles andere als distanzierter Fatalismus, als viel mehr fassungslose Hilflosigkeit angesichts überwältigender globaler Ignoranz und geistige sowie praktische Vorbereitung, was da wohl kommen wird und wie ich meinen Beitrag in der Situation gestalten kann.
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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von reox » 12.04.2019 09:02:52

heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
12.04.2019 03:04:16
Ich frage mich ja schon auch immer, wie krass da manipuliert wird, wenn man in Talk-Sendungen dann einzelne Autoren/Wissenschaftler ausgräbt, die den Klimawandel leugnen/verharmlosen und denen im Fernsehen auch noch eine Plattform gibt, um ja die Tatsachen wieder in Zweifel zu ziehen
Na weißt eh, wenn sie das nicht machen kommt irgendwer angekrochen und erklärt, der Sender würde unausgewogen berichten und bestimmte Meinungen bevorzugen :facepalm:
Das Problem ist eigentlich auch, dass in solchen Sendungen diesen Leuten nicht einfach mal die Meinung gesagt wird - aber mit Argumenten brauchst denen ja nicht kommen.
Wie sagt man so schön “Never argue with stupid people, they will drag you down to their level and then beat you with experience.”

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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von cronoik » 13.04.2019 18:59:03

heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
12.04.2019 03:04:16
...
und denen im Fernsehen auch noch eine Plattform gibt, um ja die Tatsachen wieder in Zweifel zu ziehen(Z. B. Gerd Ganteför bei Sloterdijk im literarischen Quartett) und beim Volk dann Verwirrung zu stiften, nach dem Motto: Na die Experten sind sich ja selbst noch nicht Mal einig. Sagt mir Bescheid wenn's was definitives gibt.
Da keiner so clever ist das er dies fuer jegliche Themen fehlerfrei entscheiden kann, ist dass der einzig richtige Kompromis. Ein Informationsmedium sollte Informationen liefern und nicht fuer eine bestimmte "Stimmung" im Volk sorgen. Der Paternalismus ist selten der richtige Weg.
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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von heisenberg » 16.04.2019 11:38:36

Grundsätzlich finde ich es auch gut, viele Informationen zu bieten und unterschiedliche Standpunkte. Für ein Massenmedium wie Fernsehen fände ich es hierbei schon wünschenswert, wenn man hier im Voraus eine gewisse Qualitätskontrolle durchführt, so dass man Informationen anführt, die eine gewisse Plausibilität haben.

Das schließt solche Zusammenstellungen wie Safranski, Sloterdijk, Schätzing, Ganteför für mich schon mal aus, weil Ganteför als Autor eines Sachbuches, dass vor Veröffentlichung durch keinen breiten Untersuchungsprozess gelaufen ist, wie z. B. die Artikel in Fachpublikationen. Den sehe ich da fast auf einer Stufe mit Schätzing und seinem Buch zur Unterhaltung. Da Ganteför in der Konstellation als Sachbuchautor als Experte schien, was er selbst nicht ist(und auch nicht behauptet hat, sondern ihm nur unterstellt wurde) wurden seine "Expertenaussagen" größtenteils als Tatsache für die Grundlage der Diskussion angenommen.

Zu Joachim Bublath, den ich da auch kritisiert habe, muss ich erst mal sagen, dass meine Kritik da jetzt erst mal nur eine persönliche emotionale Aussage ist, ohne das jetzt mal genauer betrachtet zu haben. Seine Art und sein Selbstverständnis als Wissenschaftsjournalist, der sich in alle möglichen Ansätze zur Thematik einliest und diese neutral nebeneinander präsentiert finde ich prinzipiell bereichernd.

Im speziellen zum Thema Klimawandel sehe ich dass jetzt aber deutlich anders. Bereits im 19. Jahrhundert gab es erste Stimmen aus der Wissenschaft, die diese mögliche Problematik sahen. Seit Mitte der 1950er Jahren wurden Daten gesammelt und es gab umfangreiche Forschung zu dem Thema. Der verlinkte Artikel sagt dazu: Nearly everything we understand about global warming was understood in 1979. D. h. es kann keine Frage mehr sein, ob es Auswirkungen gibt oder nicht, sondern nur noch, was man dagegen tun kann. Natürlich kann man auf dem verbleibenden Rest der Unsicherheit rumreiten, bis man merkt, dass der steigende Meeresspiegel an der Türschwelle des eigenen Hauses steht, bevor man sich wirklich überzeugen lässt.

Und ja: Grundsätzlich ist auch Erziehung zur Medienkompetenz ein Wert und ein Auftrag, den man als Masssenmedium haben kann: Die Gewissenhafigkeit, die Informationen zu prüfen, bevor man sie als gültig ansieht.

Wenn ich dabei allerdings die Schulung zu Medienkompetenz und das Verhindern der globalen Katastrophe gegenüberstelle, dann habe da wahrscheinlich nicht nur ich eine gewisse Präferenz.

Insofern sehe ich hier in vielen Fällen andere Interessen und Akteure im Spiel, die sich auf die Suche nach den seltenen Exemplare der Klimawandelleugnern, -skeptikern und -verharmlosern begeben um diese für Ihre Interessen zu nutzen.

Ein paar Kritiken zu den beiden genannten Sendungen/Personen:

Carl-Friedrich Schleussner zum Philosophischen Quartett(Sloterdijk,Safranski,Ganteför,Schätzing)
https://scilogs.spektrum.de/klimalounge ... -quartett/

Stefan Rahmstorf antwortet auf die Aussage von Joachim Bublath, dass Klimasimulationsmodelle für Vorhersagen unbrauchbar sind.(Absatz 10. Klimasimulationen im Computer )
http://www.pik-potsdam.de/~stefan/alven ... entar.html
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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von heisenberg » 29.04.2019 08:34:27

Für alle, die das Thema Klimawandel auch sehr Ernst sehen, hier noch mal der Link zu Extinction Rebellion(XR). XR ist eine Widerstandsbewegung, die sich zum Ziel gemacht hat, mit den Mitteln des zivilen Ungehorsams zu stören und aufzurütteln und die breite Masse zu motivieren.

https://extinctionrebellion.de/

Auf der Startseite ist ein Einführungsvideo zum Thema: Status Klimawandel, Aussichten, Gefahren, Status der Berichterstattung und Aufbau der Bewegung. Das Ganze unaufgeregt ruhig, sachlich aber nichts desto trotz mit der notwendigen Dringlichkeit. Dauer: 100 Min.

Zitat daraus:
Wir haben unser ganzes Leben lang in Frieden und Wohlstand gelebt und kennen es nicht anders, Wohingegen die Geschichte oftmals von Kriegen und Phasen extremen Hungers geprägt waren. Woher nehmen wir die Sicherheit, dass es immer so bleibt, wie es jetzt ist?
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hikaru
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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von hikaru » 30.04.2019 11:25:45

heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
29.04.2019 08:34:27
Für alle, die das Thema Klimawandel auch sehr Ernst sehen, hier noch mal der Link zu Extinction Rebellion(XR). XR ist eine Widerstandsbewegung, die sich zum Ziel gemacht hat, mit den Mitteln des zivilen Ungehorsams zu stören und aufzurütteln und die breite Masse zu motivieren.
Noble Absicht! Ich fürchte nur leider, dass es aussichtslos ist.
Die Schritte die jetzt nötig wären um das 2-Grad-Ziel* zu erreichen sind so radikal, dass es schwer wäre es zu erreichen, selbst wenn es momentan eine globale gesellschaftliche und politische Mehrheit gäbe, konsequent darauf hinzuarbeten. Diese Mehrheit gibt es aber nicht. Selbst in Deutschland, das global gesehen zumindest gesellschaftlich wohl vergleichsweise sensibel für das Thema ist, gibt es diese Mehrheit nicht. Von Staaten wie den USA, China und Brasilien ganz zu schweigen.
Ich glaube, es wird auch spätestens in 10 Jahren eine Art klimapolitischer Fatalismus einsetzen, wenn es auch theoretisch nicht mehr möglich sein wird, die aktuellen Klimaziele zu erreichen. Dann wird man nicht den Anspruch haben, wenigstens das 3-Grad-Ziel zu halten, wenn man schon 2 Grad nicht mehr schafft, sondern "Party machen" bis es kracht.

Was mir außerdem in den Medien oft auffällt ist, dass das Thema Umweltschutz in seiner aktuellen Form (Klimawandel, Artenschutz) oft auf die Person Greta Thunberg reduziert wird. Nun habe ich nichts gegen sie persönlich, aber diese Verengung der Wahrnehmung ist mMn schädlich für die Behandlung des Themas.
Sie ist unzweifelhaft eine wichtige Galionsfigur, ähnlich wie es seinerzeit Edward Snowden zum Thema Datenschutz war. Aber genau wie das Thema Datenschutz im Grunde wieder in der Versenkung verschwunden ist, seitdem Snowden nicht mehr "hip" ist, denke ich, dass etwas Ähnliches auch mit der Umweltschutz-Thematik passieren wird. Ich vermute, in 5 Jahren wird es das eine oder andere Gesetz in die Richtung geben, ähnlich wie es heute die DSGVO gibt, aber an der grundsätzlichen gesellschaftlichen und politischen Einstellung wird sich nichts geändert haben.

Mich würde außerdem mal interessieren, warum die Umweltbewegung in ihrer aktuellen Form erst jetzt aufkam. Greta war sicher ein wichtiger Katalysator, aber sie hat das Thema ja nicht erfunden. Warum hat z.B. meine Generation (Mitte 30) nicht vor 20 Jahren schon so einen Aufstand gemacht? An fehlenden Erkenntnissen lag es jedenfalls nicht. Alles was wir jetzt sehen (Klimawandel, Flüchtlinge) hat uns meine Geografielehrerin schon damals auf 5 Jahre genau prophezeit.

Von mir selbst ausgehend würde ich behaupten, dass es eine Mischung aus drei Faktoren war:
1. Die Maschinerie der Klimawandelskeptiker war damals schon voll im Gange. Es war für mich damals nicht möglich zu beurteilen, welche Seite Recht hat.
2. 20 Jahre waren zu weit weg. Als Jugendlicher konnte ich nicht soweit vorausdenken um unmittelbaren Handlungsbedarf zu erkennen. Das hängt eng mit 1. zusammen.
3. Fehlende interaktive Massenmedien. Facebook, Youtube usw. gab Mitte bis Ende der 90er nicht. Eine breite Informierung unabhängig von zentralen Massenmedien (TV, Zeitungen) war damals zwar nicht mehr unmöglich, aber sehr schwer. Geschätzt hatten damals 50% meiner Klassenkameraden Zugang zu einem Computer, wiederum davon höchstens 20% mit Internet. Das beste "soziale Netzwerk" das ich aus dieser Zeit kenne waren Kettenmails - oft mit zweifelhafter Reputation, wenn die Quelle von außerhalb des persönlichen Bekanntenkreises stammte. Usenet und Foren waren uns damals unbekannt.
Selbst wenn es damals eine Greta gegeben hätte, hätten wir sie wegen 1., 2. und 3. wohl kaum für voll genommen.
heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
29.04.2019 08:34:27
Auf der Startseite ist ein Einführungsvideo zum Thema: Status Klimawandel, Aussichten, Gefahren, Status der Berichterstattung und Aufbau der Bewegung. Das Ganze unaufgeregt ruhig, sachlich aber nichts desto trotz mit der notwendigen Dringlichkeit. Dauer: 100 Min.
Gibt es die Inhalte auch schriftlich?
Ich schaue mir das Video sicher mal an, aber wenn ich die Wahl habe, würde ich es lieber lesen.
heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
29.04.2019 08:34:27
Zitat daraus:
Wir haben unser ganzes Leben lang in Frieden und Wohlstand gelebt und kennen es nicht anders, Wohingegen die Geschichte oftmals von Kriegen und Phasen extremen Hungers geprägt waren. Woher nehmen wir die Sicherheit, dass es immer so bleibt, wie es jetzt ist?
So isoliert sieht mir das Zitat recht kleinkariert aus. Wenn ich davon ausgehe, dass das Zitat von jemandem in meinem Alter stammt, dann lässt es sich über diese Spanne nicht mal auf Europa anwenden (Jugoslawienkriege). In Anbetracht dessen, dass es hier wohl um DAS globale Problem schlechthin geht, halte ich den Fokus für zu eng.
Abschließend beurteilen möchte ich das aber nicht, ohne das Video (oder seine inhaltliche Transkription) zu kennen.


*) Nehme ich hier mal als Schallgrenze, weil nach allem was ich gelesen habe das die Grenze zwischen beherrschbarer und unbeherrschbarer Katastrophe markiert.

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heisenberg
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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von heisenberg » 30.04.2019 13:04:08

hikaru hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 11:25:45
Noble Absicht! Ich fürchte nur leider, dass es aussichtslos ist.
Die Schritte die jetzt nötig wären um das 2-Grad-Ziel zu erreichen sind so radikal, dass es schwer wäre es zu erreichen,...
Ja. Das mag sein und ist wahrscheinlich so. Der Vortrag spricht selbst z. B. von einer 1% Chance, die Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen zu können, 2% dass 2 Grad erreichbar sind. Als realistischer Bereich wird irgend etwas zwischen 2 - 5 Grad Celsius angesehen. Die meisten Berichte werden drastisch entschärft, um nicht sofort in die Alarmistenecke gestellt zu werden. Auch beim IPCC ist wohl eine Bearbeitungsebene, die für die nötige politische Kompatitbilität sorgt, d. h. dass Berichte grundsätzlich deutlich abgemildert werden. Von den Kipppunkten wird gar nicht geredet.

Meine persönlichen Gedanken dazu sind: Der Zug für das aufhalten des Problems abgefahren. Jetzt geht es um Schadensbegrenzung. Sterben 10% der Menschheit oder 95%?

Das Motto der Bewegung ist auch: Es gibt keine Hoffnung mehr - lasst uns handeln!

> ... DSGVO ...

Big Data, KI, DSGVO sind zweifelsohne große Gefahren. Aber im Vergleich zu einem kaputten Planeten ist die Auseinandersetzung mit Google lächerlich klein. ... First things first. ;-)
Ich schaue mir das Video sicher mal an, aber wenn ich die Wahl habe, würde ich es lieber lesen.
Im Vortrag werden aktuelle Erkenntnisse genannt mit Referenzen auf Veröffentlichungen, die man damit finden kann.
Wir haben unser ganzes Leben lang in Frieden und Wohlstand gelebt und kennen es nicht anders, Wohingegen die Geschichte oftmals von Kriegen und Phasen extremen Hungers geprägt waren. Woher nehmen wir die Sicherheit, dass es immer so bleibt, wie es jetzt ist?
So isoliert sieht mir das Zitat recht kleinkariert aus. Wenn ich davon ausgehe, dass das Zitat von jemandem in meinem Alter stammt, dann lässt es sich über diese Spanne nicht mal auf Europa anwenden (Jugoslawienkriege). In Anbetracht dessen, dass es hier wohl um DAS globale Problem schlechthin geht, halte ich den Fokus für zu eng.
Den meisten der westlichen Welt dürfte es so gehen. Es geht mir nicht darum durch die Medien über Krieg/Hunger/Gewalt informiert zu werden, sondern darum, das wirklich am eigenen Leib zu erfahren. Und ich glaube, dass haben die Wenigsten. Das schlimmste ist doch bei uns, wenn mal das Internet ausfällt, oder die Bahn mal eine Stunde Verspätung hat.

In einigen Gebieten auf der Erde sieht's mittlerweile etwas anders aus und das ist es, was kommt.
... unterhält sich hier gelegentlich mangels wunschgemäßer Gesprächspartner mal mit sich selbst.

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hikaru
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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von hikaru » 30.04.2019 14:14:44

heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 13:04:08
Der Vortrag spricht selbst z. B. von einer 1% Chance, die Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen zu können,
Ich glaube aufgeschnappt zu haben, dass selbst diese 1% nur noch statistische Modellunsicherheit sind.
heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 13:04:08
2% dass 2 Grad erreichbar sind.
Die Chancen auf 2 Grad wären wohl ganz gut (>60%), wenn wir es denn schaffen würden, bis 2030 global klimaneutral zu leben (also wirklich alle Menschen und dann nicht nur bezogen auf die CO₂-Bilanz). Jedenfalls meine ich sowas in der Art aus den öffentlichen Äußerungen von Leuten vom PIK entnommen zu haben.
Natürlich ist das in der Praxis utopisch und wenn man, wie Deutschland, gerade mal das Ziel ausgibt, bis 2038 den Kohleausstieg geschafft zu haben, dann ist das Ziel auch theoretisch nicht haltbar.
heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 13:04:08
Als realistischer Bereich wird irgend etwas zwischen 2 - 5 Grad Celsius angesehen.
Was laut Losing Earth u.a. nur verschiedene Abstufungen von "globale Katastrophe" bedeuten würde - angefangen von weitreichenden Verteilungskämpfen unter Abschottung der Indutriestaaten bis hin zu weltweitem Zivilisationskollaps.
heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 13:04:08
Die meisten Berichte werden drastisch entschärft, um nicht sofort in die Alarmistenecke gestellt zu werden. Auch beim IPCC ist wohl eine Bearbeitungsebene, die für die nötige politische Kompatitbilität sorgt, d. h. dass Berichte grundsätzlich deutlich abgemildert werden. Von den Kippeffekten wird gar nicht geredet.
Ist das zielführend? Wäre es nicht sinnvoller, die Lage so zu kommunizieren, wie sie die Modelle hergeben?
heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 13:04:08
Das Motto der Bewegung ist auch: Es gibt keine Hoffnung mehr - lasst uns handeln!
Klingt wie der Losing-Earth-Epilog. Ich habe Freunde mit Kindern, welche bei normaler Lebenserwartung das Jahr 2100 erleben werden.
Für mich ist ja alles nach 2060 schon "Bonus". Mich würde mal interessieren, wie das die heutige Jugend beurteilt. Haben die schon die geistige Klarheit wirklich zu erkennen, dass einige von ihnen im Alter dabei sein werden, wenn die Punkte überschritten werden, die wir heute als Katastropheneintritt ansehen? Was denken die über ihre Zukunft, jenseits vom zweckoptimistischen Demo-Hurra?
heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 13:04:08
Big Data, KI, DSGVO sind zweifelsohne große Gefähren. Aber im Vergleich zu einem kaputten Planeten ist die Auseinandersetzung mit Google lächerlich klein. ... First things first. ;-)
Das ist bezüglich der Priorisierung sicher richtig, halte ich so pauschal aber für falsch. Ich sehe jedenfalls keinen Gewinn darin, in einer leidlich intakten Natur, aber einer Orwell'schen Gesellschaft zu leben.
heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 13:04:08
Im Vortrag werden aktuelle Erkenntnisse genannt mit Referenzen auf Veröffentlichungen, die man damit finden kann.
Gibt es diese Referenzen außerhalb des Videos? Ich hatte auf Anhieb nichts gesehen, es könnte aber auch sein, dass ich meinen Browser nicht weit genug aufgemacht habe.
heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 13:04:08
Es geht mir nicht darum durch die Medien über Krieg/Hunger/Gewalt informiert zu werden, sondern darum, das wirklich am eigenen Leib zu erfahren. Und ich glaube, dass haben die Wenigsten.
Das ist sicher richtig, aber ich bin auch gar nicht scharf auf Erste-Hand-Erfahrungen. Die Berichte von Bekannten reichen mir da vollkommen.

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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von heisenberg » 30.04.2019 16:08:43

Wäre es nicht sinnvoller, die Lage so zu kommunizieren, wie sie die Modelle hergeben?
Das ist eine der Forderungen von XR: Sagen, was Sache ist.
Haben die schon die geistige Klarheit wirklich zu erkennen, dass einige von ihnen im Alter dabei sein werden, wenn die Punkte überschritten werden, die wir heute als Katastropheneintritt ansehen? Was denken die über ihre Zukunft, jenseits vom zweckoptimistischen Demo-Hurra?
Auf eine Demo zu gehen ist ja schon mal ein erster positiver Schritt in Richtung bewusst werden.
Gibt es diese Referenzen außerhalb des Videos?
Keine Ahnung. Habe ich nicht nach geschaut. Ich sehe zumindest teilweise benannte Referenzen im Video.(IPCC Bericht 2013, PIOMAS September Minimum Arctic Ice Volume, ...). Wenn es Dich interessiert, sollte es Dir ein leichtes sein, die Referenzen aus dem Video zu extrahieren. Andere Themen scheinen da breit diskutiert(Eis-Albedo-Rückkopplung, ...) Ansonsten gibt's auch noch das englische Original(xrebellion.org), was etwas anders aussieht und wo man auch nochmal graben könnte.
... unterhält sich hier gelegentlich mangels wunschgemäßer Gesprächspartner mal mit sich selbst.

TomL

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von TomL » 30.04.2019 16:14:51

hikaru hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 11:25:45
Die Schritte die jetzt nötig wären um das 2-Grad-Ziel* zu erreichen sind so radikal, dass es schwer wäre es zu erreichen, selbst wenn es momentan eine globale gesellschaftliche und politische Mehrheit gäbe, konsequent darauf hinzuarbeten. Diese Mehrheit gibt es aber nicht.
Das ist genau der Aspekt, an dem das Verstehen bei mir aussetzt und ich keine Vorstellung mehr davon habe, ab wann ich wie wirklich betroffen bin... denn vielleicht ist dieser radikale Ansatz schon längst auf den Weg gebracht. :roll:

Alle reden davon, dass es Autos mit fossilen Brennstoffen in naher Zukunft nicht mehr geben wird.
Alle reden davon, dass E-Autos die Alternative sind.
Alle reden aber auch davon, dass Strom immer teurer wird... es gibt seit Jahren eine steigende Tendenz wg. erneuerbarer Energien.

Aber niemand redet davon, wenn es nur noch E-Autos gibt, der Strom dafür aber eigentlich gar nicht mehr bezahlbar ist, dass es dann gar keine private Mobilität mehr im bisherigen Umfang gibt, weil die Menschen mit dem vor Jahren auf den Weg gebrachten Niedrig-Entlohnungs-Systems das Geld mehrheitlich für Wohnen und Essen brauchen und sich den teuren Strom fürs Auto schlichtweg nicht mehr leisten können. Für die Arbeitsplatz-Flexibilität wird dann durch die hohen privaten Fahrzeug-Kosten ein Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel quasi erzwungen. Was zudem noch den positiven (*boar* eine geradezu kranke Phantasie) hätte, wenn die Leute kein Geld mehr für Fahrzeug und Brennstoff benötigen, könnte man damit vermeiden, den bisherigen Niedriglohn anheben zu müssen, damit die Leute nicht verhungern.

Wenn all das so käme, dann ist meiner Meinung nach ein wirklich radikaler Schritt längst auf den Weg gebracht, dessen wahrer Kern den Menschen hier im Land wie bei vielen anderen 'Projekten' in den letzten 2 Jahrzehnten demokratisch auch jetzt wieder verheimlicht wird. Im Moment macht mir unsere Politik und unser politisches System einer mit einer Lähmungspritze paralysierten Demokratie regelrecht Angst.

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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von hikaru » 30.04.2019 17:37:10

heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 16:08:43
Auf eine Demo zu gehen ist ja schon mal ein erster positiver Schritt in Richtung bewusst werden.
Ist das so?
Ich glaube, ich wäre in dem Alter auch auf solche Demos gegangen, aber das heißt nicht, dass ich die Tragweite des Problems begriffen hätte. Ich hatte abseits der reinen Mathematik als Jugendlicher einfach keine Vorstellung davon, was 20 Jahre in Bezug auf Lebenserfahrung sind - ich tue mich ehrlich gesagt immer noch damit schwer.
Das ist nicht als Kritik an den Jugendlichen gemeint. Es ist nur ein himmelweiter Unterschied, ob man Jahreszahlen addiert, oder ob man die selbe Zeitspanne Erfahrungen gesammelt und eine Vorstellung davon entwickelt hat, was "das Leben" in der Zeit macht.

TomL hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 16:14:51
Das ist genau der Aspekt, an dem das Verstehen bei mir aussetzt und ich keine Vorstellung mehr davon habe, ab wann ich wie wirklich betroffen bin... denn vielleicht ist dieser radikale Ansatz schon längst auf den Weg gebracht. :roll:
Ich würde dann erwarten, etwas in die Richtung zu sehen. Aber das tue ich nicht.
Wenn der wissenschaftliche Konsens unter Klimatologen ist, dass der Planet bis 2030 klimaneutral handeln muss um das Minimalziel zu erreichen, dann kann ich mich nicht mit Diskussionen einzelner Nationalstaaten abgeben, die das Ziel haben, fast ein Jahrzehnt nach der Deadline ein Teilziel zu erreichen. Dann muss geklotzt werden, und zwar global und gestern.
TomL hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 16:14:51
Alle reden davon, dass es Autos mit fossilen Brennstoffen in naher Zukunft nicht mehr geben wird.
Alle reden davon, dass E-Autos die Alternative sind.
Alle reden aber auch davon, dass Strom immer teurer wird... es gibt seit Jahren eine steigende Tendenz wg. erneuerbarer Energien.

Aber niemand redet davon, wenn es nur noch E-Autos gibt, der Strom dafür aber eigentlich gar nicht mehr bezahlbar ist, dass es dann gar keine private Mobilität mehr im bisherigen Umfang gibt,
Eben deshalb ist das ganze E-Mobilitäts-Zeug Augenwischerei - und zwar auf mehreren Ebenen.

Wir haben weder jetzt noch auf absehbare Zeit die Infrastruktur, um regenerativ genug Energie bereitzustellen um unseren bisherigen Lebensstil aufrechtzuerhalten. Das ist nicht nur eine Frage der Ausbaugeschwindigkeit, sondern ein Grundsätzliches: Einige regenerative Energieformen (v.A. Biokraftstoffe, aber auch Wasserkraft) stehen in Flächenkonkurrenz zu anderen Wirtschafts- (Nahrungsanbau) und Umweltaspekten (z.B. Wälder, Flusslandschaften). Andere sind schwankungsbehaftet (Solar, Wind). Sollen diese grundlastfähig werden, so müssen Speicherwerke in entsprechender Größe her.
Wer das mit im Idealfall klimaneutraler Atomkraft auffangen will, muss sagen, wie er deren Umweltkosten (Gefahr von Unfällen, betreute Lagerung von Abfall über Jahrzehntausende) nachhaltlig trägt. Ich glaube keinem der behauptet, dass er das seriös kann.

Außerdem muss die Energie nicht nur erzeugt, sondern auch mobil gespeichert werden. Bekannte Konzepte wären Akkus und Wasserstoff. Lithiumbasierte Akkus haben ihrerseits eine schlechte Umweltbilanz und ich meine, es wäre sogar fraglich, ob überhaupt genug Lithium zur Verfügung steht um den derzeitigen weltweiten Verkehr damit auszurüsten. Was ich schon gesehen habe: Ganze Lagerhallen voller Lithium- und Bleiakkus als Pufferspeicher für Solar- und Windkraftwerke - umwelttechnisch völlig hirnrissig.
Wasserstoff hat wohl über die gesamte Nutzungskette gesehen eine eher schlechte Energiebilanz. Das ist kein grundsätzliches Problem, erhöht aber den Bedarf bei der Energieerzeugung.
Eine weitere Alternative könnten synthetische Kraftstoffe sein. Wie nahe die an der Marktreife sind und wie da die Energiebilanz bei nachhaltiger Erzeugung (falls möglich) aussieht weiß ich nicht. Damit bräuchte man aber keine E-Mobilitäts-Revolution.

Im Endeffekt halte ich eine nachhaltige Energieversorgung auf dem Stand des heutigen Bedarfs für utopisch. Man muss also entweder Abstriche bei der Energiemenge oder bei der Nachhaltigkeit machen.
Abstriche bei der Energiemenge halte ich nur sehr begrenzt für politisch umsetzbar, da diese sofort politisch bestraft werden. Daher wird der Hauptteil weiterhin zu Lasten der Nachhaltigkeit gehen, denn hier zeigt das eigene Verhalten erst 20 Jahre später Wirkung und jeder aktuelle Politiker kann sagen: Ich war's nicht!

Aber das ist ja nicht nur ein Problem der "großen Politik", sondern auch jedes Einzelnen. Wenn wir hier im Thread alle ernsthaft darauf hinarbeiten wollten, dem Klimawandel zu begegnen, dann gäbe es diesen Thread gar nicht, denn keiner von uns würde noch einen Computer einschalten, bzw. hätte ihn erst gar nicht gekauft - ja, wäre in vielen Fällen nicht mal der Erwerbstätigkeit nachgegangen, mit welcher er das Geld für den Computer oder dessen Betrieb erwirtschaftet hat.

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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von cronoik » 30.04.2019 18:23:37

heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
16.04.2019 11:38:36
Grundsätzlich finde ich es auch gut, viele Informationen zu bieten und unterschiedliche Standpunkte. Für ein Massenmedium wie Fernsehen fände ich es hierbei schon wünschenswert, wenn man hier im Voraus eine gewisse Qualitätskontrolle durchführt, so dass man Informationen anführt, die eine gewisse Plausibilität haben.
Ich habe jetzt lange ueber diese Thematik nachgedacht, aber ich kann mir nicht vorstellen wie dies umgesetzt werden soll ohne die Gefahr dass dies vielleicht fuer andere Zwecke missbraucht wird. Ich kenne die von dir genannt Leute nicht genug um mich hierzu aeussern zu koennen, aber was haettest du beispielsweise mit der Studie von Christoph Buchal, Hans-Dieter Karl und Hans-Werner Sinn [1] gemacht? Viele wussten ja sofort dass dies eine Gefaelligkeitsstudie ist, aber gelesen beziehungsweise verstanden hatten sie wenige. Fuer mich war die Studie hingegen ein wichtiger Beitrag. Oder was ist damals als die Regierung aus der Atomenergie ausgestiegen ist. Haettest du mich durch die Qualitaetskontrolle gelassen wenn meine Auffassung wie heute ist, dass wir damals aus der Kohle haetten aussteigen sollen und nicht aus der Atomenergie? Ich erwarte natuerlich auch einen gewissen Anspruch, aber es ich sehe nicht wie dies umgesetzt werden soll. Wenn es mir nicht passt, dann muss ich einfach abschalten und gut.
heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
16.04.2019 11:38:36
Im speziellen zum Thema Klimawandel sehe ich dass jetzt aber deutlich anders. Bereits im 19. Jahrhundert gab es erste Stimmen aus der Wissenschaft, die diese mögliche Problematik sahen. Seit Mitte der 1950er Jahren wurden Daten gesammelt und es gab umfangreiche Forschung zu dem Thema. Der verlinkte Artikel sagt dazu: Nearly everything we understand about global warming was understood in 1979. D. h. es kann keine Frage mehr sein, ob es Auswirkungen gibt oder nicht, sondern nur noch, was man dagegen tun kann. Natürlich kann man auf dem verbleibenden Rest der Unsicherheit rumreiten, bis man merkt, dass der steigende Meeresspiegel an der Türschwelle des eigenen Hauses steht, bevor man sich wirklich überzeugen lässt.
Ist es nicht das was uns als Menschen auszeichnet? Wir reagieren erst wenn wirklich etwas passiert ist. Zwei Schritte vorauszudenken ist nicht wirklich die Staerke unserer Spezies. Vieles was heute beschlossen wird sind doch nur Alibimassnahmen (Frankreich steigt aus der Kohle aus, Deutschlands "Energiewende"), denn viele Menschen sind zu radikalen Veraenderungen bereit solange sie nicht selbst betroffen sind (Irgendeine Partei forderte mal das wir 'nur noch dreimal im Jahr fliegen' duerfen. Viele Leute die sich Sorgen ums Klima machen fragten sich daraufhin, warum noch so oft gefolgen werden soll).
heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
16.04.2019 11:38:36
Wenn ich dabei allerdings die Schulung zu Medienkompetenz und das Verhindern der globalen Katastrophe gegenüberstelle, dann habe da wahrscheinlich nicht nur ich eine gewisse Präferenz.

Insofern sehe ich hier in vielen Fällen andere Interessen und Akteure im Spiel, die sich auf die Suche nach den seltenen Exemplare der Klimawandelleugnern, -skeptikern und -verharmlosern begeben um diese für Ihre Interessen zu nutzen.
Ich denke man will sich eher vor dem Vorwurf schuetzen nicht neutral zu agieren. Ich vermute auch, dass bei den Ursachen "irgendein Typ erzaehlt etwas von der Klimawandel ist nicht real" und "ich merke davon nichts" letztere eher Einfluss auf das handeln der Menschen hat.
hikaru hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 11:25:45
Was mir außerdem in den Medien oft auffällt ist, dass das Thema Umweltschutz in seiner aktuellen Form (Klimawandel, Artenschutz) oft auf die Person Greta Thunberg reduziert wird. Nun habe ich nichts gegen sie persönlich, aber diese Verengung der Wahrnehmung ist mMn schädlich für die Behandlung des Themas.
Ist es nicht schon immer so das wir Menschen uns an einzelnen Personen aufhaengen? Es waren die Pharaonen die die Pyramiden gebaut haben, Alexander der Persien besiegt hat, Elon Musk der den Tesla gebaut und mit eigener Rakete in den Weltraum geschossen hat, aber hatten sie nicht alle einen Koch dabei [2]?
hikaru hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 11:25:45
Mich würde außerdem mal interessieren, warum die Umweltbewegung in ihrer aktuellen Form erst jetzt aufkam. Greta war sicher ein wichtiger Katalysator, aber sie hat das Thema ja nicht erfunden. Warum hat z.B. meine Generation (Mitte 30) nicht vor 20 Jahren schon so einen Aufstand gemacht? An fehlenden Erkenntnissen lag es jedenfalls nicht. Alles was wir jetzt sehen (Klimawandel, Flüchtlinge) hat uns meine Geografielehrerin schon damals auf 5 Jahre genau prophezeit.

Von mir selbst ausgehend würde ich behaupten, dass es eine Mischung aus drei Faktoren war:
1. Die Maschinerie der Klimawandelskeptiker war damals schon voll im Gange. Es war für mich damals nicht möglich zu beurteilen, welche Seite Recht hat.
2. 20 Jahre waren zu weit weg. Als Jugendlicher konnte ich nicht soweit vorausdenken um unmittelbaren Handlungsbedarf zu erkennen. Das hängt eng mit 1. zusammen.
3. Fehlende interaktive Massenmedien. Facebook, Youtube usw. gab Mitte bis Ende der 90er nicht. Eine breite Informierung unabhängig von zentralen Massenmedien (TV, Zeitungen) war damals zwar nicht mehr unmöglich, aber sehr schwer. Geschätzt hatten damals 50% meiner Klassenkameraden Zugang zu einem Computer, wiederum davon höchstens 20% mit Internet. Das beste "soziale Netzwerk" das ich aus dieser Zeit kenne waren Kettenmails - oft mit zweifelhafter Reputation, wenn die Quelle von außerhalb des persönlichen Bekanntenkreises stammte. Usenet und Foren waren uns damals unbekannt.
Selbst wenn es damals eine Greta gegeben hätte, hätten wir sie wegen 1., 2. und 3. wohl kaum für voll genommen.
Ich bin mal frech und sage das es in Mode ist fuer das Klima zu sein. Das finde ich nicht schlimm, aber es zeigt auch die Grenzen auf. Wie viele der Demonstranten weigern sich denn gegen eine Urlaubsflugreise, wahrscheinlich deutlich weniger. David Riesmann hat zum außengeleiteten Menschen mal ein wunderbares Buch geschrieben [3], was ich an dieser Stelle mal empfehlen moechte. Wie bereits geschrieben finde ich es toll dass die Jugend mal fuer das Klima demonstriert. Auch wenn ich denke dass eine Demonstration nach der Schulzeit besser waere, denn dann koennten die "Alten" nicht auf der Schulpflicht rumreiten und muessten sich mal inhaltlich aeussern. Das Argument dass die Demonstration dann ihre Wirkung verlieren wuerde halte ich fuer falsch, denn in der Politik schreibt man Bildung klein und falsch.

Zu den von dir genannten Punkten moechte ich noch einen vierten hinzufuegen. Ich persoenlich denke dass man erst mit dem System leben muss und erst mit dem Erreichen einer gewissen Position innerhalb des Systems eine Aenderung herbeifuehrt.

heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 13:04:08
Big Data, KI, DSGVO sind zweifelsohne große Gefahren. Aber im Vergleich zu einem kaputten Planeten ist die Auseinandersetzung mit Google lächerlich klein. ... First things first. ;-)
Na ja wenn wir wirklich einen Mangel an Personen im Regierungsapparat haetten, dann wuerde ich dir auch zustimmen, aber die Themen lassen sich auch parallel angehen. Was fehlt ist der Wille in der Politik und in der Bevoelkerung.
hikaru hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 14:14:44
Mich würde mal interessieren, wie das die heutige Jugend beurteilt. Haben die schon die geistige Klarheit wirklich zu erkennen, dass einige von ihnen im Alter dabei sein werden, wenn die Punkte überschritten werden, die wir heute als Katastropheneintritt ansehen? Was denken die über ihre Zukunft, jenseits vom zweckoptimistischen Demo-Hurra?
Ich vermute das es wenigen tatsaechlich klar ist, denn der Wandel muss sehr radikal sein. Auf Oekostrom umzustellen reicht nicht. Es heisst auch weniger (oder keine?) Flugreisen mehr, weniger (oder kein?) Rindfleisch, weniger Konsum (Klamotten laenger tragen, Smartphones laenger nutzen beziehungsweise ueberhaupt nur noch wenn es wirklich notwendig ist), weniger Individualverkehr und so weiter. Dennoch finde ich die Demos ausserhalb der Schulzeit fuer eine richtige Sache.
TomL hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 16:14:51
Alle reden davon, dass es Autos mit fossilen Brennstoffen in naher Zukunft nicht mehr geben wird.
Alle reden davon, dass E-Autos die Alternative sind.
Alle reden aber auch davon, dass Strom immer teurer wird... es gibt seit Jahren eine steigende Tendenz wg. erneuerbarer Energien.

Aber niemand redet davon, wenn es nur noch E-Autos gibt, der Strom dafür aber eigentlich gar nicht mehr bezahlbar ist, dass es dann gar keine private Mobilität mehr im bisherigen Umfang gibt, weil die Menschen mit dem vor Jahren auf den Weg gebrachten Niedrig-Entlohnungs-Systems das Geld mehrheitlich für Wohnen und Essen brauchen und sich den teuren Strom fürs Auto schlichtweg nicht mehr leisten können. Für die Arbeitsplatz-Flexibilität wird dann durch die hohen privaten Fahrzeug-Kosten ein Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel quasi erzwungen. Was zudem noch den positiven (*boar* eine geradezu kranke Phantasie) hätte, wenn die Leute kein Geld mehr für Fahrzeug und Brennstoff benötigen, könnte man damit vermeiden, den bisherigen Niedriglohn anheben zu müssen, damit die Leute nicht verhungern.

Wenn all das so käme, dann ist meiner Meinung nach ein wirklich radikaler Schritt längst auf den Weg gebracht, dessen wahrer Kern den Menschen hier im Land wie bei vielen anderen 'Projekten' in den letzten 2 Jahrzehnten demokratisch auch jetzt wieder verheimlicht wird. Im Moment macht mir unsere Politik und unser politisches System einer mit einer Lähmungspritze paralysierten Demokratie regelrecht Angst.
Das empfinde ich als einen wichtigen Punkt und ein Punkt in dem die Politik auch nicht ehrlich ist. Es gibt viele Probleme ("Energiewende", Euro, Zuwanderung, Steuerlast, Altersarmut...) mit denen die die weniger gut situierten Menschen konfrontiert sind und auch noch staerker konfrontiert werden, fuer die man sich in Berlin mal ehrlich machen muesste und sich den Leuten mal wieder von vorne bis hinten erklaert. Das macht man aber nicht, aus Gruenden die mir unbegreiflich sind. Es wird lediglich reagiert auf die letzte Minute und Schuld sind immer die anderen (Manager, Superreiche, Umwelthilfe, Nazis und was weis ich noch). Zum Abschluss wundert man sich dann natuerlich warum die Leute sich Parteien zuwenden die lediglich vermeintliche Loesungen anbieten. Ich vermute das sich "die" Leute einfach von diesen Parteien gehoert fuehlen, egal was die fuer eine Loesung anbieten.

[1] https://www.cesifo-group.de/DocDL/sd-20 ... -04-25.pdf
[2] http://www.sgipt.org/wisms/geswis/brecht.htm
[3] http://www2.hu-berlin.de/sachbuchforsch ... /w004.html
Zuletzt geändert von cronoik am 01.05.2019 03:53:49, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von guennid » 30.04.2019 18:37:07

Eigentlich sollte jeder denkende Mensch hikarus differenzierten und unideologischen Überlegungen nachvollziehen können.
hikaru hat geschrieben:Abstriche bei der Energiemenge halte ich nur sehr begrenzt für politisch umsetzbar, da diese sofort politisch bestraft werden.
Da bin ich nicht ganz so pessimistisch. Ich glaube an die sanfte Kraft der Vernunt. Aber wer das politisch versuchte, brauchte einen langen Atem und dürfte sich vom Zeitgeist nicht beeinflussen lassen. Den Sportsfreund sehe ich aber aktuell auch nicht.

Was vielleicht noch bedacht werden sollte: Wenn ich recht sehe, gibt's nicht nur Verlierer bei der Erderwärmung.

Grüße, Günther

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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von hikaru » 30.04.2019 22:51:21

Ich habe mir jetzt das von heisenberg erwähnte Video angeschaut. Da mir mein ziemlich vernagelter Browser das Video ohne Weiteres nicht zeigen wollte und ich nicht auf gut Glück alle Scheunentore aufreißen wollte, habe ich den Link aus dem Quellcode gepult. [1]
Was mir vorher nicht klar war: Es ist keine Dokumentation, welche originär schriftliche Inhalte bunt präsentiert, sondern ein Vortrag in einem Hörsaal, welcher zwar ganz klar auf dem IPCC-Bericht fußt, darüber hinaus aber durchaus einen eigenen Charakter hat. Insofern ziehe ich meinen Wunsch (und die damit unterschwellig vorgebrachte Kritik) nach einem Schriftstück zurück.

Der Vortrag gliedert sich grob in zwei Hälften: Die erste Hälfte stellt eher faktenorientiert die Ergebnisse des IPCC-Berichts dar, die Zweite appelliert unaufgeregt an die Emotionen der Zuhörer und leitet daraus und aus Teil 1 politische Handlungsempfehlungen für "Extinction-Rebellion"-Sympathisanten ab. Teil 1 war sehr anschaulich.
Ich fürchtete anfangs, dass Teil 2 eine weitere der viel zu oft gehörten zahnlosen Weltverbesserungsbetteleien wird, kriegt dann aber schnell die Kurve und wird zur unmissverständlichen Revolutionsaufforderung. Klare Botschaft von Extinction Rebellion ist Gewaltlosigkeit. Zahnlos wird es deshalb nicht, weil Gewaltbereitschaft gegen Andere hier durch eigene Opferbereitschaft in Form von zivilem Ungehorsam bis zur Verhaftung ersetzt wird. Ich bin skeptisch, ob der Ansatz tragfähig ist, finde ihn aber auf jeden Fall sympathischer.

cronoik hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 18:23:37
Ist es nicht schon immer so das wir Menschen uns an einzelnen Personen aufhaengen?
Ja, natürlich. Aber das schadet eben oft der Sache.
cronoik hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 18:23:37
Ich bin mal frech und sage das es in Mode ist fuer das Klima zu sein.
Das ist sicher richtig. Und wird wohl auch kaum einer bestreiten, das insbesondere die Jugend der Mode folgt. Das sehe ich erstmal weder positiv noch negativ. Da stellen sich aber gleich wieer zwei Fragen:
1. Was hat vor 20 Jahren gefehlt, um diese "Klima-Mode" in meiner Generation auszulösen?
2. Was passiert mit den heutigen Aktivisten und dem Thema, wenn die aktuelle Mode wechselt? Das Thema verschwindet ja nicht einfach so, nur weil es nicht mehr "in" ist.
cronoik hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 18:23:37
Wie bereits geschrieben finde ich es toll dass die Jugend mal fuer das Klima demonstriert. Auch wenn ich denke dass eine Demonstration nach der Schulzeit besser waere, denn dann koennten die "Alten" nicht auf der Schulpflicht rumreiten und muessten sich mal inhaltlich aeussern. Das Argument dass die Demonstration dann ihre Wirkung verlieren wuerde halte ich fuer falsch, denn in der Politik hat man BIldung schreibt man Bildung klein und falsch.
Ich halte es für richtig und notwendig, das die Demonstrationen während der Unterrichtszeit stattfinden. Nur dadurch werden sie tatsächlich zum "Streik" und überhaupt öffentlich wahrgenommen. Die Demonstranten gehen dadurch bewusst Risiken ein und erfüllen so gewissermaßen die oben angesprochene Forderung von "Extinction Rebellion" zur persönlichen Opferbereitschaft.
Andererseits finde ich es auch wichtig, dass sie dafür vom "Establishment" (Schulen, Politik) ordentlich Gegenwind kriegen. Nur so kann die "Rebellion" ihren Charakter als solchen behalten. Das zeigt den Schülern einerseits, dass man manchmal für seine Ziele kämpfen (und teils auch verlieren) muss und verlagert andererseits den Aufhängepunkt des "Widerstands", weg von der eher "unwichtigen" Klimapolitik hin zur systemtragenden Wirtschaftspolitik. Die Schüler setzen durch ihre Aktionen nicht nur ihren eigenen Schulabschluss auf's Spiel, sondern in der Masse auch die Zukunft des "Wirtschaftsstandorts Deutschland". Genau das ist mMn nötig um dem eigentllcihen Thema Klimaschutz Gehör zu verschaffen.

Wäre ich Lehrer, ich würde meinen Schülern wohl folgenden Kompromiss anbieten: Ich lasse an Freitagen keine Leistungskontrollen schreiben, ziehe ansonsten aber regulären Unterricht durch, dessen Inhalt später abgefragt wird. Wie sie den mitkriegen ist ihr Problem (sie könnten z.B. 1 bis 2 Protokollanten abstellen).
Falls sie selbstständig auf die Idee kämen, meinen Unterricht an einen anderen, mir genehmen Termin zu verlegen, würde ich darauf eingehen.
cronoik hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 18:23:37
Zu den von dir genannten Punkten moechte ich noch einen vierten hinzufuegen. Ich persoenlich denke dass man erst mit dem System leben muss und erst mit dem Erreichen einer gewissen Position innerhalb des Systems eine Aenderung herbeifuehrt.
Ich verstehe den Zusammenhang nicht. Wenn du meinst, dass ich damals nicht aktiv wurde, weil mir die Systemerfahrung fehlte, warum wird die heutige Jugend dann aktiv?
cronoik hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 18:23:37
Das empfinde ich als einen wichtigen Punkt und ein Punkt in dem die Politik auch nicht ehrlich ist. Es gibt viele Probleme ("Energiewende", Euro, Zuwanderung, Steuerlast, Altersarmut...) mit denen die die weniger gut situierten Menschen konfrontiert sind und auch noch staerker konfrontiert werden, fuer die man sich in Berlin mal ehrlich machen muesste und sich den Leuten mal wieder von vorne bis hinten erklaert. Das macht man aber nicht, aus Gruenden die mir unbegreifflich sind.
Das ist gar nicht so schwer zu verstehen. Du musst dich nur von der Vorstellung lösen, dass beim Durchschnittspolitiker der gesellschaftliche Gestaltungswunsch stärker ist, als der Kleber zwischen seinem Hintern und seinem Postenstuhl. Solche Politiker gibt es zweifelslos, aber eben selten in kritischer Masse.
Ein Politiker der welche Änderung auch immer anstrebt bekommt im Schnitt von der Hälfte seiner Wähler Anerkennung und von der anderen Hälfte Buh-Rufe. Dann ist es Glücksspiel, ob er in seinem Stuhl sitzen bleiben darf oder nicht. Wenn er gar nichts tut darf er auf jeden Fall (sehr lange) sitzen bleiben. Das ist simple Spieltheorie. Insofern ist die Merkel-Raute durchaus ein Erfolgsrezept und auch nicht neu. Schon der olle Oggersheimer verfolgte in weiten Teilen die selbe Strategie.


[1] https://www.youtube.com/watch?v=eopjw91cxl0

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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von tobo » 30.04.2019 23:20:01

hikaru hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 22:51:21
2. Was passiert mit den heutigen Aktivisten und dem Thema, wenn die aktuelle Mode wechselt? Das Thema verschwindet ja nicht einfach so, nur weil es nicht mehr "in" ist.
Da wäre ich mir nicht so sicher!? Kannst du dich erinnern (inklusive Gesicht dazu)?
https://www.spiegel.de/lebenundlernen/s ... 99759.html
Wird irgendwann wieder ausgegraben und dann politisch wieder ausgesessen...

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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von hikaru » 30.04.2019 23:39:22

Naja, das ist ja ein "normales Problem", an dem sich nicht großartiig was ändert, wenn man es liegen lässt. Da gibt es eben von Zeit zu Zeit einen Amoklauf bei dem ein paar Menschen sterben, dann stöhnen alle mal kurz auf und man geht bald wieder zur Tagesordnung über.
Wenn man den Klimawandel liegen lässt, ohne unseren ökologichen Fußabdruck anzupassen, dann wird es immer extremer.

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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von cronoik » 01.05.2019 03:51:45

hikaru hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 22:51:21
cronoik hat geschrieben: Ist es nicht schon immer so das wir Menschen uns an einzelnen Personen aufhaengen?
Ja, natürlich. Aber das schadet eben oft der Sache.
Der von dir genannte Schaden an der Sache waere ja nur vermeidbar falls auch wirklich alle die 'Sache' verstanden haben und als unterstuetzungswuerdig empfinden. Das waere natuerlich wuenschenswert, aber ist unsere Spezies dazu auch in der Lage? Die 5 Minuten die ich jetzt ins Nachdenken investiert habe, haben mich nicht wirklich erleuchtet. Faellt dir (oder jemand anderem) etwas ein was ein deutlicher Meilenstein der Menschheitsgeschichte ist und lediglich mit einer anonymen Gruppe verbunden wird? Ist es nicht so das weil wir so (sozialorientierte Wesen) sind, dieser "Personenkult' erst entsteht und dadurch die 'Sache' erst stark wird?
hikaru hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 22:51:21
Das ist sicher richtig. Und wird wohl auch kaum einer bestreiten, das insbesondere die Jugend der Mode folgt. Das sehe ich erstmal weder positiv noch negativ. Da stellen sich aber gleich wieer zwei Fragen:
1. Was hat vor 20 Jahren gefehlt, um diese "Klima-Mode" in meiner Generation auszulösen?
2. Was passiert mit den heutigen Aktivisten und dem Thema, wenn die aktuelle Mode wechselt? Das Thema verschwindet ja nicht einfach so, nur weil es nicht mehr "in" ist.
Ich finde nicht dass nur, beziehungsweise insbesondere, die Jugend der Mode folgt. Das aendert sich mit dem Aelterwerden nicht unbedingt (ein Beispiel was mir gerade einfaellt [1]). Zu Frage eins wuerde ich mit zwei Punkten beantworten. Zum einem deinen Punkt 3 (fehlende Massenmedien). Es foerdert die Nachahmung wenn man zeitnah Berichte aus anderen Staedten liest in denen demonstiert wird und sich mit 'Gleichgesinnten' sym­pa­thi­sie­ren kann. Zum anderen ist die Thematik heute deutlich praesenter als noch vor 20 Jahren. Sicherlich hat sich an den Erkenntnissen nichts geaendert, aber die Handlungsintensitaet (ob sinnvoll oder nicht) hat zugenommen. Ich habe letztes Jahr mal ueber eine Studie ueber die ästhetische Wahrnehmung von WIndkraftraedern gelesen (suche ich bei Interesse mal raus). Das Ergebnis der Studie war, dass juengere Menschen Bilder mit Windkraftraedern als schoener empfinden als aeltere Menschen. Es wurde dabei nicht nur das blosse Vorhandensein der Windkraftraeder untersucht, sondern auch die 'ertraegliche' Anzahl. Das Bewusstsein und die Akzeptanz fuer oekologische Themen halte ich in der heutigen Jugend fuer groesser als in deiner Generation.
Das ist auch schon meine Antwort beziehungsweise Vorhersage fuer die zweite Frage. Vielleicht verlaeuft die heutige Bewegung im Sande, aber die Probleme werden zunehmen und deshalb auch das Bewusstsein fuer diese Problematik und die Handlungsbereitschaft. Irgendwann muss die Menschheit dann mal handeln, dass passiert meiner pessimistische Einschaetzung nach vermutlich aber erst wenn man sich mit den Problemen nicht mehr arrangieren kann.
hikaru hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 22:51:21
Ich halte es für richtig und notwendig, das die Demonstrationen während der Unterrichtszeit stattfinden. Nur dadurch werden sie tatsächlich zum "Streik" und überhaupt öffentlich wahrgenommen. Die Demonstranten gehen dadurch bewusst Risiken ein und erfüllen so gewissermaßen die oben angesprochene Forderung von "Extinction Rebellion" zur persönlichen Opferbereitschaft.
Andererseits finde ich es auch wichtig, dass sie dafür vom "Establishment" (Schulen, Politik) ordentlich Gegenwind kriegen. Nur so kann die "Rebellion" ihren Charakter als solchen behalten. Das zeigt den Schülern einerseits, dass man manchmal für seine Ziele kämpfen (und teils auch verlieren) muss und verlagert andererseits den Aufhängepunkt des "Widerstands", weg von der eher "unwichtigen" Klimapolitik hin zur systemtragenden Wirtschaftspolitik. Die Schüler setzen durch ihre Aktionen nicht nur ihren eigenen Schulabschluss auf's Spiel, sondern in der Masse auch die Zukunft des "Wirtschaftsstandorts Deutschland". Genau das ist mMn nötig um dem eigentllcihen Thema Klimaschutz Gehör zu verschaffen.
Grundsaetzlich wuerde ich dir da gern zustimmen, aber Bildung ist leider kein Gut welches von unseren Politikern besonders hochgehalten wird. Deshalb sehe ich darin auch keinen Hebel um tatsaechlich Druck aufzubauen. Der Wirtschaftsstandort Deutschland wird auch seit langer Zeit nicht mehr gepflegt. Ein paar Lobbygesetze werden mal durchgewunken, aber wirkliche Standortpolitik wird in Deutschland meiner Auffassung nach nicht gemacht. Aus diesem Grund bin ich fuer Demonstrationen ausserhalb der Schulzeit, weil ich keinen Mehrwert fuer den Umweltschutz durch Demonstrationen innerhalb der Schulzeit sehe. Letztendlich bin ich allerdings der Auffassung das eine Demonstration innerhalb der Schulzeit besser ist als gar keine Demonstration.
hikaru hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 22:51:21
cronoik hat geschrieben: Zu den von dir genannten Punkten moechte ich noch einen vierten hinzufuegen. Ich persoenlich denke dass man erst mit dem System leben muss und erst mit dem Erreichen einer gewissen Position innerhalb des Systems eine Aenderung herbeifuehrt.
Ich verstehe den Zusammenhang nicht. Wenn du meinst, dass ich damals nicht aktiv wurde, weil mir die Systemerfahrung fehlte, warum wird die heutige Jugend dann aktiv?
Da habe ich mich missverstaendlich ausgedrueckt. Als wir uns damals in der Schule Gedanken ueber irgendwelche Probleme gemacht haben und dafuer Loesungen gesucht haben, kamen wir meistens auf die Loesung, dass man erst irgendetwas werden muss (ein Manager oder ein Politiker) bevor man eine Aenderung herbeifuehren kann (Gorbatschowist hierfuer vielleicht ein gutes Beispiel). Demonstrationen hielten wir eher fuer wirkungslos. Das ist vielleicht auch ein Unterschied zu heute.
hikaru hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
30.04.2019 22:51:21
cronoik hat geschrieben:Das empfinde ich als einen wichtigen Punkt und ein Punkt in dem die Politik auch nicht ehrlich ist. Es gibt viele Probleme ("Energiewende", Euro, Zuwanderung, Steuerlast, Altersarmut...) mit denen die die weniger gut situierten Menschen konfrontiert sind und auch noch staerker konfrontiert werden, fuer die man sich in Berlin mal ehrlich machen muesste und sich den Leuten mal wieder von vorne bis hinten erklaert. Das macht man aber nicht, aus Gruenden die mir unbegreiflich sind.
Das ist gar nicht so schwer zu verstehen. Du musst dich nur von der Vorstellung lösen, dass beim Durchschnittspolitiker der gesellschaftliche Gestaltungswunsch stärker ist, als der Kleber zwischen seinem Hintern und seinem Postenstuhl. Solche Politiker gibt es zweifelslos, aber eben selten in kritischer Masse.
Ein Politiker der welche Änderung auch immer anstrebt bekommt im Schnitt von der Hälfte seiner Wähler Anerkennung und von der anderen Hälfte Buh-Rufe. Dann ist es Glücksspiel, ob er in seinem Stuhl sitzen bleiben darf oder nicht. Wenn er gar nichts tut darf er auf jeden Fall (sehr lange) sitzen bleiben. Das ist simple Spieltheorie. Insofern ist die Merkel-Raute durchaus ein Erfolgsrezept und auch nicht neu. Schon der olle Oggersheimer verfolgte in weiten Teilen die selbe Strategie.
Ja dem stimme ich zu und fuer das einzeilne Individuum verstehe ich die Handlungen auch (im Sinne von Ursache und Wirkung). Es ist dennoch fuer mich gesellschaftlich unbegreiflich (nicht im Sinne von die Ursachen sind mit unklar, sondern warum dies immer noch so ist) da dies zum schlechteren Ergebnis fuehrt. Benjamin Franklin hatte mal gefordert das oeffentliche Aemter nicht so gut entlohnt werden duerften, damit sich wirklich nur Leute finden die den Dienst am Gemeinwohl ueber die eigenen Interessen stellen.

[1] https://books.google.de/books?id=vrhsAg ... &q&f=false
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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von guennid » 01.05.2019 09:40:16

Benjamin Franklin hatte mal gefordert das oeffentliche Aemter nicht so gut entlohnt werden duerften, damit sich wirklich nur Leute finden die den Dienst am Gemeinwohl ueber die eigenen Interessen stellen.
Mit ähnlichen Argumenten hat man auch das Zensuswahlrecht und ähnliche Wahleinschränkungen gefordert. Finanziell lohnt sich das Präsidentenamt in den USA nicht, soweit ich weiß. :wink:

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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von heisenberg » 01.05.2019 12:16:12

Was die persönlichen Beiträge betrifft, so empfinde ich das alleine als bei Weitem als unzureichend. Es ist wichtig, sich auf allen Ebenen umzustellen, keine Frage, doch es braucht die gesamtgesellschaftliche Umkehr.

Dabei habe ich selbst nicht unbedingt die Größenordnung "Auf die Urlaubsreise verzichten" im Kopf, sondern viel massivere Veränderungen, die von jedem Menschen große Opfer verlangen werden:
  • Weitgehende Abschaffung/Reduktion des Individualverkehres
  • Stilllegung schädlicher Industrien und Transformation bestehender
  • Einbinden aller verfügbaren Menschen, um die Veränderung voranzutreiben(Arbeitslosigkeit WTF?)
Das dringlichste Problem scheint mir die Uneinigkeit zu sein. Die AFD, die das Thema Klimawandel als "Irrglauben" betrachtet, hat grob ähnlichen Wählerzuspruch wie die Grünen. Wie kann man da zusammen kommen? Auch in anderen Parteien scheint mir das Anliegen eher strategisch für den Wahlkampf genutzt zu werden.

Vielleicht ist das ein Abwehrmechanismus, eine emotionale Blockade sich mit dieser schrecklichen Katastrophe selbst auch nur auseinander setzen zu wollen.

Mein Anliegen ist es deshalb, Menschen zusammen zu bringen, sich mit den inneren Ballast und Leid auseinander zu setzen, um die Bereitschaft und die Fähigkeit zu steigern, der Wahrheit ins Auge zu sehen zu können.

Ein Bekannter hält es für fragwürdig, mit dem Weg der XR Bewegung gegen Menschen und Politiker zu kämpfen, Druck aufzubauen, auch weil Druck doch auch nur Widerstand und Gegenreaktionen zur Folge hat. Er meint, dass es das schon zur Genüge gab: Occupy, Transition Town, Zeitgeist,... Gab's alles schon. Hat nicht besonders gut funktioniert. Es braucht einen Weg des Miteinanders und nicht des Gegeneinanders.

Nachtrag

Wer die hier angedeuteten Massnahmen für maßlos übertrieben hält, den frage ich, ob es im Vergleich zu einer Umgebung von Krieg, Hunger und Gewalt nicht ein unglaublicher Reichtum ist, in einem Zelt zu schlafen mit ausreichend Wärme und Nahrung, in einer Gemeinschaft von Menschen, die einander so gut wie möglich unterstützen?

Nachtrag 2

Ich habe gerade nochmal nachgeschaut. AFD ist ja deutlich stärker als die Grünen. Was die anderen Parteien betrifft, so haben die ja zumindest in Ihren Grundsatzprogrammen teilweise sehr deutliche Worte dazu, mit Ausnahme der SPD, die das kaum erwähnt. Siehe: https://www.klimafakten.de/meldung/was- ... -stand-der

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hikaru
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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von hikaru » 07.05.2019 12:18:40

cronoik hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
01.05.2019 03:51:45
Der von dir genannte Schaden an der Sache waere ja nur vermeidbar falls auch wirklich alle die 'Sache' verstanden haben und als unterstuetzungswuerdig empfinden.
Ich denke, das ist grundlegend sogar der Fall. Die Gallionsfiguren sind ja nicht beliebig, sondern mit "ihrem" jeweiligen Thema verbunden. Das Thema muss dann aber in der Diskussion untereinander und mit Außenstehenden referenziert werden, und ich denke hier werden dann die Gallionsfiguren der Einfachheit halber zur Projektionsfläche für das Thema.
cronoik hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
01.05.2019 03:51:45
Faellt dir (oder jemand anderem) etwas ein was ein deutlicher Meilenstein der Menschheitsgeschichte ist und lediglich mit einer anonymen Gruppe verbunden wird?
Du hängst die Latte ziemlich hoch. Wenn es auch drei Nummern kleiner geht als "Meilenstein der Menschheitsgeschichte", dann würde ich mal das Anonymous-Netzwerk als Beispiel einwerfen, welches sich ja explizit gegen Vereinnahmung von und durch Personen wehrt. Ich meine, auch Occupy hätte Züge in die Richtung gehabt.
cronoik hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
01.05.2019 03:51:45
Ist es nicht so das weil wir so (sozialorientierte Wesen) sind, dieser "Personenkult' erst entsteht und dadurch die 'Sache' erst stark wird?
Ich vermute, Themenpopularität und Personenkult befeuern sich hier gegenseitig.
cronoik hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
01.05.2019 03:51:45
Zu Frage eins wuerde ich mit zwei Punkten beantworten. Zum einem deinen Punkt 3 (fehlende Massenmedien). Es foerdert die Nachahmung wenn man zeitnah Berichte aus anderen Staedten liest in denen demonstiert wird und sich mit 'Gleichgesinnten' sym­pa­thi­sie­ren kann.
Sicher.
cronoik hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
01.05.2019 03:51:45
Zum anderen ist die Thematik heute deutlich praesenter als noch vor 20 Jahren. Sicherlich hat sich an den Erkenntnissen nichts geaendert, aber die Handlungsintensitaet (ob sinnvoll oder nicht) hat zugenommen.
Da schließt sich für mich sofort wieder die Frage an, warum die Thematik heute präsenter ist als vor 20 Jahren. Ist das auch nur ein Medienphänomen?
cronoik hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
01.05.2019 03:51:45
Grundsaetzlich wuerde ich dir da gern zustimmen, aber Bildung ist leider kein Gut welches von unseren Politikern besonders hochgehalten wird. Deshalb sehe ich darin auch keinen Hebel um tatsaechlich Druck aufzubauen.
Ich denke, hier muss man differenzieren. Wenn man Bildung als die Formung von Kindern und Jugendlichen zu selbstständig und kritisch denkenden Mitgliedern der Gesellschaft im Kant'schen Sinn versteht, dann verdient sich die Politik hier sicher wenig Lorbeeren. Wenn man aber Bildung als die marktkonforme Heranzüchtung zukünftiger Arbeitskräfte und Konsumenten betrachtet, kann man der Politik sicher zumindest ein gewisses Bemühen attestieren. Ob dieses Bemühen geeignet ist, das Ziel zu erreichen steht dann auf einem anderen Blatt. Jugendliche, welche sich dem Bildungsprogramm durch "Streik" entziehen stellen somit durchaus eine potenzielle Gefahr für den zukünftigen Markt dar.
cronoik hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
01.05.2019 03:51:45
Der Wirtschaftsstandort Deutschland wird auch seit langer Zeit nicht mehr gepflegt. Ein paar Lobbygesetze werden mal durchgewunken, aber wirkliche Standortpolitik wird in Deutschland meiner Auffassung nach nicht gemacht.
Das mag so sein, aber dieses Ziel zu verfolgen halte ich bestenfalls für kurzsichtig. Wir leben in einer weitgehend globalisierten Welt. Nationale Standortpolitik läuft auf einen Verdrängungswettlauf zwischen verschiedenen Nationalstaaten hinaus (Exportrennen). Das Ergebnis ist ein Rat Race, bei dem es darum geht, wer sich am tiefsten bückt.
So lange wir nach dem Modell Politik machen, brauchen wir mMn über globale Nachhaltigkeit gar nicht zu sprechen.
cronoik hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
01.05.2019 03:51:45
Als wir uns damals in der Schule Gedanken ueber irgendwelche Probleme gemacht haben und dafuer Loesungen gesucht haben, kamen wir meistens auf die Loesung, dass man erst irgendetwas werden muss (ein Manager oder ein Politiker) bevor man eine Aenderung herbeifuehren kann (Gorbatschowist hierfuer vielleicht ein gutes Beispiel). Demonstrationen hielten wir eher fuer wirkungslos. Das ist vielleicht auch ein Unterschied zu heute.
Das ist ein guter Stichpunkt, ich bin mir aber auch hier nicht sicher, ob ich dich richtig verstehe.
In meiner Erinnerung waren wir damals nicht der Meinung, eine formale Position erreichen zu müssen, um etwas zu ändern. Wir waren vielmehr der Meinung, erst eine gewisse Fachkompetenz entwickeln zu müssen, um ein Thema sinnvoll bearbeiten zu können.
In gewisser Weise ist das eine Spielart von Lindners "den Profis überlassen". Wir meinten, erst selbst Profis werden zu müssen um etwas zu verändern. Der Ansatz klingt schlüssig, ist aber erkennbar gescheitert.
cronoik hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
01.05.2019 03:51:45
Ja dem stimme ich zu und fuer das einzeilne Individuum verstehe ich die Handlungen auch (im Sinne von Ursache und Wirkung). Es ist dennoch fuer mich gesellschaftlich unbegreiflich (nicht im Sinne von die Ursachen sind mit unklar, sondern warum dies immer noch so ist) da dies zum schlechteren Ergebnis fuehrt.
Wenn dir die Ursachen klar sind, warum ist dir dann der aktuelle Zustand unklar? Wenn die Induviduen in der Mehrzahl egoistisch handeln, woher soll dann der Impuls kommen, dass die Gesellschaft als Ganzes anders handelt.
Ich bin ja ein Freund des Konzepts der Emergenz. Aber ich sehe hier keinen emergenten Effekt, der die Summe der Individuen anders handeln ließe als jedes Individuum für sich gesehen.
cronoik hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
01.05.2019 03:51:45
Benjamin Franklin hatte mal gefordert das oeffentliche Aemter nicht so gut entlohnt werden duerften, damit sich wirklich nur Leute finden die den Dienst am Gemeinwohl ueber die eigenen Interessen stellen.
Sinngemäßes Zitat eines FDP-nahen Bekannten als Gegenargumentation:
Wenn öffentliche Ämter gegenüber vergleichbaren Posten in der freien Wirtschaft drittklassig entlohnt werden, dann braucht man sich auch nicht darüber wundern, wenn diese Ämter von drittklassig qualifizierten Personen ausgeübt werden.

heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
01.05.2019 12:16:12
Was die persönlichen Beiträge betrifft, so empfinde ich das alleine als bei Weitem als unzureichend. Es ist wichtig, sich auf allen Ebenen umzustellen, keine Frage, doch es braucht die gesamtgesellschaftliche Umkehr.

Dabei habe ich selbst nicht unbedingt die Größenordnung "Auf die Urlaubsreise verzichten" im Kopf, sondern viel massivere Veränderungen, die von jedem Menschen große Opfer verlangen werden:
  • Weitgehende Abschaffung/Reduktion des Individualverkehres
  • Stilllegung schädlicher Industrien und Transformation bestehender
  • Einbinden aller verfügbaren Menschen, um die Veränderung voranzutreiben(Arbeitslosigkeit WTF?)
In der Sache bin ich bei dir. Deine Forderungen sind aber dermaßen radikal, dass sie im aktuellen Gesellschaftssystem nicht umsetzbar sind. Wer auch immer sowas heute in Angriff nimmt ist morgen heftig unter Beschuss und übermorgen womöglich weg vom Fenster (siehe z.B. das jüngste Interview von Kevin Kühnert und die Reaktionen darauf!). Und die Zeit, das Gesellschaftssytem grundlegend umzubauen haben wir nicht mehr.
heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
01.05.2019 12:16:12
Das dringlichste Problem scheint mir die Uneinigkeit zu sein.
Das ist kein "dringliches Problem" im Sinne einer zu bewältigenden Aufgabe, sondern eine grundlegende Eigenschaft menschlicher Gesellschaft. Es ergibt keinen Sinn, die Lösung des Problems über den Weg der Überwindung der Uneinigkeit zu gehen, denn die Uneinigkeit ist unüberwindbar.
heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
01.05.2019 12:16:12
Die AFD, die das Thema Klimawandel als "Irrglauben" betrachtet, hat grob ähnlichen Wählerzuspruch wie die Grünen. Wie kann man da zusammen kommen? Auch in anderen Parteien scheint mir das Anliegen eher strategisch für den Wahlkampf genutzt zu werden.
Da kann man nicht zusammenkommen, eben weil die Auseinandersetzung nicht inhaltlich, sondern strategisch motiviert ist.
heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
01.05.2019 12:16:12
Vielleicht ist das ein Abwehrmechanismus, eine emotionale Blockade sich mit dieser schrecklichen Katastrophe selbst auch nur auseinander setzen zu wollen.
Ja, ist sie. Zufällig hatte ich gerade am Wochenende eine Diskussion über u.a. Klimawandel mit mehreren Bekannten (alles Studierte, von Ingenieueren bis Sozialwissenschaftlern).
Was mir bei nahezu Allen aufgefallen ist: Es gab wehemente Abwehrmechanismen, das Problem in seiner Schwere anzuerkennen (der IPCC-Bericht wurde z.B. sinngemäß als "Lügenpresse" abgestempelt), oder es gab quasi schon wundergläubige Annahmen darüber, was wir gesellschaftlich oder technisch in den nächsten 10 Jahren erreichen könnten (Stichwort Weltfrieden mit global nachhaltiger Wirtschaftswende).
heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
01.05.2019 12:16:12
Ein Bekannter hält es für fragwürdig, mit dem Weg der XR Bewegung gegen Menschen und Politiker zu kämpfen, Druck aufzubauen, auch weil Druck doch auch nur Widerstand und Gegenreaktionen zur Folge hat. Er meint, dass es das schon zur Genüge gab: Occupy, Transition Town, Zeitgeist,... Gab's alles schon. Hat nicht besonders gut funktioniert. Es braucht einen Weg des Miteinanders und nicht des Gegeneinanders.
Klingt nach "freiwiligen Selbstverpflichtungen". Die funktionieren erfahrungsgemäß auch eher schlecht als recht.


[1] https://books.google.de/books?id=vrhsAg ... &q&f=false
[/quote]

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Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von heisenberg » 07.05.2019 18:31:52

Stärkere und häufigere Hochwasser sind ja hier auch eine der Folgen. Eine extremes Ereignis war ja in "Braunsbach", eine extreme Überschwemmung im Jahre 2016. Eine kleine Serie der Stuttgarter Zeitung 9 Videos von jeweils ca. 1 Min. Länge.

https://www.youtube.com/user/Stuttgarte ... A+die+flut

Und das ist sogar nicht mal nur etwas Negatives. Man hat zusammengeholfen. Man ist wieder zusammengewachsen. Es hat zusammengeschweisst. Die Flutwellen sind durch den Ortskern gewalzt und haben viel Zerstörung angerichtet.

Ein halbes Jahr später haben sich die Leute Urlaub genommen, um in dem wieder aufgebauten Lebensmittelladen im Ort einzukaufen. Das hat mich gerade sehr berührt.

Im Angesicht der Katastrophe erwacht der Gemeinschaftsgeist. Da gab es keine Uneinigkeit mehr. Es die Frage, ob die Katastrophe denn wirklich erst kommen muss?
... unterhält sich hier gelegentlich mangels wunschgemäßer Gesprächspartner mal mit sich selbst.

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