Lernen für den Beruf: Wann und wie?

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paedubucher
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Lernen für den Beruf: Wann und wie?

Beitrag von paedubucher » 27.02.2021 21:00:08

Man lernt nie aus, schon gar nicht in einem IT-Beruf. Manchmal plagt mich aber geradezu das Gefühl, dass ich eigentlich noch gar nichts richtig verstanden habe, und an jeder Ecke noch einmal grundlegend über die Bücher gehen muss.

Ich arbeite als "Full Stack Developer", d.h. ich entwickle Web-Anwendungen, kümmere mich aber auch um die ganze Infrastruktur, teilweise bis runter zur Hardware. Ein normaler Arbeitstag bei mir kann schon einmal so aussehen:
  • Mir wurde vom Kunden ein Ticket erstellt. Darin steht geschrieben, dass ein generiertes PDF einen Darstellungsfehler hat. Ich schaue in den Code rein, und sehe, dass hier die PDF-Library zum Einsatz kommt, die ich zwar auch schon einmal verwendet, sie aber nicht so richtig verstanden habe. Mental notiere ich mir, dass ich mich mal ordentlich mit dieser Library befassen soll, und zwar von Grund auf. Aber jetzt muss ich halt eben den Darstellungsfehler beheben, wozu ich mit Google und StackOverflow schneller ans Ziel komme. Und der Kunde wartet ja auch. So kann ich das Problem lösen, aber ein ungutes Gefühlt bleibt, zumal ich nicht richtig verstehe, was ich getan habe.
  • Im nächsten Ticket geht es um ein Frontend-Problem. Hier passiert etwas mit JavaScript. Das habe ich schon mehrmals angeschaut, aber ich programmiere darin eben nur jeweils im Abstand von vielen Monaten. So fange ich praktisch wieder bei null an. Mentale Notiz: Wieder mal von Grund auf mit JavaScript befassen.
  • Im dritten Ticket geht es dann um einen Report, der nach einer etwas anderen Logik erstellt werden soll. Mit SQL könnte ich das recht unkompliziert lösen, denn das habe ich mit 16 von der Pike auf gelernt. Aber natürlich kommt ein ORM (SQLAlchemy) zum Einsatz, mit dem ich mich noch nie so richtig befasst habe. Mentale Notiz: Das SQLAlchemy-Buch aus dem Keller holen und endlich mal durcharbeiten.
  • Als nächstes setze ich mir lokal eine VM auf, um ein paar Anpassungen auf einem Kundensystem zu testen. Dummerweise geht das heute ausnahmsweise nicht. Wenn ich mir doch mal richtig Vagrant angeschaut hätte, würde ich die Fehlermeldung jetzt verstehen, und ich könnte mir eine weitere Session auf Google und StackOverflow ersparen. Ich sollte mich endlich mal gründlich mit Vagrant auseinandersetzen, also wirklich...
  • Das Konfigurationsmanagementtool Puppet kenne ich leider auch nur oberflächlich, und auch diese Fehlermeldungen muss ich wieder Googeln. Wie war noch einmal der Befehl, um einen Eintrag in die Hosts-Datei zu schreiben? Ach, die offizielle Doku ist mir zu umständlich, das finde ich besser bei Google. Oder auch nicht? Ich sollte mich doch einfach einmal von Grund auf mit Puppet befassen, denn mit diesem Grundlagewisssen würde ich doch schon schneller ans Ziel kommen.
  • Jetzt läuft zwar alles, aber irgendwo hängt noch was im DNS-Cache fest, sodass der Test immer noch zur falschen Umgebung geht. Welchen DNS-Resolver setze ich eigentlich ein? Den von systemd? Ich habe doch erst gerade letzte Woche herausgefunden, wie man das herausfindet. Genau! lsof und dann auf Port 53 absuchen, welcher Daemon auf diesen Port hört. Wie war noch mal die Syntax dafür? Hurra, lsof habe ich mir mal einen Nachmittag lang angeschaut und mir die wichtigsten Anwendungsfälle rausgeschrieben! Die Dokumentation dazu finde ich sogar innert zehn Sekunden auf meinem GitHub-Account. Endlich komme ich mal einen Schritt vorwärts, systematisches Lernen zahlt sich eben doch aus! OK, jetzt weiss ich, welchen DNS-Resolver ich einsetze. Aber wie leere ich nun dessen Cache? Ich sollte mich mal grundlegend mit DNS auseinandersetzen, und wie das so mit meiner Netzwerkkonfiguration zusammenhängt. Aber jetzt ist es doch auch schon wieder Abend, und ich bin wirklich schon müde von der ganzen Googlerei...
Ich könnte hier noch endlose Beispiele ausführen, aber ich glaube, ihr habt das Prinzip verstanden: Jeden Tag kommt man mit verschiedensten Technologien in Kontakt, die man mehr oder weniger gut beherrscht. Man merkt, dass man den Arbeitstag wesentlich professioneller und angenehmer überstehen würde, hätte man sich doch nur einmal die Zeit genommen, sich das ganze Wissen systematisch anzueignen.

Aber wann soll man sich diese Zeit nehmen? Im Studium? Da erhalte ich eine Einführung in Design Thinking und Blockchain, und was die beiden Hammer-Icons in der IDE für subtile Unterschiede haben. Am Wochenende? Ja schon, aber da möchte ich halt etwas für mich privat lernen, das ich vielleicht nicht 1:1 in der Firma einsetzen kann. Mal eines der BSD ausprobieren, oder sich mal LISP anschauen oder mit Go ein Hobbyprojekt vorantreiben. Am Abend? Da bin ich kaputt vom Tag. Auf der Arbeit? Da stapelt sich mein Backlog auf, und ich kriege nichts mehr erledigt.

Könnt ihr diese Situation nachvollziehen? Liegt es nur am Beruf des "Full Stack Developers", der eben alles können sollte? Oder geht es einem "Backend Developer" oder "System Administrator" da ganz ähnlich, da man im jeweiligen Bereich einfach noch mehr in die Tiefe gehen muss, und auch dort immer wieder an seine Grenzen stösst?

Was habt ihr für Lösungsstrategien? Zuerst einmal das alte lernen, dass sich nicht so schnell ändert (Shell-Skripte, Unix-Utilities, usw.)? Oder sich einfach einmal etwas rauspicken, und dann ein halbes Jahr dabei bleiben, egal ob man den direkten Nutzen spürt oder nicht? Oder einmal pro Woche einen halben Tag ein gerade aktuelles Thema systematisch aufarbeiten? Vielleicht braucht man ja wirklich nicht ein extrem tiefes Wissen, aber vier, fünf Stunden systematisches Lernen sind schon hundertfach besser als diese Zeit unter Druck zu vergooglen?
Zuletzt geändert von paedubucher am 22.04.2022 18:32:52, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Lernen für den Beruf: Wann und wie?

Beitrag von TRex » 27.02.2021 21:26:16

paedubucher hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
27.02.2021 21:00:08
Was habt ihr für Lösungsstrategien?
Extensives Pair Programming, funktioniert mit remote gefühlt besser als je zuvor.

Ansonsten hab ich von deinem Beitrag das Gefühl, dass du dein Wissen breit verteilst (find ich gut, mach ich genauso), dich aber zu sehr stresst, das auch alles zu lernen (in wenig Zeit). Ich könnte auf einige inhaltliche Punkte von dir eingehen, weiß aber nicht, ob dir das hilft. Ich bin glücklicherweise in einer Position und Lage, wo "Notfälle" fast nicht existieren, darum musst du die Zeit fürs folgende anders berechnen, aber meine Woche teilt sich je nach Phase meist in 80% "Features/Doing" (und meist mit einem kleinen Lernanteil) auf und 20% Betrieb und Slacktime (in letzterer bin ich wahlweise wie derzeit mit direkter Weiterbildung beschäftigt oder mit "meinen" Projekten, die oft auch sowas enthalten wie "mal die library vertesten"). Mit Phase meine ich, an welchem Thema ich gerade bin - die letzte Zeit war sehr Frontend-lastig, und ich hab entsprechend viel gelernt (nicht viel Übung drin, aber was ich vor nem Jahr gemacht hab, verschafft mir Bodenhaftung zum Lernen). Dass ich bei react nicht so flüssig Lösungen rausstanzen kann wie bei anderen Themen, hat mich aber die Zeit davor nicht gestresst - ich arbeite ja nicht alleine.

Vielleicht habe ich damit deine Frage schon beantwortet, aber nochmal tl;dr und vielleicht mehr auf das bezogen, was ich aus deinem Beitrag interpretiere:
paedubucher hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
27.02.2021 21:00:08
Aber wann soll man sich diese Zeit nehmen?
Weiterbildung sollte in deiner Arbeitszeit enthalten sein - wenn du viel Betrieb machst, kriegst du deinem Chef sicher auch verkauft, dass es wichtig ist, sich außerhalb der kritischen Zeiten nochmal mit der Materie zu beschäftigen... "dieses Mal" gings vielleicht nochmal gut, nur stackoverflow als Resource zu haben. Dafür muss dann eben was anderes warten. Wenns nicht anders geht, lass dich für die Zeit von nem Kollegen vertreten, die du dir dafür im Kalender blockst.
paedubucher hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
27.02.2021 21:00:08
Liegt es nur am Beruf des "Full Stack Developers", der eben alles können sollte?
Böse Zungen behaupten "alles, aber nichts richtig". Ich finde, es dauert nur länger, wenn man sich eben nicht nur auf ein Thema konzentrieren kann (oder will). Ich besorge mir sehr oft Hilfe von "Spezialisten" (oder einfach anders gewichteten "Full Stack" Entwicklerkollegen), und genauso oft holt man mich dazu. "Alles überblicken" ist glaub der wichtigere Skill hier.

Ach und...
paedubucher hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
27.02.2021 21:00:08
systematisches Lernen
fällt mir extrem schwer. Also trocken und fokussiert über längere Zeit eine Sache lernen - das geht besser mit etwas Arbeit dazu. Möglicherweise muss mein "Navigator" dann etwas mehr Geduld mit mir haben :)
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Re: Lernen für den Beruf: Wann und wie?

Beitrag von Meillo » 27.02.2021 21:44:09

Ich finde Full Stack Developer sind wie Handwerker, die alles koennen -- toll wenn man so einen im Freundeskreis hat, aber nicht unbedingt die beste Option wenn es groessere spezifische Dinge zu tun gibt. Das Wissen, Koennen und Potenzial einer Person muss immer auf Breite und Tiefe verteilt werden. Wenn man das eine mehr haben will, dann wird das andere weniger sein. Man kann natuerlich auch Personen haben wollen, die schnell in alles rein kommen und damit flexibel sind. Die werden dann aber dafuer nicht die Bestaendigkeit und Konstanz haben. Man kann halt nicht alles haben ... was aber oft gewuenscht ist, wie mir scheint.

Den Hinweis von TRex auf Pair-Programming, um das Problem anzugehen, finde ich gut. Er hat ja auch schon die Kombination aus Experten (Tiefe) und Verknuepfern ( (Breite) aufgezeigt. Darin, also im Zusammenspiel von verschiedenen Personen, liegt IMO die Antwort, nicht in einzelnen Full Stack Developern.

Ich finde Vergleiche zum Handwerk und ebenso Vergleiche zu Schriftstellern gut. Ersteres ist eben Handwerk und zweiteres hat etwas mehr den kreativen Aspekt. Man kann sich dann fragen, was sich dort bewaehrt hat, wieviel Full Stack dort gearbeitet wird, bzw. wer dort Full Stack arbeitet und wer nicht. Ich wuerde sagen, je mehr diese Leute Full Stack arbeiten, desto mehr ist es bei ihnen Learning by doing, und weniger strukturierter Lernprozess. Vielleicht ist das in der Softwareentwicklung aehnlich. ... mal so als Gedankenanstoss.
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Re: Lernen für den Beruf: Wann und wie?

Beitrag von paedubucher » 27.02.2021 23:40:59

TRex hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
27.02.2021 21:26:16
paedubucher hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
27.02.2021 21:00:08
Was habt ihr für Lösungsstrategien?
Extensives Pair Programming, funktioniert mit remote gefühlt besser als je zuvor.
Diese Option steht mir leider nur sehr eingeschränkt zur Verfügung, da ich in meinen Themen recht alleine unterwegs bin. Das hat übrigens nicht nur Nachteile, aber der Austausch fehlt natürlich.
TRex hat geschrieben: Ansonsten hab ich von deinem Beitrag das Gefühl, dass du dein Wissen breit verteilst (find ich gut, mach ich genauso), dich aber zu sehr stresst, das auch alles zu lernen (in wenig Zeit).
Ein Teil vom Stress kommt sicher von mir selber, ein Teil jedoch auch von aussen. Es sind eben verschiedenste Sachen einfach da, um die ich mich kümmern muss.
TRex hat geschrieben: Ich bin glücklicherweise in einer Position und Lage, wo "Notfälle" fast nicht existieren, darum musst du die Zeit fürs folgende anders berechnen, aber meine Woche teilt sich je nach Phase meist in 80% "Features/Doing" (und meist mit einem kleinen Lernanteil) auf und 20% Betrieb und Slacktime (in letzterer bin ich wahlweise wie derzeit mit direkter Weiterbildung beschäftigt oder mit "meinen" Projekten, die oft auch sowas enthalten wie "mal die library vertesten"). Mit Phase meine ich, an welchem Thema ich gerade bin - die letzte Zeit war sehr Frontend-lastig, und ich hab entsprechend viel gelernt (nicht viel Übung drin, aber was ich vor nem Jahr gemacht hab, verschafft mir Bodenhaftung zum Lernen). Dass ich bei react nicht so flüssig Lösungen rausstanzen kann wie bei anderen Themen, hat mich aber die Zeit davor nicht gestresst - ich arbeite ja nicht alleine.
Über viele Notfälle kann ich zum Glück nicht klagen. Natürlich will jeder Anfragesteller seine Sache so schnell wie möglich erledigt haben. Als kleine Firma sind wir aber da in der Regel eh schneller unterwegs als branchenüblich, von daher sitzt uns da selten ein Kunde im Nacken. Die 80/20-Verteilung ist bei mir auch so ähnlich, wobei ich eben im "Doing" oft an meine Wissensgrenzen stosse. Im Betrieb ist es eher ein Abarbeiten, das jedoch auch gewissenhaft gemacht werden muss.
TRex hat geschrieben: Vielleicht habe ich damit deine Frage schon beantwortet, aber nochmal tl;dr und vielleicht mehr auf das bezogen, was ich aus deinem Beitrag interpretiere:
paedubucher hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
27.02.2021 21:00:08
Aber wann soll man sich diese Zeit nehmen?
Weiterbildung sollte in deiner Arbeitszeit enthalten sein - wenn du viel Betrieb machst, kriegst du deinem Chef sicher auch verkauft, dass es wichtig ist, sich außerhalb der kritischen Zeiten nochmal mit der Materie zu beschäftigen... "dieses Mal" gings vielleicht nochmal gut, nur stackoverflow als Resource zu haben. Dafür muss dann eben was anderes warten. Wenns nicht anders geht, lass dich für die Zeit von nem Kollegen vertreten, die du dir dafür im Kalender blockst.
Hier gehen wir in die Richtung, dass Weiterbildung fester Bestandteil der Wochenarbeitszeit sein soll. Die Weiterbildungsstunden sind auch neu ein KPI. Man muss aber auch sehen, dass es nicht so einfach ist sich auf Weiterbildung zu konzentrieren, wenn währenddessen das Backlog anwächst.
TRex hat geschrieben:
paedubucher hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
27.02.2021 21:00:08
Liegt es nur am Beruf des "Full Stack Developers", der eben alles können sollte?
Böse Zungen behaupten "alles, aber nichts richtig". Ich finde, es dauert nur länger, wenn man sich eben nicht nur auf ein Thema konzentrieren kann (oder will). Ich besorge mir sehr oft Hilfe von "Spezialisten" (oder einfach anders gewichteten "Full Stack" Entwicklerkollegen), und genauso oft holt man mich dazu. "Alles überblicken" ist glaub der wichtigere Skill hier.
Da haben die bösen Zungen schon recht. Ich fühle mich aber in der Position schon einigermassen wohl, weil ich eher schlanke Softwarelösungen entwickle, und in diesem Bereich doch schon etwas Erfahrung habe. (Halt weniger mit den eingesetzten Technologien.) Die ganzen Betriebssachen lerne ich mir jetzt vorallem dazu, und das möchte ich auch sehr gerne.
TRex hat geschrieben: Ach und...
paedubucher hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
27.02.2021 21:00:08
systematisches Lernen
fällt mir extrem schwer. Also trocken und fokussiert über längere Zeit eine Sache lernen - das geht besser mit etwas Arbeit dazu. Möglicherweise muss mein "Navigator" dann etwas mehr Geduld mit mir haben :)
Mir fällt es auch schwer systematisch länger an einer Sache zu sein. Ich konnte mich den Winter über am Thema Machine Learning motiviert halten, jetzt ist aber da die Luft bei mir auch schon draussen. (Ich habe mein Ziel eigentlich auch erreicht: Ich kann einfachere Sachen mit low-level-Tools umsetzen und verstehen.) Jetzt drängt sich aber ein anderes Thema wieder auf: funktionale Programmierung. Das kann man auch gut mal für einen Monat anschauen und dann wieder weglegen. Wenn ich es wieder aufgreife, mache ich das aus einer besseren Position als das Mal zuvor. Das Problem ist halt, wenn man den Fokus nicht für diese Zeit (ca. ein Monat sporadisch in der Freizeit) aufrecht erhalten kann...


Meillo hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
27.02.2021 21:44:09
Ich finde Full Stack Developer sind wie Handwerker, die alles koennen -- toll wenn man so einen im Freundeskreis hat, aber nicht unbedingt die beste Option wenn es groessere spezifische Dinge zu tun gibt. Das Wissen, Koennen und Potenzial einer Person muss immer auf Breite und Tiefe verteilt werden. Wenn man das eine mehr haben will, dann wird das andere weniger sein. Man kann natuerlich auch Personen haben wollen, die schnell in alles rein kommen und damit flexibel sind. Die werden dann aber dafuer nicht die Bestaendigkeit und Konstanz haben. Man kann halt nicht alles haben ... was aber oft gewuenscht ist, wie mir scheint.
Mir erscheint diese Position schon als attraktiv, zumal man dann seine eigenen Sachen machen kann, ohne auf andere Leute angewiesen zu sein. Natürlich kann man nicht jede Art von Projekt selber durchziehen, wenn ich aber beispielsweise eine kleinere Web-Anwendung entwickeln und betreiben will, möchte ich das schon ohne Fremde Hilfe tun können. Vertiefen sollte man sich dann aber schon noch in einen bestimmten Bereich. Den zu wählen tue ich mich tatsächlich etwas schwer.
Meillo hat geschrieben: Den Hinweis von TRex auf Pair-Programming, um das Problem anzugehen, finde ich gut. Er hat ja auch schon die Kombination aus Experten (Tiefe) und Verknuepfern ( (Breite) aufgezeigt. Darin, also im Zusammenspiel von verschiedenen Personen, liegt IMO die Antwort, nicht in einzelnen Full Stack Developern.
Am Zusammenspiel mag es in meinem Fall halt etwas mangeln, zumal ich recht einsam unterwegs bin. Zum Glück hat mir mein Vorgänger alles in einem ausserordentlich guten Zustand übergeben. Aber ein Ansprechpartner ist er halt nicht.
Meillo hat geschrieben: Ich finde Vergleiche zum Handwerk und ebenso Vergleiche zu Schriftstellern gut. Ersteres ist eben Handwerk und zweiteres hat etwas mehr den kreativen Aspekt. Man kann sich dann fragen, was sich dort bewaehrt hat, wieviel Full Stack dort gearbeitet wird, bzw. wer dort Full Stack arbeitet und wer nicht. Ich wuerde sagen, je mehr diese Leute Full Stack arbeiten, desto mehr ist es bei ihnen Learning by doing, und weniger strukturierter Lernprozess. Vielleicht ist das in der Softwareentwicklung aehnlich. ... mal so als Gedankenanstoss.
In der Softwareentwicklung habe ich schon eher den Eindruck, dass systematisches Lernen geradezu verachtet wird. "Was, der Trottel kauft sich ein Buch für 40 Euro und arbeitet es dann monatelang durch. Dazu benötige ich nur StackOverflow..." Im Handwerk geht da viel mehr über Erfahrung und Abschauen von älteren Kollegen. Und das ist auch gut so.

Ich habe schon in Teams gearbeitet, wo man quasi damit geprahlt hat, gar nicht richtig Java programmieren zu können brauche, um da mitzuarbeiten. Zwar ging es da "nur" um Geschäftslogik (ERP, grösstenteils CRUD mit mehr oder weniger komplizierten Regeln und Defaultings), aber nur schon ein ordentliches Wissen über die Collections-API hätte da für so viel besseren Code gesorgt. Aber warum sich mit mit diesen komischen Maps abmühen, wenn doch die List-Klasse eine contains()-Methode mitbringt... ich schweife ab, aber ihr seht, ich bin ein gebranntes Kind.

Alan Kay nannte das mal treffend "this culture of not knowing anything", wo man halt einfach alle Fehler einmal selber machen muss, um zu einer Erkenntnis zu kommen, die schon lange dokumentiert ist.

Und ich möchte auch nicht diese Art von Programmierer sein, der in jeder Programmiersprache die Untermenge von Features verwendet, die er in seiner ersten Programmiersprache mal aufgeschnappt hat.
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Re: Lernen für den Beruf: Wann und wie?

Beitrag von Meillo » 28.02.2021 12:25:07

Ich frage mich gerade was fuer Antworten du dir eigentlich erhoffst. Eigentlich findest du deine Situation gar nicht so schlecht. Einiges daran findest du gut ... und nimmst damit in Kauf, dass manche anderen Dinge nicht optimal sein koennen. Es macht auch nicht den Eindruck, wie wenn du wirklich etwas aendern wollen wuerdest. Da du wohl auch keine magische Loesung aller Probleme fuer realistisch haeltst, denke ich, dass es dir mehr um einen Austausch zu dem Thema, also um Erfahrungen von anderen in deren Situationen, geht, als um eine Loesung deines Problems. Mir scheint, du haderst ein bisschen mit deiner Situation, ohne vielleicht auch realitisches Verbesserungspotenzial zu sehen (da dich dein Bewusstsein fuer deine eigene Art und deine Herangehensweisen auch auf bestimmte Handlungsoptionen einschraenkt). Willst du also einfach ein bisschen brainstormen, dich vom Unerwarteten inspirieren lassen, und emotional in den Arm genommen werden?


Oft finde ich in so Situationen Konfuzius' 3 Ways to Happiness hilfreich:
- Love it
- Change it
- Leave it

Sie zeigen konstruktive Wege aus dieser Situation, die IMO immer ein bisschen die Gefahr birgt, in negative Noergelei zu kippen.

Verlassen willst du deine Situation nicht, das wird deutlich. Willst du sie wirklich aendern? Daran zweifel ich ein bisschen, nachdem was du schreibst. Also waere das Ziel, die Nachteile deiner Situation anzunehmen zu lernen. Sie sind die notwendigen Kosten fuer die Vorteile, die du geniesst. Wenn dich manche Kosten zu sehr stoeren, dann kannst du daran nur etwas aendern, wenn du dich fuer eine Veraenderung oeffnest. Veraenderung heisst, dass sich etwas aendert. Das hat immer auch Auswirkungen auf angrenzende Bereiche. Dafuer braucht es eine Offenheit.


Okay, das muss reichen, an Sonntagmorgenphilosophie (... oder ist es schon Mittag? Hoffentlich findet der andere Thread bald raus wann genau nun Morgen und Mittag ist, oder auch nur Tag und Nacht. Ich bin mir inzwischen staendig unsicher. :roll: ;-) )
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Re: Lernen für den Beruf: Wann und wie?

Beitrag von alberich » 28.02.2021 12:50:20

Meillo hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
27.02.2021 21:44:09
Ich finde Vergleiche zum Handwerk und ebenso Vergleiche zu Schriftstellern gut. Ersteres ist eben Handwerk und zweiteres hat etwas mehr den kreativen Aspekt.
Mmh, nur mal so am Rande: Ein Schriftsteller, der kreativ sein will, hat schon von vornherein verloren. Jedenfalls in dem Sinne, in dem Henry Miller zwischen Schriftstellern mit großem oder kleinem S unterschieden hat. Ein Wort wie `zielorientiert' gibt es in der Kunst nicht. Jedenfalls wenn man in der Kunst unterscheidet zwischen der mit großem oder kleinen K. Im Grunde genommen unterscheidet sie sich da nicht vom Handwerk, digital, analog, was auch immer. Üben (=lernen, =praktizieren), je nach Charakter, Begabung, Einsatz, oder was man zum Frühstück gegessen hat, kommt dann schon das heraus, was herauskommen kann.

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Re: Lernen für den Beruf: Wann und wie?

Beitrag von paedubucher » 28.02.2021 13:15:12

Meillo hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
28.02.2021 12:25:07
Ich frage mich gerade was fuer Antworten du dir eigentlich erhoffst. Eigentlich findest du deine Situation gar nicht so schlecht. Einiges daran findest du gut ... und nimmst damit in Kauf, dass manche anderen Dinge nicht optimal sein koennen. Es macht auch nicht den Eindruck, wie wenn du wirklich etwas aendern wollen wuerdest. Da du wohl auch keine magische Loesung aller Probleme fuer realistisch haeltst, denke ich, dass es dir mehr um einen Austausch zu dem Thema, also um Erfahrungen von anderen in deren Situationen, geht, als um eine Loesung deines Problems.
Ich erwarte nicht, dass mir jemand hier eine Lösung hinschreiben kann. Ich erhoffe mir aber, wie du sagst, dass ich einen Einblick erhalte, wie andere mit einer solchen Situation umgehen. Es geht nicht einmal um meine spezifische Situation, denn ich stelle es mir eben vor, dass immer mehr zum Lernen da ist, als man zeitlich lernen kann. Meine Vermutung ist, dass es in der IT eben vielen so geht. Von diesen Erfahrungen möchte ich gerne profitieren.
Meillo hat geschrieben: Mir scheint, du haderst ein bisschen mit deiner Situation, ohne vielleicht auch realitisches Verbesserungspotenzial zu sehen (da dich dein Bewusstsein fuer deine eigene Art und deine Herangehensweisen auch auf bestimmte Handlungsoptionen einschraenkt). Willst du also einfach ein bisschen brainstormen, dich vom Unerwarteten inspirieren lassen, und emotional in den Arm genommen werden?
Ich hadere v.a. mit mir selber, da ich eben denke, dass viele Leute in der IT in einer ähnlichen Situation sind, aber offenbar besser damit zurechtkommen. Andererseits könnte es ja sein, dass andere Leute (hier im Forum) auch unter dieser Situation leiden, und dass man das von aussen eben nicht wahrnimmt. Die Frage ist, inwiefern das Problem systematisch lösbar ist, und inwiefern man die eigene Inkompetenz einfach einmal aushalten können muss.
Meillo hat geschrieben: Oft finde ich in so Situationen Konfuzius' 3 Ways to Happiness hilfreich:
- Love it
- Change it
- Leave it

Sie zeigen konstruktive Wege aus dieser Situation, die IMO immer ein bisschen die Gefahr birgt, in negative Noergelei zu kippen.
Ich ziele schon auf eine Änderung meines Umgangs mit der aktuellen Konstellation ab. Die Aufgaben und das Umfeld stimmen, aber ich habe damit zu kämpfen, dass ich mit dem Wissenserwerb nicht nachkomme.
Meillo hat geschrieben: Verlassen willst du deine Situation nicht, das wird deutlich. Willst du sie wirklich aendern? Daran zweifel ich ein bisschen, nachdem was du schreibst. Also waere das Ziel, die Nachteile deiner Situation anzunehmen zu lernen. Sie sind die notwendigen Kosten fuer die Vorteile, die du geniesst. Wenn dich manche Kosten zu sehr stoeren, dann kannst du daran nur etwas aendern, wenn du dich fuer eine Veraenderung oeffnest. Veraenderung heisst, dass sich etwas aendert. Das hat immer auch Auswirkungen auf angrenzende Bereiche. Dafuer braucht es eine Offenheit.
Die äussere Situation möchte ich weitgehend beibehalten. Vielleicht kann ich ja die Aufgaben etwas anders takten, was ich mit dem Vorgesetzten besprechen muss. Dann würde schonmal etwas mehr Zeit bleiben. Mir geht es aber darum, wie ich diese Zeit am effektivsten verwenden kann.
Meillo hat geschrieben: Okay, das muss reichen, an Sonntagmorgenphilosophie (... oder ist es schon Mittag? Hoffentlich findet der andere Thread bald raus wann genau nun Morgen und Mittag ist, oder auch nur Tag und Nacht. Ich bin mir inzwischen staendig unsicher. :roll: ;-) )
Früher Nachmittag, aber egal :wink:
Habe nun, ach! Java
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Re: Lernen für den Beruf: Wann und wie?

Beitrag von Meillo » 28.02.2021 13:16:41

alberich hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
28.02.2021 12:50:20
Meillo hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
27.02.2021 21:44:09
Ich finde Vergleiche zum Handwerk und ebenso Vergleiche zu Schriftstellern gut. Ersteres ist eben Handwerk und zweiteres hat etwas mehr den kreativen Aspekt.
Mmh, nur mal so am Rande: Ein Schriftsteller, der kreativ sein will, hat schon von vornherein verloren. Jedenfalls in dem Sinne, in dem Henry Miller zwischen Schriftstellern mit großem oder kleinem S unterschieden hat. Ein Wort wie `zielorientiert' gibt es in der Kunst nicht. Jedenfalls wenn man in der Kunst unterscheidet zwischen der mit großem oder kleinen K. Im Grunde genommen unterscheidet sie sich da nicht vom Handwerk, digital, analog, was auch immer. Üben (=lernen, =praktizieren), je nach Charakter, Begabung, Einsatz, oder was man zum Frühstück gegessen hat, kommt dann schon das heraus, was herauskommen kann.
Deiner Aussage mit dem grossen und dem kleinen kann ich nicht folgen. Ist vielleicht auch nicht so wichtig.


Ich stimme dir zu, dass Schriftstellerei zu einem grossen Teil auch ``nur'' Handwerk ist, es gibt aber IMO doch einen Unterschied: Der Output und vor allem dessen Qualitaet eines Handwerkers variiert zwischen einem guten und einem schlechten Tag schon auch, aber deutlich weniger als bei einem Schriftsteller. Das ist der kreative Aspekt, den es bei zweiteren, wie ich geschrieben habe, ``etwas mehr'' gibt.

Beim Programmieren ist auch der Grossteil Handwerk, aber die Varianz -- letztlich die Entkopplung von Arbeitszeit und Arbeitsoutput(-qualitaet) -- gibt es dort wie beim Schriftsteller. Der kreative Anteil ist nicht der einzige, aber er ist gemeinhin sehr viel groesser als beim Handwerker.
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