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von Tunix » 05.06.2003 20:00:48
@t.gu:
Du hast Dir mit Debian auch nicht gerade den leichtesten Einstieg in die Welt von Linux ausgesucht. Debian hat den Ruf ein System von Kennern für Kenner zu sein und IMHO wird es diesem Ruf auch mehr als gerecht. Eine von vielen Qualitäten, die Debian bei seinen Fans so beliebt macht, ist die genadenlose Transparenz, wie Patrick es schon passend bemerkte. Diese steht nun im krassen Gegensatz zum Blackbox-Prinzip, wie es unter Win üblich ist. Dies sorgt für einen großen Kontrast zwischen beiden Systemen, dem nicht jeder gewachsen ist.
Ich habe oft den Eindruck, dass viele Windows-Veteranen mit falschen Erwartungen an Linux herangehen. Das von einigen Windows-Benutzern gebetsmühlenartig wiederholte Argument, dass Linux sehr viel einfacher werden müsse ist oft gleichbedeutend zu verstehen mit "Es muss genauso wie Windows werden". Oftmals entsteht der Frust durch den erfolglosen Versuch, Linux wie Windows benutzen zu wollen. Durch mangelnde Flexibiltät und fehlende Bereitschaft, sich in andere Vorgehensweisen und Konzepte einzuarbeiten, enden die ersten Schritte nicht selten mit einer Aversion gegenüber Linux. Nicht jeder sieht ein, dass man auf einem anderen System wieder klein anfangen muss.
Jeder, der sich ernsthaft mit Linux beschäftigen möchte, muss sich im klaren darüber sein, dass sich unter all dem bunten KDE ein unixoides System befindet, dessen Grundkonzepte teilweise 30 Jahre alt und in all dieser Zeit gereift sind und sich bewährt haben.
Da gehört auch die von Dir genannte Baumstruktur zu. Ein gutes Beispiel, warum unter Unix generell zwar komplexere aber dafür durchdachtere Lösungen zum Einsatz kommen. Diese Struktur hat durchaus viele Vorteile, auch wenn sie für einen Windowsianer ungewohnt ist und unhandlich wirkt. So lässt sich oft auch ohne ins Handbuch zu schauen herausfinden, wo ein Programmpaket seine Binarys hat (/usr/bin), seine Doku (/usr/doc) und seine Daten (/usr/share) hinterlegt. Darüber hinaus lässt sich der Dateibaum vollkommen transparent aus verschiedenen Datenträgern, Netzlaufwerken und Partitionen zusammensetzen und erreicht dardurch eine Flexibilität, wie sie unter Windows nicht (zumindest nicht in diesem Umfang) möglich ist. Zur Erinnerung: Bei Windows ist bis NT4 bei 26 Laufwerksbuchstaben Schluss (nicht unbedingt gut für große Server) und ein Einhängen von Laufwerken in den Verzeichnisbaum eines Laufwerks geht erst ab Win2000 und ist auch dort eher drangeklatscht worden. Darüber hinaus verlassen sich viele Win-Programme (und auch Windows selbst) darauf, ihre Daten unter dem Laufwerksbuchstaben wiederzufinden, unter dem sie installiert wurden. Verschiebt sich eine dieser Laufwerksbezeichnungen mal, kann man böse Überraschungen erleben, die bis zu Neuinstallation führen (alles schon erlebt).
Deshalb wird man unter Unix niemals Laufwerksbuchstaben finden. Analog gilt dies auch für andere Konzepte unter Unix und Windows. Unix-Systeme wurden immer mit der Prämisse einer guten Skalierbarkeit entworfen, was mitunter zu komplexeren Designs geführt hat. Dagegen ist die Einfachheit mancher Konzepte unter Windows nicht selten dessen Schwäche.
Weil Linux sich nunmal an Unix orientiert, wird es sich in einigen Punkten niemals an Windows annähern, weil es einerseits vollkommen fremde Konzepte sind, die sich mit dem Rest des Systems nicht vereinbaren lassen und anderseits einen Rückschritt bedeuten würden.
Ich bin seit etwa anderthalb Jahren Linuxanwender im privaten Bereich und auch ich habe mit Debian durchgestartet. Der Zwang, alles selbst machen zu müssen und sich vieles anzueignen hat letztendlich auch die notwendige Faszination auf mich ausgeübt, trotz anfänglicher Schwierigkeiten weiterzumachen. Ich bin mit der Einstellung drangegangen, das Ungewohnte als "anders" und nicht als "schechter" anzusehen, auch wenn es mit dem bisher gelernten kollidierte. Ich sehe dies als Voraussetzung an, um sich wirklich erfolgreich in andere Systeme einzuarbeiten. Vor meiner PC-Zeit war ich übrigens AmigaOS- und MacOs-Anwender und hatte nie wirklich einen emotionalen Bezug zu Windows, was evtl. auch ein Erfolgskriterium war.
Auf der anderen Seite arbeite ich nebenbei (bin Student) als Windows- bzw. dotNET-Programmierer und habe daher auch mit Windows viel zu tun. Ich bemühe mich daher, mir auch eine gewisse Offenheit gegenüber Windows zu bewahren, obwohl es mir M$ mit seinem TCPA und Palladium-Mist nicht gerade schmackhafter macht.
Tunix