Heute soll es um Signalkarten gehen - aber was bitte schön sind "Signalkarten" und was haben die mit Computern und freier Software zu tun?
Einleitung
Signalkarten kennen sicher einige von euch, wenn auch unter einem anderen Namen - nämlich unter dem Namen Kanban. Die Signalkarte wurde in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts in Japan in der Automobilproduktion erfunden. Das Wort Kanban setzt sich zusammen aus "Signal" und "Karte". Ziel war damals weniger Produktionsausschuss und ein transparenter Workflow.
Heute ist mit "Kanban" begrifflich in der Regel nicht die einzelne Signalkarte (bzw. die Aufgabe, das zu fertigende Produkt, die Fehlfunktion, die Serviceanfrage welche durch eine Signalkarte repräsentiert wird) gemeint, sondern zusätzlich auch die Anordnung und Regeln zum Verschieben dieser Karten auf einer Fläche. In IT-lastigen Bereichen sind Kanban, Kanban-Teams, Kanban-Boards, prioriserte Backlogs, Work-in-Progress-Limits, Pull-Prinzip etc relativ häufig bekannt, da sie dort in der Zusammenarbeit im Team eingesetzt werden. Um diesen beruflichen Einsatzkontext soll es heute nicht gehen, wir sind ja im Adventskalender und nicht in der Firmenschulung.
Der betriebliche Einsatz von Kanban beschert uns Kanban-Software, die wir auch als Privatpersonen oder Zusammenschluss von Personen (bspw. im Verein) nutzen können.
Braucht es überhaupt Software für Kanban?
Nein, definitiv nicht. Die hatten die Erfinder von Kanban ja auch nicht. Es reicht im analogen Leben völlig aus, eine Fläche zu haben, an der beschriftbare Karten oder Zettel angeheftet werden; Post-Its und eine Betonwand genügen oder Karten und Pin-Nadeln bei weichem Untergrund. Die Karten werden in Spalten übereinander befestigt, so dass alle Karten sichtbar sind. Die Zugehörigkeit zu einer Spalte sagt etwas über den Zustand aus, die Anordnung zeigt von oben nach unten oftmals die Priorität an. Ein typisches einfaches Kanbanboard hat drei Spalten: "Zu erledigen", "In Bearbeitung", "Erledigt", aber es sind auch mehr Spalten und andere Überschriften gebräuchlich. Leitmotiv ist dabei, Ideen und Aufgaben zu sammeln, festzulegen, zu priorisieren um sie dann abzuarbeiten und dabei die Übersicht zu behalten durch Visualisierung.
Gibt es Software für Kanban, und gibt es freie Software dafür?
Software für Kanbanboards gibt es reichlich, als "Platzhirsche" bei den kommerziellen Closed-Source Anbietern haben sich Trello, Asana und Meistertask etabliert. Deren Funktionen sind für den "kleinen" Einsatz im privaten Umfeld deutlich überdimensioniert, manche sind aber dennoch einfach überraschend bedienbar. Dazu kommen noch Software aus dem Bereich der Bug-Tracker, die sich teilweise auch wie Kanbanboards anfühlen können. Die grundlegende Problematiken bei Closed-Source-Anbietern (Lock-in-Effekt, meine Daten auf fremder Leute Rechner, Geschäftsmodell etc) sind euch sicher bewusst. Als sehr einfaches alternatives Einstiegsprodukt zum Ausprobieren (ohne eigene Installation, nutzbar mit dem Browser) könnt ihr mit dem Anbieter cryptpad sofort loslegen (die Beispiellinks unten verwenden cryptpad). Nextcloud-Nutzer sollten sich Deck anschauen. Cryptpad bietet mehr als Kanbanboards, setzt Open Source Software ein und erhebt Nutzerdaten sehr sparsam (im Unterschied zu den vorhin genannten Platzhirschen).
Ansonsten nenne ich aus der Open Source Ecke (ohne eigene Erfahrung damit): python3-kanboard python3-kanboard, wekan und restya. Die Suchmaschine eures Vertrauens wird euch noch mehr OSS-Projekte nennen.
Was kann ich als Privatperson mit so einem Kanbanboard anfangen?
a) klassische Aufgabenplanung
Ein Standard-Kanbanboard mit seinen drei Spalten "Zu erledigen", "In Bearbeitung", "Erledigt" lässt sich für die Strukturierung größerer Aufgaben einsetzen: Wohnungsrenovierung planen und durchführen, Hochzeit planen, Urlaub planen, Schrebergarten pflegen, Masterarbeit schreiben, ...
Diese Spaltenstruktur liegt nahe an der Verwendung im Arbeitsleben, ist aber beschränkt auf eine oder wenige Personen. Der Mehrwert zur handgeschriebenen Aufgabenliste (mit Durchstreichen des Erledigten), zu einer Textdatei oder ähnlichem ist bei kleinen Anwendungsfällen gering. Nicht zu unterschätzen ist aber schon ab zwei Personen die Visualisierung und die Sichtbarkeit für alle Beteiligten. Dazu kommt, dass man den Karten weitere "sprechende" Information wie Fotos, Screenshots, Dateien hinzu fügen kann. Für diesen klassischen Anwendungsfall gibt es massig Anleitungen im Internet.
b) Materialverwaltung im Privathaushalt
Hört sich erst mal sehr seltsam an, Materialverwaltung im Privatbereich mit drei Spalten "Zu erledigen", "In Bearbeitung", "Erledigt" zu machen. Aber wenn wir andere, passende Spaltenüberschriften wählen, sieht das schon ganz anders aus. Wir behalten bspw. in unserem kleinen Haushalt den Überblickt über unser Gefriergut mit Hilfe eines Kanbanboards mit 13 Spalten. Die Spalte ganz links ist der "Parkplatz" für häufig eingefrorene Dinge (zum Beispiel Baguette). Die anderen 12 Spalten stehen für den Monat, in dem das Gefriergut spätestens verbraucht werden soll. Friere ich ein Baguette ein, wandert die Baguette-Karte von ganz links zum Monat, in dem das Baguette spätestens verwendet werden sollte. Wird das Baguette aufgetaut, wandert die Karte nach ganz links. Die Anordnung der Karten von oben nach unten hat hier keine Prioritätsbedeutung, sondern gibt an in welcher Schublade des Gefrierteils das Gefriergut liegt. Dieses Board ist auch auf meinem Smartphone sichtbar, so dass ich unterwegs nachschauen kann ob ich besser ein ganzes oder ein halbes Brot einkaufe oder ob es noch eingefrorene Muffins fürs Wochenende gibt. Aber wie gesagt - das geht im Wesentlichen auch mit Papierkärtchen und Magneten an der Tür des Kühlschranks.
Einen kleinen nerdigen Spaß habe ich mir erlaubt: Gefrierdosen werden nicht mit dem Volltext des Gefrierguts beschriftet, sondern groß und deutlich mit dem Hashwert des Inhalts. Also erst den Hash (sha1, sha256, md5 - was immer euch lieb ist) von "Fischsuppe" ausrechnen lassen und davon die ersten vier Zeichen verwenden um die Dose mit "57D9" zu beschriften. Natürlich ist das mit dem Hashwert Over-Doing! Zufällige Zeichenfolgen, die sich signifikant unterscheiden, würden ausreichen. Aber hey, genau diese Eigenschaft hat eine Hashfunktion ja, warum also nicht nutzen.
Code: Alles auswählen
sha1sum
Fischsuppe
Das Board hat in der praktischen Anwendung zwei Auswirkungen: es gibt beim Abtauen keine Überraschungseffekte mehr (oh - leckerer Kuchen, aber schon 10 Monate drin) und das Finden des Gefriergutes wird durch die große Beschriftung mit vier Zeichen deutlich einfacher.
c) Planung von Terminen in selbstorganiserten Gruppen und Dokumentation
Der Beispielfall ist bei mir eine Wandergruppe, die über zig Kilometer verstreut wohnt. Am Jahresanfang werden die Wandertermine fürs ganze Jahr bestimmt, jeder Termin ist eine Spalte. Wandervorschläge werden in der Vorschlagsspalte gesammelt. Dann zieht (in einer Videokonferenz) jede(r) eine der Vorschlagskarten auf den oder die Termine, an denen er/sie die Wanderung organisieren kann. Danach werden die Häufungen der Karten so aufgeteilt, dass es für jeden Termin mindestens einen Erstvorschlag und Zweitvorschlag gibt und die Arbeitslast gerecht verteilt ist. Damit ist die initiale Jahresplanung fertig. Änderungen im Lauf des Jahres (bspw. tauschen Anton und Diana ihre Toruen) werden auch im Board notiert. Die Kärtchen der gemachten Wanderungen werden nicht gelöscht, sondern gehen in eine extra Spalte. Seit wir das so machen, geht die Planung viel schneller und vor allem ist die nachfolgende E-Mail-Flut bei Änderungen kleiner geworden. Nebenbei entstand eine schöne Sammlung von eintägigen Wandertouren mit wertvollen Informationen, da typischerweise schon hilfreiche Details (An- und Abreise mit Bus und Bahn, Einkehr, Sehenswürdigkeiten, Wegbeschaffenheit, Tourlänge, Höhenmeter, ...) notiert sind.
d) Vereinsarbeit
Auf der Webseite https://moderne-vereinsorganisation.de/tag/kanban/ findet ihr ein praxistaugliches Beispiel für den Einsatz eines Kanbanboards im Verein.
Benutzungshinweise für Kanbanboards:
Die unterschiedlichen Softwarewerkzeuge kommen mit sehr unterschiedlichen Funktionen daher (Benutzerverwaltung, Kalender, Tags, Checklisten in den Karten, Dateianhangspeicherung, Erinnerungsfunktion, ...); hat alles im beruflichen Einsatz einen Sinn, aber für die private Nutzung kommt ihr mit deutlich weniger aus. Am besten klein anfangen und sinnvolle Spaltenüberschriften finden - und erst später optimieren. Und von Anfang an auf die Visualisierung achten (Farben, Symbole, Bilder)! Je selbsterklärender ein Kanbanboard ist, umso besser ist es.
Hier noch Links zu den oben genannten Anwendungsbeispielen mit beispielhaften Inhalten (alle nur im Lesezugriff):
Einfaches persönliches Aufgabenboard: https://cryptpad.fr/kanban/#/2/kanban/v ... 3iJxIMbxM/
Gefriergut (hashed, not salted) im Kanbanboard: https://cryptpad.fr/kanban/#/2/kanban/v ... c+W4eq-9o/
Wandergruppe: https://cryptpad.fr/kanban/#/2/kanban/v ... owfkZeGI8/
Bei den beiden letzten beiden Beispielen könnt ihr die Wirkung von "tags" auch im Lesezugriff ausprobieren sowie das Ein- und Ausklappen des Karteninhalts im Übersichtsbild. Das Verschieben (drag and drop) und Löschen von Karten könnt ihr in einem eigenen Board ausprobieren.
Vielleicht habt ihr noch weitere (gerne auch "nerdige") Beispiele (abseits von Zu erledigen", "In Bearbeitung", "Erledigt") für den Signalkarteneinsatz im privaten Bereich. Würde mich freuen, darüber was zu lesen.