fischig hat geschrieben: 12.07.2021 22:34:52
Warum gibt's die Dinger [Flatpaks] denn überhaupt: Weil sie anders in Debian nicht reinkommen. Und das würden sie halt gerne und sie wissen auch warum.
Ich sehe das etwas anders. Hier prallen gewissermaßen verschiedene "Kulturen" aufeinander.
Da ist einerseits die klassische Linux-Kultur mit kleinen (atomaren) Paketen, dynmisch gelinkter Software, die eine Fülle an Abhängigkeiten mit sich bringen.
Andererseits ist da die ursprüngliche "Windows"-Kultur mit großen monolithischen Blobs, die all ihre Abhängigkeiten selbst mitbringen.
Beide Ansätze haben jeweils Vorteile und Nachteile:
Modularität und wenig Platzbedarf vs. Notwendigkeit einer umfangreichen Abhängigkeitsbehandlung auf Linuxseite und einfache Verwaltung für den Nutzer vs. komplizierte Verwaltung für den Entwickler (schwierige Sicherheitslage) und hohr Platzbedarf auf Windowsseite.
In den letzten 15 Jahren ist Linux zunehmend aus einer Nerd-Nische herausgekommen, weil es "benutzerfreundlich"* genug für Leute wurde, die eigentlich kein Interesse haben, sich mit ihrem System zu beschäftigen. Diese "Umsteiger"** haben ihre eigenen "Kulturvorstellungen" mit zu Linux gebracht. Die Vorteile der klassischen Linux-Kultur sind ihnen schwer vermittelbar, weil sie sich im Grunde auch dafür nicht interessieren. Sie sehen nur die (tatsächlich vorhandenen) Nachteile.
Diese Leute werden von Overlay-Image-Lösungen (Flatpak, Appimage und Snap) in ihrer gewohnten Windows-Kultur abgeholt und das betrachten sowohl Anbieter als auch Nutzer der Overlays als Vorteil. Das an sich wäre ok. Was beide nicht sehen ist, dass sie nun die Nachteile beider Kulturen an Bord haben, denn unter diesen Overlays liegt nach wie vor die klassische atomare Linux-Kultur. Eigentlich müssten sich die User nun also um beides kümmern: Sowohl um die komplizierte Abhängigkeitsbehandlung der atomaren Linux-Pakete, als auch um die Sicherheitsaspekte der Overlay-Lösungen (z.B. Libs in den Images). Hinzu kommt außerdem noch, beide Kulturen auf ihrem System zusammenzuhalten.*** Damit sind gerade diese Leute natürlich überfordert. Aber hier greift dann wieder ein anderer Aspekt der Windows-Kultur: Blindes Vertrauen in die Anbieter (unter Windows mangels Prüfmöglichkeit, unter Linux mangels Interesse/Fähigkeiten).
mcb hat geschrieben: 12.07.2021 22:52:35
früher hatte Debian da doch auch was ?
Debian hate früher Iceweasel, was auf eine reine Lizenzinkompatibilität (Name, Artwork) zurückzuführen war, wenn Debian selbst Sicherheitspatches zurückportierte. [1] Die Standpunkte beider Seiten waren für sich genommen schlüssig, nur eben zueinander inkompatibel. Es gab aber keine technischen Gründe, wie es sie (vermeintlich) hier bei Audacity gibt.
[1]
https://de.wikipedia.org/wiki/Namensstr ... nd_Mozilla
*) Ein hässliches (weil furchtbar schwammiges) Wort, über dessen Bedeutung man ganze Threads führen könnte. Aber ich glaube im Kontext wissen wir alle was gemeint ist, daher will ich es dabei belassen.
**) hier: "Umsteiger": Will möglichst viel seines Windows-Wissens erhalten und zu Linux mitnehmen und dort anwenden; Im Gegensatz zum "Neueinsteiger": Mag Windowskenntnisse haben oder nicht, der entscheidende Unterschied ist, dass er in dem Bewusstsein zu Linux kommt, hier bei Null anzufangen und daher keine Erwartungen hat mögliches Vorwissen transferieren zu können.
***) Welche Abhängigkeiten der Nutzsoftware bringt das Image mit und welche muss das darunterliegende Linux bereitstellen? Und wie sorge ich dafür, dass diese Schnittstelle über Änderungen sowohl auf der einen wie auch auf der anderen Seite hinaus sauber(!) funktioniert?