Wie Computer-Neuling helfen?

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TuxPeter
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Re: Wie Computer-Neuling helfen?

Beitrag von TuxPeter » 07.06.2019 23:23:18

Hi,

entschuldigt bitte, dass ich jetzt nicht auf Eure einzelne Beiträge eingehe, das meiste ist ja auch schon gesagt. Ich habe aber, da ich lange Jahre beruflich u. a. damit beschäftigt war, Computerneulingen in EDV-Themen zu unterrichten, diese Diskussion mit besonderem Interesse verfolgt und möchte was dazu beitragen..

1)

Die ganze Entwicklung hin zu den GUIs, Mäusen und Fenstern hat meiner Meinung nach nicht dazu geführt, dass bestimmte Aufgaben, schneller oder besser erledigt werden können als mit einer textuellen Oberfläche.

Ich erinnere mich gut daran, dass beispielsweise bei der Einführung der Maus kritisch angemerkt wurde, dass es für einen Menschen, der einigermaßen mit der Tastatur umgehen kann, eine mittlere Katastrophe ist, wenn er die Grundstellung verlassen muss, um zur Maus zu greifen. Solche Dinge sind aber schon damals in der gerade im Computerbereich grassierenden Fortschritsseuphorie untergegangen. Und das Argument dagegen ist: Es gibt ja gar nichts mehr zu schreiben, es wird ja alles nur angeklickt. Und ein weiteres Argument für die Maus war, dass ja das Auf-etwas-zeigen viel einfacher sei als das Benennen, wie man schon bei kleinen Kindern beobachten könne. Ein Argument, welches ganz und gar vergisst, dass Kleinkinder vielleicht deshalb „da-da“ machen müssen, weil sie die Gegenstände noch gar nicht benennen können.
Böse Zungen haben ja behauptet, die Maus wäre nur eingeführt worden, damit die leitenden Herren, die keine Tastataur beherrschen, auch mit dem Computer spielen können.

Grundsätzlich wäre es für viele Aufgaben tatsächlich leichter, in einer Textumgebung zu arbeiten, allerdings gibt es keine Software dafür …

2)

Für viele EDV-Neulinge war oder ist es äußerst irritierend, wenn die Oberfäche plötzlich anders aussieht als beim vorherigen mal. Ein Menüpunkt, ein Ikon wird nicht so leicht gefunden, wenn er plötzlich anderswo versteckt ist. Geht uns alten EDV-Hasen ja ebenso, wenn wir uns auf ein neues Gebiet begeben. Die vielgepriesene Flexibilität und Anpassbarkeit von Desktop-Environments ist hier in Wirklichkeit kontraproduktiv – wie man leicht bei weniger computeraffinen Menschen auch heute noch beobachten kann. Dabei gab es mal Office-Suiten wie Framework von Ashton Tate, die noch vor MS-Windows so nette Sachen wie WYSIWYG bei der Textverarbeitung brachten, aber beispielsweise ein strikte Trennung von Anwendung und Konfiguration. Konfigurieren konnte man nur mit einem Extra-Programm. Was dazu führte, dass ich tatsächlich die ganze zur Verfügung stehenden Zeit für den eigentlichen Unterricht nutzen konnte und nicht 20 – 30% davon damit zubrachte, zufällige und unbeabsichtigte Konfigurationsänderungen rückgängig zu machen. Fazit für mich: Die ganze Softwarentwicklung ist massiv in eine falsche Richtung gelaufen. Software-Ergonomie ist zwar vielleicht als Begriff nicht unbekannt, aber in der Praxis dominieren ganz andere Entwicklungen, die nicht wirklich anfängerfreundlich sind.

3)

Ich bin der Meinung, dass jemand etwas, mit dem er arbeitet, in den Grundzügen verstanden haben sollte. Ich könnte zwar auch Auto fahren, ohne zu wissen, warum ich da welchen Kraftstoff einfüllen muss, was es mit dem Luftddruck auf sich hat oder wozu die verschiedenen Flüssigkeiten gut sind, die man unter der Haube kontrollieren kann. Aber im Problemfall komme ich mit diesem Wissen besser zurecht als ohne es. Zusätzlich möchte ich unbedingt wissen, wie dieser teure Kraftstoff eine Bewegung des Autos bewirkt, auch wenn mich letzte Feinheiten der Ventilsteuerung beispielsweise weniger interessieren. Trotzdem interessieren mich eine Menge Dinge, die ich zum normalen Fahren überhaupt nicht brauche.

Für den EDV-Bereich bedeutet das, dass Menschen sich schon etwas intensiver auf die Besonderheiten dieser Maschine einlassen sollten. Bestimmte Grundkonzepte wie Arbeitsspeicher und externer Speicher, Datei, Anwenderprogramm, Betriebssystem usw müssen einfach verstanden sein, will man mit dem Ding vernünftig zurande kommen.

Ich habe immer wieder mit großem Erstaunen feststellen müssen, dass Menschen, an deren Auffassungsgabe und Intelligenz ich im Allgemeinen nicht den geringsten Zweifel zu haben brauchte, partout nicht verstanden, was es beispielsweise mit Variablen in einem Text (oder auch in einem Programm) auf sich hat oder mit Dateien in einem Verzeichnis oder was die Zuweisung eines Wertes bedeutet. Ich denke, es gibt da manchmal wirklich so etwas wie emotionale Sperren, die nur die Betroffenen selber lösen können. Eine Art von irrationaler Furcht, etwas falsch zu machen oder sich auf die scheinbare Perfektion der Maschine einzulassen. Andererseits ist es – leider auch im Linux-Bereich – heute eher üblich, Grundsätzliches, Funktionsweisen, Zusammenhänge etc. eher unter der Oberfläche zu verstecken, als sie deutlich sichtbar zu machen.

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Re: Wie Computer-Neuling helfen?

Beitrag von Meillo » 08.06.2019 12:13:03

Guter Post, TuxPeter. :THX:

Ich erlaube mir, einen kleinen Teil herauszupicken, um damit auch auf den Post von RobertDebiannutzer einzugehen:
TuxPeter hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
07.06.2019 23:23:18
Und ein weiteres Argument für die Maus war, dass ja das Auf-etwas-zeigen viel einfacher sei als das Benennen, wie man schon bei kleinen Kindern beobachten könne. Ein Argument, welches ganz und gar vergisst, dass Kleinkinder vielleicht deshalb „da-da“ machen müssen, weil sie die Gegenstände noch gar nicht benennen können.
Das trifft es gut, wie ich finde.

Wir wechseln nur dann zur Zeichensprache (mit Haenden und Fuessen), wenn wir unsere (weit maechtigere) Textsprache nicht nutzen koennen. Da gibt es also eine klare Wertung: Die Textsprache ist (normalerweise) maechtiger als die Zeichensprache. Das trifft aber nur zu, wenn man der Textsprache maechtig ist, was den Kleinkindern fehlt. (Auch ist ein Fachvokabular, wie beispielsweise die Jaegersprache, qualitativ besser als die Umgangssprache, wenn man es versteht.) Aber diese Textsprachen sind nicht in jedem Fall besser. Stricken oder Teigkneten lernt man besser durch zeigen als durch beschreiben. Bildbearbeitung macht man tendenziell besser mit er Maus als mit der Tastatur.

Meine Aussage ist klar: Es kommt darauf an. Es gibt nicht eine Antwort, sondern eine Menge von Einfluessen.


Wichtig ist auch, dass die GUI alle ihre Funktionen anbietet, wie ein Supermarkt, in dem man sieht was es gibt um man das dann einfach nimmt. Wir kaufen auch lieber so ein, als ueber einen telefonischen Bestellservice, dem wir direkt nennen koennen und muessen was wir brauchen ... dazu aber auch genau wissen muessen was es ist, uns dafuer aber das Rumgesuche in den Regalen sparen. Der Koch der Grosskueche kauft auch wohl lieber per direkter Bestellung ein. Dazu muss man aber eine Menge gelernt und im Kopf haben.

Unsere Shellbedienung ist ja auch dann erst abgehoben, als wir das Grundset an Befehlen auswendig wussten. Parameter kann man nachschauen, wenn man gar nicht weiss was es gibt, steht man ganz schoen hilflos da.



Was ich dennoch irritierend finde, ist die grosse Abneigung zur Shell, insbesondere auch von Geisteswissenschaftlern, die staendig mit Sprache umgehen ... und mit der Shell eigentlich genau das haetten, was sie gewohnt sind. Das scheint mir ein gesellschaftliches Vorurteil zu sein, in der Art wie dass Mathematik langweilig sein muesse. Wer Mathematik toll findet wird sofort als Nerd abgestempelt, ebenso wie Personen, die Computer mit Text in so schwarzen Fenstern bedienen. Vielleicht sorgt schon diese Kopplung zu einer automatischen Ablehnung und dadurch fehlenden Offenheit, um etwas zu erkennen, was eigentlich bekannt waere.

Oder es ist die erforderliche Exaktheit, die zu den Problemen fuehrt. Ich stelle immer wieder fest, dass Personen, die wenig Erfahrung mit Computern oder Mathematik haben, Schwierigkeiten haben, exakt zu sein. Sie uebersehen die Details einfach, d.h. die haben nicht gelernt sie zu erkennen. Fuer sie ist ``foo (bar) 2.'' eigentlich das Gleiche wie ``foo [bar] 2,''. Fuer den Computer ist es aber normalerweise grundverschieden.

Bei einer GUI treten diese Probleme so nicht auf.


Meiner Meinung nach braucht es beides, aber in einem flexiblen Verhaeltnis. Der zittrige Opa, der schlichtweg unfaehig ist, eine Maus zu bedienen, wird Bilder besser mit der Tastatur bearbeiten koennen als mit der Maus. Beim jungen Enkel anders rum. Browser sind Sichten auf Inhalte. Wenn es um den reinen Textinhalt geht, ist ein Textbrowser eigentlich das beste Zugangsgeraet, also will ich diesen nutzen koennen. Bei anderen Inhalten nicht. Eine Wahl fuer die jeweilige konkrete Situation waere wuenschenswert ... nicht aber nur zwischen gleichartigen Programmen, die nur unterschiedliche Designs haben, sondern zwischen verschiedenartigen Programmen, weil die erst den richtigen Mehrwert bringen. Das ist einen Entscheidung fuer einen langsameren Fortschritt mit weniger Quantitaet aber mehr Qualitaet.
Use ed once in a while!

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