Lesetipp: "Losing Earth"

Smalltalk
Benutzeravatar
heisenberg
Beiträge: 3567
Registriert: 04.06.2015 01:17:27
Lizenz eigener Beiträge: MIT Lizenz

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von heisenberg » 10.09.2019 18:13:31

Noch ein Punkt in dem China ein Vorreiter ist:

Aufforstung

In einem ca. 70 Jahresprogramm bis 2050 wird die Aufforstung zum Aufhalten der Ausbreitung der Wüste Gobi durchgeführt - mit vielfältigen Gewinnen für die Bevölkerung.

Aktuell sind ca. 45 Mio Hektar wiederaufgeforstet.( Staatsgebiet DE: 35 Mio Hektar)

Ich bin begeistert.

https://www.infosperber.ch/Artikel/Umwe ... in-Beijing
Jede Rohheit hat ihren Ursprung in einer Schwäche.

Benutzeravatar
hikaru
Moderator
Beiträge: 13594
Registriert: 09.04.2008 12:48:59

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von hikaru » 23.09.2019 20:27:53

Greta Thunberg hat heute eine Rede auf dem UN-Klimagipfel gehalten, die man als emotionale Abrechnung mit den bisherigen Fortschritten (bzw. deren Ausbleiben) der Klimapolitik seit dem Beginn ihres Schulstreiks ansehen könnte. [1]
Ich fand die Rede beeindruckend. Beim Hören hatte ich spontan den Gedanken, dass Thunbergs "How Dare You" eine Antithese zu Martin Luther Kings "I Have a Dream" sei.

[1] https://www.youtube.com/watch?v=TMrtLsQbaok

Benutzeravatar
heisenberg
Beiträge: 3567
Registriert: 04.06.2015 01:17:27
Lizenz eigener Beiträge: MIT Lizenz

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von heisenberg » 14.11.2019 13:37:33

Interessanter Artikel von Fabian Chmielewski mit dem Titel: "Die Verleugnung der Apokalypse" aus dem Psychotherapeutenjournal.

https://www.psychotherapeutenjournal.de ... index.html
Jede Rohheit hat ihren Ursprung in einer Schwäche.

Benutzeravatar
hikaru
Moderator
Beiträge: 13594
Registriert: 09.04.2008 12:48:59

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von hikaru » 14.11.2019 15:31:07

Interressante Analyse der Bewältigungsstrategien zu dem Thema!
Problematisch wird's dann, wenn es um die "Behandlung" geht. Da werden Strategien vorgestellt, welche die unterschiedlichen Typen von Veränderungsskeptikern ("Vermeider", "Erdulder", "Kämpfer") aus ihren Positionen abholen sollen. Für sich klingt jede Strategie schlüssig, aber zumindest die Strategien für Vermeider und Kämpfer lassen sich vermutlich nicht widerspruchsfrei zueinander umsetzen. Ein Vermeider der mit der Kämpfer-Strategie konfrontiert wird, wird wohl eher noch mehr vermeiden und andersrum genauso. Zieht man dann noch in Betracht, dass diese Typen vereinfachte Stereotypen sind und die meisten Menschen in Wahrheit alternierende oder Mischstrategien fahren, dann wird die Sache unübersichtlich.

Das eigentliche Problem sehe ich hier aber im grundsätzlichen Rollenverständnis von Therapeut und Patient ("abholen" = der Patient ist nur passives Objekt). Das ist eigentlich themenunabhängig, wird an diesem Beispiel aber sehr deutlich:
"Therapeut therapiert Patienten" halte ich an sich für eine dysfunktionale Strategie, die aber in der Praxis oft deshalb verwendet wird, weil sie einfacher zu implementieren ist und kurzfristig zu schnelleren Therapieerfolgen führt. Sie setzt voraus, dass der Therapeut das "Musikinstrument Patient X" perfekt bespielen kann. Das würde aber wiederum voraussetzen, dass der Therapeut die Stimmung* von Patient X genau kennt, was illusorisch ist. Kommt es zu Verstimmungen*, dann leidet der Therapieerfolg sowohl direkt in Form einer unpassenden Behandlung als auch indirekt in Form einer Störung des Vertrauens zwischen Therapeut und Patient, was Letzterer im Extremfall als Manipulationsversuch werten wird.
Zielführender wäre mMn, dass der Therapeut als psychologischer Fachmann den Patienten so weit psychologisch schult, dass dieser die bei ihm wirkenden psychologischen Mechanismen selbst erkennen und therapieren kann. Der Therapeut wäre dann nur noch Mentor der Selbsttherapie. Das ist gerade für den Patienten deutlich anspruchsvoller** als der passive Ansatz als "Musikinstrument", denn er bräuchte dafür eine psychologische Grundbildung*** und den selbstgestellten Anspruch, mit den dank der Grundbildung bewussten Mechanismen auch als solche umzugehen, statt sich ihnen in Form einer Auslebung zu ergeben.


*) hier sowohl symbolisch musikalisch, als auch real psychologisch gemeint
**) insbesondere in einer Stresssituation, die ja oft erst zu einer Therapie führt
***) Die den meisten Menschen fehlt. Deshalb: Verpflichtender Psychologieeunterricht in der Schule?

Benutzeravatar
heisenberg
Beiträge: 3567
Registriert: 04.06.2015 01:17:27
Lizenz eigener Beiträge: MIT Lizenz

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von heisenberg » 15.11.2019 10:25:06

Ich gehe davon aus, dass Deine Vorstellung die allgemeine Ansicht eines Therapieprozesses und der Teilnehmer(Psychotherapeut(PT), Patient(Pa)) ist und auch der Author des Artikels dieses Grundverständnis so hat.

Natürlich braucht ein PT vor allem Einfühlungsvermögen um auf dem "Musikinstrument" spielen zu können, bzw. einschätzen zu können, oder dorthin zu kommen, die Situation des Pa zu verstehen. Aber letztlich ist es AFAIK immer nur die Anschubhilfe, die sie geben. Ohne Mitarbeit des Pa geht gar nix und das Ziel ist immer dem Pa bei der Selbstreflexion zu unterstützen, dass dieser mehr Selbstbewusstheit erlangt, sich selbst helfen oder Hilfe holen kann also mehr Verantwortung für die eigene Situation übernimmt. Der Weg dahin ist bestimmt mit größerer Unterstützung am Anfang verbunden, Aufbau eines Vertrauensverhältnisses, d. h. Konfrontation mit schmerzhaften Wahrheiten kommen erst nach dem das Vertrauen aufgebaut wurde.

Der Author beschreibt sich selbst in dem Artikel auch in der Situation, dass er die problematischen Verhaltensweisen bei sich selbst auch erkennt und Bedarf sieht daran zu arbeiten. Der Unterschied zwischen Pa und gesundem Verhalten ist, dass der Pa nicht gelernt hat adequat mit Problemen umzugehen, es vermeidet oder bekämpft und Krankheitssymptome dadurch auslöst. Das gesunde Verhalten ist, sich mit all dem Schwierigen auseinander zu setzen. Und da wäre noch dazu zu sagen, dass ein Pa bereits die ersten Schritte hin zur Übernahme der eigenen Verantwortung getan hat, indem er den Weg begonnen hat sich mit seinen Problemen auseinander zu setzen.

Ich selbst würde mich da in die Kategorie a) einsortieren: Ich habe die Konsequenzen vollumfänglich verstanden, tue aber nichts bzw. nicht genug.
Jede Rohheit hat ihren Ursprung in einer Schwäche.

Benutzeravatar
novalix
Beiträge: 1909
Registriert: 05.10.2005 12:32:57
Lizenz eigener Beiträge: MIT Lizenz
Wohnort: elberfeld

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von novalix » 15.11.2019 11:00:32

Die "Bauchschmerzen", die Du formulierst, kann ich in großen Teilen nachvollziehen.
Ich würde den Fokus der Kritik allerdings in eine andere Perspektive rücken.
hikaru hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
14.11.2019 15:31:07
Das eigentliche Problem sehe ich hier aber im grundsätzlichen Rollenverständnis von Therapeut und Patient ...
Ich sehe das Problem eher darin, dass es sich in diesem Rahmen eben nicht um eine therapeutische Kommunikationssituation handelt, das begriffliche Werkzeug aber eben dafür zugeschnitten ist.
Der Autor beschreibt sich und seinen Stand als "Kommunikationsexperten". Soweit es sich um eine therapeutische Situation handelt, darf er das auch. Ich will mich da nicht einmischen.

Die therapeutische Kommunikationssituation hat aber ganz andere Voraussetzungen als die meisten Formen der politischen Kommunikation.[*]
Das Rollenverhältnis wird ja eben nicht allein vom Therapeuten vorgegeben.
Der Patient wird in seiner Situation - unabhängig davon wie freiwillig er sich in diese Position begeben hat - den Äußerungen des Gegenübers einen ganz anderen Stellenwert zuschreiben, als er es in alltäglicheren Situationen tun würde. Er wird mindestens genauer zuhören, bzw. überhaupt zuhören.
Es ist mitunter eine Situation, in der der Zuhörer auch Äußerungen akzeptiert, die er im "Normalfall" nicht hören möchte. Erst recht nicht in Situationen, die er im Rahmen der politischen Kommunikation - häufig medial vermittelt, also nicht face to face - als "Kampf der Meinungen" kategorisiert.

Als Praxisanleitung für die politische Kommunikation hat der Text mit Sicherheit verschiedene Schwächen.
Vor allen Dingen sollte man sich enthalten, dem politisch anders Denkenden eine nicht erfragte Analyse seiner mentalen Disposition unter zu jubeln. Das ist auch nicht das, was der Autor vorschlägt, aber ein "beliebter" Kurzschluss mancher Konsumenten psychologischer Lektüre.
Wenn man mit den Typisierungen in solchen Texten gewissenhaft umgeht, überwiegt allerdings das aufklärerische Potenzial über das, was uns Menschen antreibt. Das hilft auch den politischen Diskurs besser zu begreifen.

[*] "politische Kommunikation" im allgemeinen Sinne des Austauschs über öffentliche Angelegenheiten
Das Wem, Wieviel, Wann, Wozu und Wie zu bestimmen ist aber nicht jedermannns Sache und ist nicht leicht.
Darum ist das Richtige selten, lobenswert und schön.

Benutzeravatar
hikaru
Moderator
Beiträge: 13594
Registriert: 09.04.2008 12:48:59

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von hikaru » 15.11.2019 11:23:34

heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
15.11.2019 10:25:06
Und da wäre noch dazu zu sagen, dass ein Pa bereits die ersten Schritte hin zur Übernahme der eigenen Verantwortung getan hat, indem er den Weg begonnen hat sich mit seinen Problemen auseinander zu setzen.
Genau hier liegt der Knackpunkt bezogen auf das Thema Klimawandel. Der Anteil der Menschen die sich konsequent mit den Problemen des Klimawandels auseinandersetzen, also wirklich ein klimaneutrales Leben führen, dürfte in unserer Gesellschaft nicht mal im Promillebereich liegen. Das liegt schlicht daran, dass man mit einem klimaneutralen Lebensstil hier nicht mehr gesellschaftsfähig, vielleicht nicht mal mehr überlebensfähig ist. Und die Allerwenigsten sind so konsequent, ihre Gesellschaftsfähigkeit oder gar ihr Überleben für Klimaneutralität zu opfern.

D.h. im Umkehrschluss, dass 99,x% der Menschen einen pathologischen Umgang mit der Klimakrise pflegen - die meisten wohl unbewusst (diejenigen, für die das Thema nur eine Randerscheinung in den Medien ist ohne in ihr Alltagsdenken vorgedrungen zu sein), aber einige auch sehr bewusst (Klimaforscher, die aufgeweckteren Mitglieder von FFF & Co.).
Und dann gibt es diejenigen, denen die Problematiik zwar bewusst ist, die sie aber nicht wahrhaben wollen. Das sind dan diejenigen mit den stärksten Abwehrmechanismen.

Einzelne Menschen mit individuellen psychischen Problemen zu therapieren ist anspruchsvoll. Aber wie therapiert man eine ganze Weltbevölkerung oder auch nur ein Volk, insbesondere wenn man noch dazu als Therapeut selbst Patient ist? Es geht ja hier nicht um eine vom Patienten freiwillig gewählte Therapie, die ja wie du schon sagst der erste Schritt zur erfolgreichen Behandlung ist, sondern um eine "Massenzwangstherapie".
Hinzu kommt, dass Psychotherapie eigentlich zum Ziel hat, den Patienten wieder gesellschaftsfähig zu machen, d.h. ein dysfunktionales Individuum in eine funktionale Gesellschaft zu (re)integrieren. Hier liegt der Fall aber anders. Die Gesellschaft, mit ihren Werten und Strukturen, ist selbst dysfunktional, denn sie zwingt ihre Mitglieder zu nachhaltig klimaschädlichem Verhalten, was im direkten Widerspruch zur Überlebensfähigkeit sowohl der Gesellschaft als Ganze, als auch der einzelnen Individuen steht.
Hat die Psychologie als Fachgebiet überhaupt die Werkzeuge, dysfunktionale Gesellschaftsstrukturen zu behandeln? Und falls ja, wie skaliert man die auf die hier vorliegenden Ausmaße?

novalix hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
15.11.2019 11:00:32
Der Patient wird in seiner Situation - unabhängig davon wie freiwillig er sich in diese Position begeben hat - den Äußerungen des Gegenübers einen ganz anderen Stellenwert zuschreiben, als er es in alltäglicheren Situationen tun würde. Er wird mindestens genauer zuhören, bzw. überhaupt zuhören.
Ich glaube, dass das eben nicht unabhängig von der Freiwilligkeit des Patienten ist. Ein Patient der sich freiwillig in Therapie begibt ist sicher aufnahmefähig und v.A. -willig, aber jemand der sich in einer Zwangstherapie befindet hat dafür eigentlich keine Motivation. Möglicherweise erzeugt er sogar zusätzliche Widerstände aus Trotz. Diese Widerstände müssten zunächst überwunden werden, was viel individuelle Vertrauensarbeit zwischen Therapeut und Patient erfordert. Dieser Ansatz skaliert aber nicht auf die Klimaproblematik.
novalix hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
15.11.2019 11:00:32
Es ist mitunter eine Situation, in der der Zuhörer auch Äußerungen akzeptiert, die er im "Normalfall" nicht hören möchte. Erst recht nicht in Situationen, die er im Rahmen der politischen Kommunikation - häufig medial vermittelt, also nicht face to face - als "Kampf der Meinungen" kategorisiert.
Hier ist das Unterscheidungsmerkmal nicht die Freiwilligkeit der Situation, sondern deren Größe.
Psychotherapie ist eine individuelle Situation: Klassischerweise 1:1, geringfügig größere Konstellationen sind möglich, es besteht aber immer direkter Bezug zu den Individuen auf beiden Seiten.
Politische Kommunikation ist eine Massensituation: M Politikausführende stehen N Politikbeauftragenden gegenüber. Echte individuelle Situationen gibt es hier praktisch keine.

Das Problem vor dem die "Klimapsychologie" steht ist, dass sie nur einen Werkzeugkasten für individuelle Situationen hat, damit nun aber in einer Massensituation handeln muss. Meine Vermutung ist, dass das vorhandene Werkzeug dafür untauglich ist. Aber wie sagt man so schön?:
Wenn man nur einen Hammer hat, sieht jedes Problem wie ein Nagel aus.

Benutzeravatar
MartinV
Beiträge: 788
Registriert: 31.07.2015 19:38:52
Wohnort: Hyperion
Kontaktdaten:

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von MartinV » 17.11.2019 08:27:14

Danke für die tiefgehenden und durchdachten Beiträge.
hikaru hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
15.11.2019 11:23:34
Das Problem vor dem die "Klimapsychologie" steht ist, dass sie nur einen Werkzeugkasten für individuelle Situationen hat, damit nun aber in einer Massensituation handeln muss. Meine Vermutung ist, dass das vorhandene Werkzeug dafür untauglich ist. Aber wie sagt man so schön?:
Wenn man nur einen Hammer hat, sieht jedes Problem wie ein Nagel aus.
Nur ein kleiner Gedankeneinwurf meinerseits: Es gibt Werke über Massenpsychologie und Propaganda. Göbbels hat davon gelernt und erfolgreich umgesetzt.

Wertneutral betrachtet könnten sich hier geeignete Werkzeuge finden.

Vorbeugend weise ich darauf hin, daß Werkzeuge per se weder gut noch böse sind.
Die Vernunft kann einem schon leidtun. Sie verliert eigentlich immer.

debianuser4782
Beiträge: 196
Registriert: 11.03.2018 23:09:05

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von debianuser4782 » 18.11.2019 00:04:01

Ich habe den Artikel noch nicht gelesen. Mir reicht aber schon die Zusammenfassung am Anfang des Textes als Denkanstoß.

Zusammenfassung: Ein breiter Konsens seriöser Forschung warnt vor dem Szenario einer bald nicht mehr abzuwendenden Spirale des menschengemachten Klimawandels. Trotzdem scheinen sowohl große Teile der Bevölkerung als auch der Entscheidungsträger sich nicht für die drohende Zerstörung der Welt, wie wir sie kennen, angemessen zu interessieren. Die düsteren Prophezeiungen der Klimawissenschaftler 1 werden heruntergespielt oder sogar geleugnet, die nötigen klimapolitischen Schritte werden nicht unternommen. Der Artikel betrachtet diese Phänomene aus der Perspektive der Existenziellen Psychotherapie und versucht hierbei, sowohl auf mögliche Ursachen und Mechanismen dieser Verdrängung hinzuweisen als auch konkrete psychotherapeutische „Interventionen“ abzuleiten. Plädiert wird zudem für eine aktive Beteiligung der Psychotherapeuten an Gesundheitskampagnen gegen diese weit verbreitete „existenzielle Neurose“.

Ich habe letztens in einer Doku im Fernsehen die Information erlangen können, dass es im menschlichen Gehirn Areale gibt, die dafür sorgen, dass man Todesleid und Sterben immer nur bei anderen Menschen oder sonstigen Lebenwesen (ganzer Welten?) bewusst wahrnehmen - oder besser - beobachten kann. Die Wahrscheinlichkeit selbst eines unnatürlichen Todes zu sterben oder die Tatsache, dass man selbst irgendwannn einmal natürlicherweise sterben muss, wird dagegen im Bewusstsein bei einem gesunden normalen Menschen durch das Gehirn automatisch völlig verdrängt und allenfalls als abstrahierte, rationalisierte Information (einhergehend mit verhältnismäßig wenig Emotionen) in den Verstand gerufen. Das menschliche Gehirn wäre danach also imstande, für eine Simulation eines subjektiven "Ich-Zustandes" zu sorgen, welcher die eigene Vergänglichkeit und Krankheitsanfälligkeit usw in gewissem Maße - zumindest im Bewusstsein - ausblendet - also quasi eine Art "Superman-Generator". Vielleicht ist zudem "Unschärfe", verhinderte Selbsterkenntnis oder -wahrnehmung, verhinderte vollständige Wahrnehmung des Kosmos usw als solche ein wesentliches Kernelement des menschlichen Seins? Dafür würde die Notwedigkeit sprechen, dass das Gehirn aufgrund seiner begrenzten Kapazitäten (in Wechselwirkung zu seiner begrenzten Umwelt [Körper/Erde/Weltall]) zwangsweise auf Komplexitätsreduzierung angewiesen ist. Dies kann durch Automatisierung von Prozessen geschehen oder durch Verdrängen von Prozessen in das Unterbewusstsein oder beides zusammen. Auch das "Schrumpfen der Umwelt" durch die Menschheit in eine für sie kollektiv wahrnehmbare und zumindest dem äußeren Anschein nach (auf begrenzte Zeit) kontrollierbare "heuristische Welt" gehört wohl dazu. So gesehen erzählt die Menschheit mit ihrer Existenz nach wie vor eher eine äußerst individuelle Geschichte, als "die Welt" in ihrer tatsächlichen Beschaffenheit vollständig wahrzunehmen und sie auch rational zu beherrschen.
Wenn jemand spontan ein Bilderbuch mit optischen Illusionen durchblättert, wird er nicht auf die Idee kommen, dass die Figuren die er dort sieht auch real existieren könnten. Das menschliche Gehirn aber scheint es als überlebensnotwendig zu sehen ebensolche Figuren - wie zum Beispiel das mentale Penrose-Dreieck-Äquivalent - im übertragenen Sinne für den Menschen "real" werden zu lassen, eine an das eigene Wesen angepasste Simulation, ein an sich "unmögliches Hologramm".
"Losing Earth" ist daher intuitiv für das Gehirn auch ein angenehmerer Titel als "Wir verlieren uns in uns selbst", da bei diesem "die Erde" der sterbende Protagonist ist.

Benutzeravatar
hikaru
Moderator
Beiträge: 13594
Registriert: 09.04.2008 12:48:59

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von hikaru » 18.11.2019 10:48:52

MartinV hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
17.11.2019 08:27:14
Nur ein kleiner Gedankeneinwurf meinerseits: Es gibt Werke über Massenpsychologie und Propaganda. Göbbels hat davon gelernt und erfolgreich umgesetzt.

Wertneutral betrachtet könnten sich hier geeignete Werkzeuge finden.
Propaganda nutzt aber die irrationalen Ängste und Wünsche, nicht den Verstand der Menschen. Damit funktioniert sie grundlegend anders als Aufklärung und Wissenschaft.
Daher glaube ich nicht, dass Propagandawerkzeuge helfen können, die reale Klimapolitik in eine nachhaltige Richtung zu lenken. Dazu müsste nämlich bei der Mehrheit von Volk, Politikern und Wirtschaftsführern die irrationalen Ängste vor den Folgen des Klimawandels größer werden als die Angst vor Arbeitsplatzverlust, der nächsten Wahl oder den nächsten Quartalszahlen.
Hinzu kommt, dass für die meisten Ü50 (aus welchen sich hauptsächlich Politiker und Wirtschaftsführer rekrutieren) die wirklich gravierenden direkten Auswirkungen des Klimawandels außerhalb ihrer Lebenszeit stattfinden werden. Alles was sie miterleben (werden) sind indirekte Folgen, die sich zumindest absehbar innerhalb des bestehenden politischen und wirtschaftlichen Systems einfacher durch Blockadehaltungen abwehren lassen.

Die einzige Bevölkerungsgruppe, bei der die Angst vor dem Klimawandel eine dominante Rolle einnimmt ist die Jugend (U20, z.T. noch U30). Das liegt einerseits wirklich am Alter, weil sie aufgrund ihrer längeren verbleibenden Lebenszeit mehr vom Klimawandel mitkriegen werden, zum vermutlich größeren Anteil aber daran, dass sie sich noch nicht im Leben eingerichtet haben, also auch keine unmittelbaren kurzfristigen Verlustängste in Bezug auf wirksame Klimapolitik haben. Hier kann Propaganda tatsächlich funktionieren, und das tut sie ja auch. Greta Thunberg nutzt in ihren Reden z.B. Propagandaelemente ("I want you to panic!", "How dare you?!") und ist selbst in ihrer Rolle als Ikone Propagandawerkzeug.
Sobald die heutige Jugend sich eingerichtet hat (mit Hauskredit, mehr oder weniger festem Job, etc.) werden aber auch hier bei der Mehrheit unmittelbare Verlustängste in Bezug auf die erarbeiteten Privilegien die Oberhand über die eher abstrakten Ängste vor dem Klimawandel gewinnen.

debianuser4782 hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
18.11.2019 00:04:01
"Losing Earth" ist daher intuitiv für das Gehirn auch ein angenehmerer Titel als "Wir verlieren uns in uns selbst", da bei diesem "die Erde" der sterbende Protagonist ist.
Englisch ist oft eine herrlich unscharfe Sprache. ;)
Deine Übersetztung von "Losing Earth" als "die Erde verliert" ist natürlich zulässig, ich habe es aber für mich immer als "die Erde verlieren" übersetzt, im Sinne von "Wir verlieren unsere Lebensgrundlage."
In diesem Zusammenhang ist der Protagonist nicht "die Erde", sondern der Leser, also im Großen gesprochen "die Menschheit" bzw. im Kleinen ich ganz persönlich.

Benutzeravatar
heisenberg
Beiträge: 3567
Registriert: 04.06.2015 01:17:27
Lizenz eigener Beiträge: MIT Lizenz

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von heisenberg » 18.07.2022 04:46:03

Die Geschichte geht dann mal gemütlich weiter - nicht überraschend, aber konsequent(aktuell):

https://dontspeaknews.com/2022/07/17/wh ... isappears/

TL;DR: Plankton bald weg (...und die Luft zum Atmen? ... und alles darüber in der Nahrungskette?)

Auf dem Land sieht's ja net besser aus(2018):
https://www.washingtonpost.com/science/ ... sect-loss/

TL;DR: Insekten bald weg. (...und alles darüber in der Nahrungskette?)

Ansonsten scheinen Stefan Rahmstorf und die anderen Top-Klimaforscher wohl der Meinung zu sein, dass ab jetzt 3°C Erhöhung bei hoher Anstrengung noch erreichbar sind, wenn ich diese Grafik aus dem Buch 3 Grad mehr richtig interpretiere:

https://pbs.twimg.com/media/FWV-MBQXEAA ... name=large

Aber den wenigsten ist es ja anscheinend wichtig. Wir haben ja immer genug anderes zu tun. So nutzlose Kriege führen und Viren (hoch-)züchten, die uns noch schneller ausrotten.

Ich gehe dann mal weiter meine Apfelbäumchen pflanzen.
Zuletzt geändert von heisenberg am 18.07.2022 09:32:43, insgesamt 2-mal geändert.
Jede Rohheit hat ihren Ursprung in einer Schwäche.

dasebastian
Beiträge: 1886
Registriert: 12.07.2020 11:21:17

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von dasebastian » 18.07.2022 09:07:43

Ohne jetzt den gesamten Thread gelesen zu haben: ich selbst arbeite mittlerweile seit einigen Jahren im Naturschutz, führe ganz konkrete Maßnahmen (da bist du mit Apfelbäumchen pflanzen schon mal nicht schlecht dabei :wink: ) auf ganz konkreten Flächen durch.

Jedes Jahr habe ich auch Schulklassen bei mir, denen ich dann große und kleinere Zusammenhänge vermittle. Meistens wird es recht still, wenn ich ihnen mitteile, dass Naturschutz nichts für Ästheten oder so komische Bio-Spinner ist, sondern es ganz eigennützig um uns - die Tierart Mensch - geht. "Der Natur" ist es ja schnurzpiepegal, ob 5 Grad wärmer oder nicht, die findet ihren Weg. Nur wir Menschen, für uns wird's dann eng. Wir sind zwar extrem anpassungsfähig (fittest) aber irgendwann ist halt Schluss. Dann sterben wir vielleicht nicht als gesamte Art aus, aber die Kultur, so wie wir sie als extrem bevorzugte Mitteleuropäer kennen, die kommt dann an ihr Ende, das geht sich (jetzt schon) nicht mehr aus.

Ich verstehe es auch nicht, es ist offensichtlich, dass es an allen Ecken und Enden schon knirscht, aber der Vogel Strauss ist anscheinend fest in unseren Hirnen verankert.

Benutzeravatar
debilian
Beiträge: 1200
Registriert: 21.05.2004 14:03:04
Wohnort: 192.168.43.7
Kontaktdaten:

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von debilian » 18.07.2022 09:28:15

Pflanze auch jedes Jahr Bäume, die letzten Jahre müssen die gegossen werden, da es extem trocken ist.
Die Frage ist halt, ob wir mit einem System welches aus Konsum (hier in Europa, Konsum von vielem, was sinnlos ist und im Überfluss ungenutzt wieder weg geschmissen wird) besteht, in der Lage sind umzuschwenken - da sehe ich schwarz.
Mir fehlt eine ernsthafte politische Strömung, die die Reduktion des Konsums und den Verzicht propagiert.
Nicht sehr populär, ich weiss....

gruss
d.
-- nichts bewegt Sie wie ein GNU --

Benutzeravatar
heisenberg
Beiträge: 3567
Registriert: 04.06.2015 01:17:27
Lizenz eigener Beiträge: MIT Lizenz

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von heisenberg » 18.07.2022 09:39:58

...Apfelbäumchen...
Das war eigentlich nur eine Referenz auf das Luther-Zitat. ;-)

Ansonsten ist der Twitter-Account von Stefan Rahmstorf sehr ergiebig:

https://nitter.net/rahmstorf

Nachtrag:

Mein Leben ist gefühlt immer noch so, wie die ganzen Jahre - dass mag bei diversen anderen Erdenbewohnern mittlerweile ganz anders ein. Ich habe aber den Eindruck, dass einschneidende Veränderungen auch in meinem Umfeld nicht mehr all zu lange auf sich warten lassen.
Jede Rohheit hat ihren Ursprung in einer Schwäche.

Benutzeravatar
hikaru
Moderator
Beiträge: 13594
Registriert: 09.04.2008 12:48:59

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von hikaru » 18.07.2022 10:21:49

heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
18.07.2022 04:46:03
Die Geschichte geht dann mal gemütlich weiter - nicht überraschend, aber konsequent(aktuell):

https://dontspeaknews.com/2022/07/17/wh ... isappears/

TL;DR: Plankton bald weg
Zumindest auf Zooplankton bezogen dürfte das TL;DR: stimmen (bei Phytoplankton sieht es wegen des künstlichen Nährstoffeintrags teils anders aus), aber ich finde diesen Artikel qualitativ schlecht (keine Verweise auf Primärquellen, religiöse Bezüge als Erklärungsansätze), so dass ich ihn nicht zur Argumentation in der Sache nutzen würde.
heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
18.07.2022 04:46:03
Auf dem Land sieht's ja net besser aus(2018):
https://www.washingtonpost.com/science/ ... sect-loss/

TL;DR: Insekten bald weg.
Der Artikel ist besser. Das eigentliche TL;DR: aus beiden Artikeln ist für mich aber ein anderes:
Zusammenbruch mariner und terrestrischer Nahrungsketten steht unmittelbar bevor.
heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
18.07.2022 04:46:03
Ansonsten scheinen Stefan Rahmstorf und die anderen Top-Klimaforscher wohl der Meinung zu sein, dass ab jetzt 3°C Erhöhung bei hoher Anstrengung noch erreichbar sind, wenn ich diese Grafik aus dem Buch 3 Grad mehr richtig interpretiere:

https://pbs.twimg.com/media/FWV-MBQXEAA ... name=large
Ich vermute, du kennst, wie ich, von diesem Buch nur die verlinkte Leseprobe. Falls du mehr kennst, sag bitte bescheid!
Was für mich aus der Leseprobe nicht klar wird ist, wie die geänderte Prognose zustande kommt. Für das einstmals ausgegebene 2-Grad-Ziel war ja die Voraussetzung, bis 2030 auf globalem Maßstab klimaneutral zu sein. Ist das hier ausgegebene 3-Grad-Ziel "nur" das Eingeständnis in die Realität, dass wir das bis 2030 nicht schaffen werden und wird daher in 5-10 Jahren auf 4 Grad weiter nach oben korrigiert, wenn die nächste Deadline an uns vorbeirauscht, oder liegen hier originär neue Erkenntnisse zugrunde, die das 2-Grad-Ziel selbst dann außer Reichweite schieben würden, wenn wir durch ein Wunder bis 2030 tatsächlich klimaneutral wären?
Aus der Grafik wird außerdem deutlich, dass bei allem jenseits von plus drei Grad dies nicht der Endzustand sein wird, sondern lediglich die Marke ist, die bis 2100, dem Ende des betrachteten Zeitraums, erreicht wird. Ich hatte es schon früher im Thread erwähnt: Das vier-Grad-Szenarion (bis 2100) geht von plus acht Grad bis 2200 aus. Und das sind globale Mittel, welche vom effektdämpfenden Meer dominiert sind. Über Land muss man die Werte jeweils verdoppeln.
heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
18.07.2022 04:46:03
Aber die wenigsten ist es ja anscheinend wichtig. Wir haben ja immer genug anderes zu tun. So nutzlose Kriege führen und Viren (hoch-)züchten, die uns noch schneller ausrotten.
dasebastian hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
18.07.2022 09:07:43
Ich verstehe es auch nicht, es ist offensichtlich, dass es an allen Ecken und Enden schon knirscht, aber der Vogel Strauss ist anscheinend fest in unseren Hirnen verankert.
Vor Allem ist der Vogel Strauß bequem. Deshalb entscheiden wir uns für ihn. "Uns" meint hier sowohl uns alle als Menschheit, als auch jeden von uns Dreien persönlich. Wir drei sind uns des Problems bewusst, aber jeder von uns hat sich trotzdem für einen Lebensstil entschieden, der nicht nachhaltig ist.
Apfelbäume hin oder her, wir alle schreiben hier in einem Internetforum. D.h. wir alle haben einen Computer, der weder in Herstellung noch in Unterhalt (Energie) nachhaltig ist. Er steht in einer Wohnung oder einem Haus, was ebenfalls im Unterhalt mit ziemlicher Sicherheit nicht nachaltig ist. Und um das zu finanzieren gehen wir vermutlich Berufen nach, die ebenfalls nicht nachhaltig sind.
Wenn schon wir drei das mit der Nachhaltigkeit nicht hinkriegen, was wollen wir dann von Anderen erwarten?
debilian hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
18.07.2022 09:28:15
Mir fehlt eine ernsthafte politische Strömung, die die Reduktion des Konsums und den Verzicht propagiert.
Das ist ohne Wechsel des Wirtschaftssystems nicht möglich. Wachstum ist Grundvoraussetzung für den Kapitalismus. Schrumpfungsphasen sind zwar Teil des Systems, gelten aber als Abweichung vom gewünschten Zustand und werden bestenfalls als notwendige Konsolidierungsphase in Vorbereitung eines weiteren Wachstumsschubs betrachtet.
Ich vermute sogar, dass einige etablierte wirtschaftsliberale Kräfte eine ernsthafte Strömung die daran rütteln wollte als verfassungsfeindlich ansehen würden.
heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
18.07.2022 09:39:58
Mein Leben ist gefühlt immer noch so, wie die ganzen Jahre. Ich habe aber den Eindruck, dass einschneidende Veränderungen nicht mehr all zu lange auf sich warten lassen.
In meinem Umfeld fängt man gerade ernsthaft an darüber zu diskutieren, wie lange man sich den akkurat gepflegten (und natürlich künstlich bewässerten) englischen Rasen auf dem eigenen Grundstück noch leisten kann - "leisten" nicht im finanziellen Sinn, sondern mit Blick auf den lokalen und regionalen Wasserhaushalt. Ein Blick über den Gartenzaun auf das Brachland verrät, dass eigentlich die Steppe der natürliche Landschaftstyp ist. Der Nachbar hat sich derweil einen Swimmingpool hinter'm Haus gebaut.

Benutzeravatar
heisenberg
Beiträge: 3567
Registriert: 04.06.2015 01:17:27
Lizenz eigener Beiträge: MIT Lizenz

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von heisenberg » 18.07.2022 10:52:02

hikaru hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
18.07.2022 10:21:49
...aber ich finde diesen Artikel qualitativ schlecht (keine Verweise auf Primärquellen, religiöse Bezüge als Erklärungsansätze), so dass ich ihn nicht zur Argumentation in der Sache nutzen würde.
Ich habe jetzt nicht den Primärartikel genommen. Das ist der folgende.

https://www.sundaypost.com/fp/humanity- ... d-animals/
Zusammenbruch mariner und terrestrischer Nahrungsketten steht unmittelbar bevor.
Ja. Sicher. Ich dachte, die Konsequenz ist offensichtlich und muss da nicht extra erwähnt werden.

Das mit dem Sauerstoff(habe ich nachträglich editiert) scheint mir auch recht dramatisch zu sein. Aber da sind die Zeiträume wahrscheinlich noch etwas größer.
Ich vermute, du kennst, wie ich, von diesem Buch nur die verlinkte Leseprobe.
Ich habe nur mal kurz durch sein Blog gescrollt.
Das ist ohne Wechsel des Wirtschaftssystems nicht möglich. Wachstum ist Grundvoraussetzung für den Kapitalismus. Schrumpfungsphasen sind zwar Teil des Systems, gelten aber als Abweichung vom gewünschten Zustand und werden bestenfalls als notwendige Konsolidierungsphase in Vorbereitung eines weiteren Wachstumsschubs betrachtet. Ich vermute sogar, dass einige etablierte wirtschaftsliberale Kräfte eine ernsthafte Strömung die daran rütteln wollte als verfassungsfeindlich ansehen würden.
Natürlich ist das keine Kleinigkeit - stark untertrieben gesagt. Was nötig ist, ist der vollkommene Umbau aller großen Gesellschaften weg von Imperialismus und Machtstreben, hin zu bedingungsloser Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Aufgabe von Kapitalismus(anhäufung von persönlichem Reichtum) hin zu rein auf das Gemeinwohl ausgerichter Arbeitsweise, um die anstehenden Aufgaben überhaupt bewältigt zu bekommen.

In Bezug auf die Mächtigen ist es für mich deswegen entweder eine der Frage eines Mangels an Einsicht, die Notwendigkeit absolut radikaler Maßnahmen zu erkennen um schlimmeres zu verhindern(was mich absolut nicht wundern würde) - oder andererseits die Einsicht als gegeben zu unterstellen und demzufolge die durch Nicht-Handeln bewußt absichtsvolle Herbeiführung der drohenden Konsequenzen anzunehmen, der man sich aufgrund des eigenen Wohlstandes / der eigenen Macht vielleicht ausreichend gewappnet sieht. (Solange es mir gut geht: Sollen die anderen doch verrecken!)
Zuletzt geändert von heisenberg am 18.07.2022 11:31:10, insgesamt 1-mal geändert.
Jede Rohheit hat ihren Ursprung in einer Schwäche.

Benutzeravatar
hikaru
Moderator
Beiträge: 13594
Registriert: 09.04.2008 12:48:59

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von hikaru » 18.07.2022 11:31:05

heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
18.07.2022 10:52:02
Ich habe jetzt nicht die Primärquelle genommen. Das ist vielleicht die folgende?

https://www.sundaypost.com/fp/humanity- ... d-animals/
Nein, das ist auch nur ein Presseartikel - wenn auch besser aufgemacht. Aber auch hier fehlen Verweise auf Primärquellen, wie z.B. Auf wissenschaftlche Paper oder zumindest deren Abstracts.
heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
18.07.2022 10:52:02
Natürlich ist das keine Kleinigkeit - stark untertrieben gesagt. In Bezug auf die Mächtigen ist es für mich deswegen entweder eine der Frage eines Mangels an Einsicht, die Notwendigkeit absolut radikaler Maßnahmen zu erkennen um schlimmeres zu verhindern - oder andererseits die Einsicht als gegeben zu unterstellen und demzufolge die durch Nicht-Handeln bewußt absichtsvolle Herbeiführung der drohenden Konsequenzen anzunehmen.
Es ist eine Frage politscher Prioritätensetzung. Und da gewinnt eigentlich immer Tagespolitik über langfristige Strategien.
Wir sehen das gerade Live. Als Covid-19 den Klimawandel als primäres Krisenthema in den Medien abgelöst hat, gab es, wenn man den weiter andauernden Klimawandel ansprach, öfter den bissigen Kommentar: "Klima ist vorbei! Jetzt ist Corona!" Inzwischen gilt: "Corona ist vorbei! Jetzt ist Krieg!"
Natürlich sind weder der Klimawandel, noch Covid-19 als Krisen vorbei. Und beide werden auch zu unseren Lebzeiten nie vorbei sein. Es wird auf die nächsten Jahrzehnte hinaus zumindest konstanter Anstrengungen bedürfen, beides in handhabbaren Grenzen einzudämmen. Aber das tagespolitisch bestimmende Thema ist eben aktuell der Krieg in der Ukraine. Und angesichts der damit einhergehenden absehbaren Energieversorgungskrise ziehen wir derzeit Dinge in Betracht, die aus Sicht der beiden anderen Krisen völlig wahnsinnig erscheinen: Wir fahren Kohlekraftwerke wieder hoch und erhöhen damit den ohnehin schon zu hohen CO₂-Ausstoß und wir diskutieren zwecks Energieeinsparung über öffentliche "Wärmestuben", aus Covid-19-Perspektive potentielle Superspreader-Szenarien.
So tragisch der Krieg in der Ukraine für die Betroffenen auch ist (ich kenne Einige persönlich), in 50 Jahren spielt der außer in den Geschichtsbüchern keine Rolle mehr. Ob Covid-19 dann noch eine Rolle spielen wird weiß ich nicht. Ich vermute, ja, es wird noch eine Rolle spielen, aber keine große. Die seit fast 50 Jahren von uns verchleppte Klimakrise wird noch in tausenden Jahren die Menschen beschäftigen, um es vorsichtig auszudrücken. Angesichts dieser Aussichten sollten die Prioritäten eigentlich auf der Hand liegen. Aber jetzt, in und für diesen Moment gibt es eben ein Thema das aktuell wichtiger ist als das Klima, daher wird es hintenangestellt. Und so ein aktuell wichtigeres Thema wird es immer wieder geben. Daher werden wir die Bekämpfung des Klimawandels auch weiterhin verschleppen.

tobo
Beiträge: 1996
Registriert: 10.12.2008 10:51:41

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von tobo » 18.07.2022 12:00:05

hikaru hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
18.07.2022 10:21:49
Was für mich aus der Leseprobe nicht klar wird ist, wie die geänderte Prognose zustande kommt. Für das einstmals ausgegebene 2-Grad-Ziel war ja die Voraussetzung, bis 2030 auf globalem Maßstab klimaneutral zu sein. Ist das hier ausgegebene 3-Grad-Ziel "nur" das Eingeständnis in die Realität,[..]
Wo ist da eine geänderte Prognose? Das 2°-Ziel ist global und die 3°-Grafik ist deutschlandweit (aktuell (2020): global ~1.1°, Grafik (Ger) ~2.3).

Benutzeravatar
hikaru
Moderator
Beiträge: 13594
Registriert: 09.04.2008 12:48:59

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von hikaru » 18.07.2022 12:17:34

tobo hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
18.07.2022 12:00:05
Das 2°-Ziel ist global und die 3°-Grafik ist deutschlandweit
Danke für den Hinweis! Ich hatte übersehen, dass sich die Grafik auf Deutschland bezieht.

Benutzeravatar
heisenberg
Beiträge: 3567
Registriert: 04.06.2015 01:17:27
Lizenz eigener Beiträge: MIT Lizenz

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von heisenberg » 18.07.2022 12:23:39

Mit den Mächtigen habe ich jetzt nicht unbedingt (nur) die Politik gemeint, sondern die Geldeliten auf der ganzen Welt, die in Ihrem Sinne auf die Gesetzgebung einwirken und dringend notwendige Richtungsänderungen blockieren - also alles, was Ihren Profit schmälert bzw. durch Kosten belastet. Das gerade abgeschmetterte Gesetz in den USA, dass die CO² Emissionen von Unternehmen begrenzen sollte, ist ein gutes Beispiel dafür: 2 von 3 Richtern(!) waren entsprechend in Ihre Posten eingesetzt worden, um die Entscheidung der Interessengruppen dahinter durchzusetzen.

Siehe:

https://www.spiegel.de/wissenschaft/men ... CQgO1dEMph
tobo hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
18.07.2022 12:00:05
Das 2°-Ziel ist global und die 3°-Grafik ist deutschlandweit
Danke. Das hatte ich auch nicht bemerkt.
Jede Rohheit hat ihren Ursprung in einer Schwäche.

dasebastian
Beiträge: 1886
Registriert: 12.07.2020 11:21:17

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von dasebastian » 18.07.2022 12:53:34

heisenberg hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
18.07.2022 09:39:58
...Apfelbäumchen...
Das war eigentlich nur eine Referenz auf das Luther-Zitat. ;-)
Und ich meine es ganz konkret. :THX:

dasebastian
Beiträge: 1886
Registriert: 12.07.2020 11:21:17

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von dasebastian » 18.07.2022 13:05:49

hikaru hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
18.07.2022 10:21:49
... Wenn schon wir drei das mit der Nachhaltigkeit nicht hinkriegen, was wollen wir dann von Anderen erwarten?
Jein. Meine Frau und mich treibt dieser Themenkreis seit 15 Jahren um. Mittlerweile arbeite ich hauptberuflich im Naturschutz und der Landschaftspflege, wir bauen gerade eine kleine 2ha-Gemüse-Obst-Landwirtschaft auf, verzichten bewusst auf ein zweites Auto und geben wahrscheinlich mehr als die Hälfte unseres Haushaltseinkommens für Lebensmittel aus. Klar - da wird auf Vieles verzichtet - dafür bekommt man aber auch Vieles zurück, das ist einfach eine ganz andere Form von Qualität (die noch nicht mehrheitsfähig ist). Mein Leben ist nicht perfekt, bei WEIIITEM nicht, mein Fußabdruck ist immer noch riesengroß, was soll ich sagen, wir versuchens...

ABER: die Zeiten, wo wir alle persönlich die Welt retten können und sollen sind definitiv vorbei. Das muss politisch gewollt sein und es wird knirschen und krachen. Das wird es aber so oder so. Und obwohl ich finde, dass sehr viele Menschen sehr Vieles ganz persönlich besser machen könnten, kommt mir mittlerweile das Kotzen, wenn ich Politiker an die persönliche Vernunft appellieren höre. Es ist ganz einfach dreist, sich von Menschen wählen zu lassen, dann die Interessen einiger weniger zu unterstützen und dem Rest zu sagen, da müsst ihr selber euren Beitrag...

Benutzeravatar
hikaru
Moderator
Beiträge: 13594
Registriert: 09.04.2008 12:48:59

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von hikaru » 18.07.2022 13:54:16

dasebastian hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
18.07.2022 13:05:49
Mein Leben ist nicht perfekt, bei WEIIITEM nicht, mein Fußabdruck ist immer noch riesengroß, was soll ich sagen, wir versuchens...
Das ist nett von dir/euch, aber du wirst es in Deutschland, oder in einem Land mit vergleichbarem Lebensstandard selbst mit größter Mühe nicht schaffen, nachhaltig zu leben - allein schon weil dein öffentlciher Anteil praktisch dein gesamtes Ressourcenbudget auffrisst. Da ist den ganz individueller Verbrauch (den du auch nur begrenzt beeinflussen kannst) noch gar nicht einbezogen.
dasebastian hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
18.07.2022 13:05:49
ABER: die Zeiten, wo wir alle persönlich die Welt retten können und sollen sind definitiv vorbei.
Diese Zeiten gab es auch nie, denn ein nachhaltiges Leben versetzt dich in einen Wettbewerbsnachteil weil diejenigen die nicht nachhaltig leben ihre Nachhaltigkeitskosten externalisieren können.
dasebastian hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
18.07.2022 13:05:49
Das muss politisch gewollt sein und es wird knirschen und krachen. Das wird es aber so oder so. Und obwohl ich finde, dass sehr viele Menschen sehr Vieles ganz persönlich besser machen könnten, kommt mir mittlerweile das Kotzen, wenn ich Politiker an die persönliche Vernunft appellieren höre. Es ist ganz einfach dreist, sich von Menschen wählen zu lassen, dann die Interessen einiger weniger zu unterstützen und dem Rest zu sagen, da müsst ihr selber euren Beitrag...
Politik kann nicht nachhaltig handeln, wenn die Bevölkerung, also die Mehrheit der einzelnen Staatsbürger es selbst nicht will. Nachhaltige Politik muss externalisierte Nachhaltigkeitskosten wieder internalisieren, indem z.B. durch Produkte oder Dienstleistungen erzeugte Umweltschäden vollständig über eine Steuer in diese Wirtschaftsgüter eingepreist werden. Diese Steuern werden dann dazu verwendet, die angerichteten Umweltschäden wieder zu beheben. Diese Rechnung muss sowohl ökologisch als auch ökonomisch aufgehen.
Das Resultat wären große Preissteigerungen, welche wiederum zu sozialen Unruhen führen. Eine demokratisch gewählte Regierung wird dafür bei der nächsten Wahl abgewählt und durch eine weniger Nachhaltige ersetzt und schon haben wir die alten Probleme wieder. Eine "Ökodiktatur" wäre, selbst wenn sie es schaffen würde die sozialen Unruhen zu unterdrücken, global nicht gegen die nicht-nachhaltige Konkurrenz wettbewerbsfähig und würde daher über kurz oder lang zusammenbrechen und ebenfalls durch eine nicht-nachhaltige Regierung ersetzt.

dasebastian
Beiträge: 1886
Registriert: 12.07.2020 11:21:17

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von dasebastian » 18.07.2022 17:51:55

Du hast da mit allem, was du "dagegen hältst" natürlich absolut recht, schon allein von der Logik her. Was allerdings folgerst du/wir daraus? Hände in den Schoß und lassen wir's?

Ich bin bei diesen Diskussionen eigentlich schon raus, habe mich nur wieder mal hinreissen lassen... :facepalm: :mrgreen:

Keine Ahnung, wo du im Leben stehst, ich kann da einfach nicht nichts versuchen oder einfach nur durchanalysieren und zum Ergebnis kommen, dass es ohnehin mehr oder weniger zu spät ist. Schon allein wegen meines Spiegelbildes jeden Morgen, aus dem mich meine Tochter hinter mir angrinst...

Zumindest ist es mittlerweile auch bei weiteren Teilen angekommen, vor zehn Jahren haben uns Leute noch als reine Spinner betrachtet, als Hysteriker.

Anyways!

inne
Beiträge: 3281
Registriert: 29.06.2013 17:32:10
Lizenz eigener Beiträge: GNU General Public License
Kontaktdaten:

Re: Lesetipp: "Losing Earth"

Beitrag von inne » 18.07.2022 18:09:31

hikaru hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
18.07.2022 13:54:16
Eine demokratisch gewählte Regierung wird dafür bei der nächsten Wahl abgewählt und durch eine weniger Nachhaltige ersetzt und schon haben wir die alten Probleme wieder.
Schau nur das Intro aus der Doku Kampf um Wasser | Durst - Wenn unser Wasser verschwindet (Das ist ein Dreiteiler):

Dort der Bayrische Umweltminister Glauber:
Wenn wir politisch getriebene sind, im Ringen um den Liter Wasser, dann gnade uns Gott.
---
dasebastian hat geschrieben: ↑ zum Beitrag ↑
18.07.2022 17:51:55
Keine Ahnung, wo du im Leben stehst, ich kann da einfach nicht nichts versuchen oder einfach nur durchanalysieren und zum Ergebnis kommen, dass es ohnehin mehr oder weniger zu spät ist. Schon allein wegen meines Spiegelbildes jeden Morgen, aus dem mich meine Tochter hinter mir angrinst...
Zumdindest ein "ertäglich machen" (Auch für uns, nicht nur der Kinder wegen) könnte wohl noch versucht werden. Soweit ich das alles mitbekommen habe, ist das Jahr 2030-35 wohl der Stichtag, um wirklich zu sehen wo wir stehen?

Antworten