Meillo hat geschrieben: 21.07.2021 12:09:36
Das finde ich interessant, weil ``sinnentstellend'' so wertend klingt. Letztlich sagst du doch, dass dir das um einen Buchstaben reichere Alphabet des Deutchland-Deutschen lieber ist als das Schweizer-Deutschen, weil es manche Mehrdeutigkeiten vermeidet. Aber gleichzeitig scheinst du kein Problem mit gleichartigen Mehrdeutigkeiten im Deutschland-Deutschen zu haben -- also Teekessel-Woerter wie ``Tonne''. Du sagst, die Fusion von ``in Maßen'' und ``in Massen'' ist doof, aber ``zwei Tonnen Kohle'' nimmst du hin.
Ja, das war auch wertend gemeint. Dabei geht es mir aber nicht um den einen Buchstaben mehr oder weniger. Seit der letzten Rechtschreibreform ist "ß" auch in der deutschen Rechtschreibung so selten, dass man es von mir aus ganz abschaffen könnte.
Es geht mir im Extrem genau um das von dir gebrachte Beispiel "in Maßen" vs. "in Massen", wobei durch die Verwendung von "ss" statt "ß" der Inhalt einer Aussage umgekehrt wird. Dabei gäbe es eine einfache und eindeutge Möglichkeit, auch ohne "ß" eindeutig zu sein: "ß" nicht durch "ss" ersetzen, sondern durch "sz". Warum wird die nicht, bzw. so selten genutzt?
Meillo hat geschrieben: 21.07.2021 12:09:36
Fuer die Schweizer ist doch ``in Massen'' in der Wahrnehmung identisch zu ``zwei Tonnen Kohle'' fuer dich
Die Tonne als Maszeneinheit der Masse stört mich auch. Aber die dann anschließende Kette der Ungereimtheiten wird so lang, dass ich mir selten die Mühe mache, mir darüber den Kopf zu zerbrechen:
Eigentlich sollte man 2000kg statt 2 Tonnen sagen. Aber warum 2000kg? Das sind 2Mg. Das wäre der passende Si-Vorsatz. Womit wir beim nächsten Thema sind: Abgeleitete Si-Einheiten, welche die Masse enthalten, beziehen sich oft auf 1kg. Warum definiert man sowas? Die Grundeinheit der Masse ist 1g, nicht 1kg.
Mir ist schon klar, dass all diese Unstimmigkeiten in der Alltagssprache verwurzelt sind. Aber es zeigt eben, dass wir auch nach Jahrhunderten nur den halben Weg weg von Kannen und Füßen, hin zu konsistenten Maßeinheiten geschafft haben - und zwar nicht nur in unserer Alltagssprache, sondern selbst in der Definition unseres eigentlich als konsistent angesehenen Si-Einheitensystems.
Nun könnte man auf die Idee kommen, eine neue Einheitenreform anzustoßen, die alle abgeleiteten Si-Einheiten wirklich auf die Grundeinheiten bezieht. Aber auch das wäre nur eine halbe Sache, denn eigentlich ist das Si-Einheitensystem an sich überholt, da alle Grundeinheiten seit ihrer Einführung neu definiert wurden und daher heute bezogen auf ihre Definitionsbasis krumme Zahlenwerte haben.
Meillo hat geschrieben: 21.07.2021 12:09:36
Ebenso wie man in den meisten Sprache nicht wissen kann, ob ``zwei Lehrer'' beide das gleiche Geschlecht haben.
Ob zwei Lehrer das gleiche Geschlecht haben oder nicht, ist in den meisten Situationen nicht von Belang, den es hat keinen Einfluss auf ihre Qualifikation als Lehrer.
Und wenn es doch mal von Belang ist (z.B. um zu entscheiden, ob von den beiden Anwesenden nun der Sportlehrer oder die Sportlehrerin in die Mädchenumkleide geht um zu fragen, wem das in der Sporthalle liegengelassene Schweißband gehört), dann gibt es in jeder (mir bekannten) Sprache die Möglichkeit, das Geschlecht zu differenzieren.
In Anbetracht der Gender-Diskussion und der damit verbundenen Abkehr vom generischen Maskulinum finde ich es sogar hinderlich, dass im Deutschen hier so stark getrennt wird. Denn genau das ist es, was die "gendergerechten" Neuschöpfungen so sperrig macht.
Dabei sind zumindest die verbreiteten Neuschöpfungen (":innen" und das etwas aus der Mode gekommene Binnen-I) gar nicht gendergerecht im Sinne von geschlechtsneutral. Sie zeigen lediglich an, dass sowohl Frauen als auch Männer gemeint sind. Alle die sich weder als Mann noch als Frau fühlen, werden nach wie vor ausgeschlossen.
btw: Sind hier Kenner der französischen Alltagskultur unterwegs? Im Französischen ist doch das 3. Personalpronomen Plural geschlechtsabhängig. Bei einer ausschließlich weiblichen Gruppe heißt es "elles". Kommt auch nur ein Mann hinzu, wird es zu "ils".
Gibt es hier ähnliche Gender-Diskussionen wie im Deutschen? Z.B. könnte man argumentieren, das Pronomen nach Mehrheit zu nutzen. Das führt dann freilich zu so lustigen Effekten wie, dass man auch bei beliebig großen Gruppen (Fußballstadion) erst mal durchzählen müsste, bevor man den Mund aufmacht.
Meillo hat geschrieben: 21.07.2021 12:09:36
Oder stoert dich einfach grundsaetzlich jede Mehrdeutigkeit in jeder Sprache, weswegen du ein grosses Vokabular und ein grosses Alphabet gut findest?
Ja, das stört mich zum Teil, denn diese Mehrdeutigkeiten erschweren manchmal die Kommunikation. Das fällt mir besonders dann auf, wenn es im Deutschen Mehrdeutigkeiten gibt, die es in anderen Sprachen (v.a. Englisch, weil ich nur das wirklich beherrsche) nicht gibt.
Die konsequente Alternative wäre, auch für interpersonelle Kommunikation eine formale Sprache zu nutzen. Das hat aber andere Nachteile, die ich vermutlich nicht mal im Ansatz überblicke.
Meillo hat geschrieben: 21.07.2021 12:09:36
Im Uebrigen finde ich es immer wieder interessant wie jung diese Sprachnormierung doch ist. Das hat natuerlich etwas mit dem Bildungsniveau zu tun, aber manchmal kommt sie mir so unhinterfragbar und essenziell vor, dabei war sie vor wenigen Generationen noch wenig relevant.
Die Sprache unterliegt, wie die meisten anderen Bereiche des Lebens, einem kulturhistorisch recht jungen Formalisierungsdruck, der dadurch entsteht, dass unser modernes Leben stärker als je zuvor von Formalismen bestimmt ist.