Sprachliche Zerfallserscheinungen?

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thoerb
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Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von thoerb » 06.04.2017 13:44:03

MSfree hat geschrieben:Auch Leiter kann eine Aufstiegshilfe, ein elektrisches Kabel oder der Chef einer Gruppe sein.
Wir hatten so eine Rettungsleiter im Büro hängen. Da haben wir ein Schild darüber gehängt, "Abteilungsleiter". Selbst unser Chef musste mal darüber schmunzeln. :D

guennid

Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von guennid » 06.04.2017 14:25:42

Ich bin dafür den Begriff "Anglizismus" auf Ausdrücke zu beschränken, die genuin englischsprachigen Ursprungs sind.

"nicht wirklich" und "Sinn machen" sind keine Anglizismen. Auch wenn letzteres von Spiegel-Leuten offenbar in Unkenntnis klassischer deutscher Literatur :wink: dazu erklärt wurde. Immer die Kirche im Dorf lassen!

Als Hesse höre ich auch, wenn jemand an der Küste aufgewachsen ist - nicht immer auf die Bayern! Und ich finde das gut so. Variatio delectat.

Nichtsdestotrotz ist eine gemeinsame Hochsprache sehr sinnvoll. Wenn der Bayer sich Mühe gibt, versteht in der Amrumer und umgekehrt. In einer klassischen Theateraufführung möchte ich Schiller weder mit Saarbrücker noch mit Dresdener Slang vorgetragen haben.

Die weiblichen Maße mögen sich im Lebenslauf verändern, aber ihre Schreibung wurde meines Wissens nicht geändert. Aber da geht's mir mehr wie TuxPeter. Irgendwann habe ich diese Hin-und-Her-Reformitis (gut so Paedubucher?) für mich als selber abgehakt.

Radfahrer

Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von Radfahrer » 06.04.2017 14:33:11

SO sieht übrigens eine korrekte Übersetzung von englisch nach deutsch aus! :mrgreen:

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scientific
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Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von scientific » 06.04.2017 14:46:51

tegula hat geschrieben:
TuxPeter hat geschrieben:Aber wenn ich z.B. "Potenzial" oder "Potenziometer" lesen, tut mir das irgendwo zwischen Aug' und Hirn weh.
Die angeglichene ("eingedeutschte") Schreibung vermeidet IMHO eine falsche Aussprache und erleichtert das (Vor-)Lesen. Ich finde es eher schade, dass sie bei vielen Fremdwörtern weiterhin nicht erlaubt ist.
TuxPeter hat geschrieben:Oder "aufwändig". Noch schlimmer ist natürlich, dass man überall "Wiederstand" findet, selbst wenn nur das Elektronikbauteil gemeint ist.
"Wiederstand" ist auch nach der neuen Rechtschreibung falsch [1].

[1] http://www.duden.de/rechtschreibung/Widerstand
Die Patridioten der Identitäre hier im Lande schreiben "Wiederstand" sogar auf Transparente. Fordern gleichzeitig von Migranten, dass sie korrektes Deutsch können müssen...
Darauf angesprochen, dass "Wiederstand" etwas GANZ anderes als "Widerstand" ist, den sie eigentlich meinen, gab es zur Antwort: "Wir schreiben Wiederstand mit langem ie, das soll es noch betonen, dass wir dagegenhalten wollen"... :facepalm: :facepalm: :facepalm:

Wenn in den sozialen Medien die Vertreter der reinen Rassenlehre Anpassung der Zuwandernden in schlechtestem Deutsch fordern, ist das durchaus dem Komischen zuzurechnen, wenns nicht so todtraurig wäre... Aber was will man von "postfaktischen" Menschen mit "altanatifen Fackten" auch anderes erwarten... Die haben nämlich durch Zuwanderer wirklich etwas zu verlieren... Wenn jemand ohne Netzwerk, ohne Sprachkenntnisse, ohne (anerkannte) Ausbildung in der Lage ist, mir meinen Job wegzunehmen, dann ist wohl in MEINEM Leben einiges falsch gelaufen... Dann muss ich mich auf meine schlechten Sprachkenntnisse verlassen, mich öffentlich zum Trottel machen, wenn ich in grundfalscher Grammatik und Orthographie gegen "die da" schimpfe... Und "die da" sind die Zuwanderer, die Gebildeten (eine positiv abgeschlossene Grundschule und sich 30% vom gelernten auch gemerkt zu haben, die Grundrechnungsarten beherrschen und gerade Sätze formulieren können macht einen offenbar schon zu einem Gelehrten...)

Wirklich schade ist, dass es trotz allgemeiner Schulpflicht seit Maria Theresia immer noch so viele Analphabeten gibt (Dunkelziffern sprechen von 25-30% funktionelle und echte Analphabeten in der Gesamtbevölkerung).

Ich stell mir leider oft in der Ubahn vor, wer da so neben mir sitzt... 1, 2 3-> ein Rechtswähler, 1, 2, 3-> ein Analphabet, 1,2,3-> ein Rechtswähler, 1,2,3 -> ein Analphabet... und dann komm ich drauf, dass es eine erschreckende statistische Überschneidungsmenge gibt...

Wo ist bloß eine traumhafte einsame Insel, wenn man sie dringend benötigt???

Übrigens... zu den Anglizismen... Wenn ich meinen Heimatdialekt hernehme... da wird mir die nahe Verwandtschaft des Englischen mit dem Deutschen oft sehr bewusst...
Da gibt es viele Ausdrücke, die so gesprochen werden, wie man sie im Englischen schreibt.
Als Paradebeispiel: Bier hat bei mir zuhause keinen Schaum, sondern einen "Foam". Und das wird tatsächlich "F-O-A-M" ausgesprochen.
"I learn Englisch" wird auch Buchstabe für Buchstabe so ausgesprochen...
Wenn in Bayern etwas schief geht, dann ist es "g'faild"... (das "l" wird etwas verschluckt) das ist mir erst unlängst bei systemd aufgefallen... da sind die Services, welche sich nicht korrekt beendet haben mit "systemctl --failed"
Bisher dachte ich "g'failed" von "gefault" kommt. Was zwar irgendwie Sinn ergibt. Aber die Übereinstimmung mit dem englischen Begriff "failed" ist doch frappant. Und es passt gut in die Reihe der Dialektworte, die bei uns so ausgesprochen werden, wie man sie im Englischen spricht - sogar mit gleicher Bedeutung.

Das ist mir schon lange bewusst gewesen, deshalb hab ich mich auch nie wirklich gegen Anglizismen gewendet. Es sind quasi eh nur alte Verwandte.

Lustig finde ich aber Germanismen im Kroatischen. Die offenbar aus der Zeit der Donaumonarchie bzw. der Hochblüte jugoslawischer Gastarbeiter in Österreich stammen.
Luftinspektor = Ein Mensch der nicht gerne Arbeitet
Schminckeriza = Eine aufgetakelte Tussi
Hausmasta = Jemand der gerne tratscht

Der Lebensraum, das Hinterland im Englischen wurde schon erwähnt... Wieviele französische Lehnworte im Deutschen angekommen sind, die als solche gar nicht mehr erkennbar sind...

Fazit: Sprache verändert sich IMMER. Und eine "korrekte" Sprache zu verlangen ist so sinnvoll, wie schönes Wetter zu verlangen... und eine Überlegenheit aufgrund einer "korrekten" Sprache abzuleiten ist überhaupt mit das Dümmste, was Patrioten sich haben einfallen lassen.

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Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von MSfree » 06.04.2017 14:50:49

guennid hat geschrieben:"nicht wirklich" und "Sinn machen" sind keine Anglizismen.
Nunja, als beinahe Englischmuttersprachler ist mir "not really" und "makes sense" im englischen bekannt gewesen, bevor es sich im deutschen Sprachgebrauch ausgebreitet hatte. Den Spiegel und klassische Literatur brauche ich für meine eigenen Beobachtungen nicht. Zumal ich den Spiegel aus voller Überzeugung nicht lese und auch niemals zitieren würde.

guennid

Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von guennid » 06.04.2017 15:05:36

@scientific
Womit wieder mal bewiesen wäre: Englisch ist weiter nichts als einer der vielen deutschen Dialekte! Punkt!
:mrgreen:
***duck und weg***

@MSfree

Dein Beipiel zeigt doch eigentlich nur, dass es mitunter sowohl für englische als auch für deutsche Sprecher offenbar eine gemeinsame Wirklichkeit gibt, die man auch in den jeweiligen Sprachen ausdrücken kann. Wer sich da nun was aus welcher Sprache übersetzt hat, ist doch belanglos - aber kein Anglizismus. Oder ist jetzt eine englische Übersetzung von Thomas Mann per se germanophil und eine von John Steinbeck ins Deutsche anglophil?

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Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von scientific » 06.04.2017 15:13:36

guennid hat geschrieben:@scientific
Womit wieder mal bewiesen wäre: Englisch ist weiter nichts als einer der vielen deutschen Dialekte! Punkt!
:mrgreen:
***duck und weg***
Ich nehme an, das war ein Scherz :)

Aber im Ernst... Englisch ist eine Mischsprache aus germanischen und romanischen Sprachen. Die Angeln, die Sachsen, die Friesen, die Jüten und andere germanische Stämme sind damals aufgebrochen und haben die britischen Inseln besiedelt (und die dortigen Kelten assimiliert, vertrieben... was auch immer). Die haben ja natürlich auch ihre Sprache mitgenommen. Genauso wie die Germanen mit ihren indogermanischen Wurzeln ihre Sprachen aus dem Osten mitgebracht haben.
Dass dann romanischsprechende Stämme die Germanen vereinnahmt haben hat die Sprache natürlich grundlegend verändert. Sowohl die germanischen Teile, als auch die romanischen Teile.

Spannend finde ich auch eine Gegenüberstellung, wie Gegenstände im Deutschen, im Englischen, im Persischen, in Hindi usw. heißen... Und natürlich sind das alles keine Dialekte einer einzigen Sprache mehr... Aber Verwandtschaft ist gegeben. Und manchmal näher als manchen lieb ist.

Übrigens... unser heiß verachtetes MS Windows...

Window = Windauge. Das sind in den (ich glaub) friesischen Gebieten die runden oder ovalen Fenster unter dem Giebel, wo der Wind durchziehen kann...

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Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von thoerb » 06.04.2017 15:14:08

MSfree hat geschrieben: Nunja, als beinahe Englischmuttersprachler ist mir "not really" und "makes sense" im englischen bekannt gewesen, bevor es sich im deutschen Sprachgebrauch ausgebreitet hatte.
Wann war das deiner Meinung nach? Das würde mich mal Interessieren, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass ich das "das macht Sinn" schon als jugendlicher gesagt habe. Aber das "nicht wirklich" erscheint mir noch nicht so lange im Sprachgebrauch zu sein.

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Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von scientific » 06.04.2017 15:17:31

thoerb hat geschrieben:
MSfree hat geschrieben: Nunja, als beinahe Englischmuttersprachler ist mir "not really" und "makes sense" im englischen bekannt gewesen, bevor es sich im deutschen Sprachgebrauch ausgebreitet hatte.
Wann war das deiner Meinung nach? Das würde mich mal Interessieren, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass ich das "das macht Sinn" schon als jugendlicher gesagt habe. Aber das "nicht wirklich" erscheint mir noch nicht so lange im Sprachgebrauch zu sein.
"Nicht wirklich" kannte ich in meinem Heimatdialekt auch nicht. Ich lernte das erst später im Wienerischen kennen.

Und da passt es gut zu den restlichen Ausdrucksweisen und Haltungen dieser Dialekte und ihrer Sprecher: Eine klare Aussage, und doch unverbindlich bleiben...

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Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von MSfree » 06.04.2017 15:51:29

thoerb hat geschrieben:Wann war das deiner Meinung nach?
So um 1980 rum habe ich beides noch nicht im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch gehört. Erst Mitte der 1990er wurden beide Ausdrücke meiner Beobachtung nach verstärkt verwendet. Die Einflechtung dieser beiden Begriffe konnte man besonders unter deutschen Studenten beobachten, die sich häufig mit englischer Fachliteratur beschäftigen mußten.

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Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von BenutzerGa4gooPh » 06.04.2017 16:11:02

guennid hat geschrieben:Womit wieder mal bewiesen wäre: Englisch ist weiter nichts als einer der vielen deutschen Dialekte! Punkt!
Afrikanische Sprachen ebenso!
Bundesminister Dirk Niebel, Hauptmann der Reserve bei den Fallschirmjägern, hat einen überzeugenden Eindruck politischer Stilsicherheit mit Fallhöhe gegeben: "Es ist in unserem Interesse, in unserem eigenen Vorgarten, in Afrika, dafür zu sorgen, dass Menschen keine Fluchtgründe geliefert bekommen."
Guttenberg hat jedoch kritisiert:
"Wir wollen, dass das Denken vom Einsatz her die Organisations- und auch die Führungsstrukturen der Bundeswehr künftig noch stärker durchdringt, ein Denken, das dann realitätsgebunden ist."
http://blog.handelsblatt.com/rhetorik-b ... tilbluten/
Ich stell mir leider oft in der Ubahn vor, wer da so neben mir sitzt... 1, 2 3-> ein Rechtswähler, 1, 2, 3-> ein Analphabet, 1,2,3-> ein Rechtswähler, 1,2,3 -> ein Analphabet... und dann komm ich drauf, dass es eine erschreckende statistische Überschneidungsmenge gibt...
Jetzt ueberschneiden sich schon Schubkaesten und Klischees.
Zuletzt geändert von BenutzerGa4gooPh am 06.04.2017 16:37:43, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von scientific » 06.04.2017 16:25:44

Jana66 hat geschrieben: Guttenberg hat jedoch kritisiert:
"Wir wollen, dass das Denken vom Einsatz her die Organisations- und auch die Führungsstrukturen der Bundeswehr künftig noch stärker durchdringt, ein Denken, das dann realitätsgebunden ist."
http://blog.handelsblatt.com/rhetorik-b ... tilbluten/
Das passt doch gut zu:
"Sehr geehrte Damen und Herren. Liebe Neger!"

:)
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TuxPeter
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Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von TuxPeter » 06.04.2017 16:42:11

scientific hat geschrieben: "Sehr geehrte Damen und Herren. Liebe Neger!" :)
Lübke, wenn ich mich recht erinnere. (Heute gerne: "wenn ich das richtig erinnere" - schauderhaft!)

Unvergesslich ist mir auch folgende persönliche Erinnerung:

"Sehr geehrte Damen und Herren. Liebe Arbeitslose!"
Aus der Ansprache eines Direktors der damals noch als "Arbeitsamt" bezeichneten Behörde zur Eröffnung einer "Bildungseinrichtung".

thoerb
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Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von thoerb » 06.04.2017 16:49:24

MSfree hat geschrieben:
thoerb hat geschrieben:Wann war das deiner Meinung nach?
So um 1980 rum habe ich beides noch nicht im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch gehört. Erst Mitte der 1990er wurden beide Ausdrücke meiner Beobachtung nach verstärkt verwendet.
"Das macht Sinn" haben wir schon Anfang der 1980er gesagt. Da bin ich mir ziemlich sicher.

AndreK
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Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von AndreK » 06.04.2017 17:35:09

paedubucher hat geschrieben:In der letzten Zeit sind mir einige sprachliche Erscheinungen aufgefallen, bei denen es sich meiner Meinung nach um Zerfallserscheinungen handelt. Ich habe mir einige davon notiert:
  1. In Hochschulen und Wirtschaft werden präzise Ausdrücke zusehends durch nichtssagende Metaphern ersetzt:
In der Realität werden mittlerweile Menschen ersetzt und nicht nur "Ausdrücke" durch Metaphern. Bei mir war heute in der Firma ein GLS Auslieferer. Ein blonder Jüngling mit blauen Augen. Ich hatte eine Frage. Leider sprach der Mann kein einziges Wort deutsch. Eine Kollegin vermutet Ukrainer, aber genau war das nicht herauszufinden.

guennid

Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von guennid » 06.04.2017 19:47:54

(Heute gerne: "wenn ich das richtig erinnere" - schauderhaft!)
Mir gefällt's. Aber ich spiele auch gerne mit Sprache.

Schauderhaft finde ich: "eine Sache/ein Projekt andenken :wink:

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Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von TuxPeter » 06.04.2017 21:40:21

Der Duden meint zwar auch, allerdings an letzter Stelle:
etwas erinnern: ich erinnere das, diesen Vorfall nicht (besonders norddeutsch)
aber für mich klingt das einfach nur falsch. Hat man dort vor dem faktischen Sprachgebrauch kapituliert? Es heißt sich oder jemanden anderes an etwas erinnern.
"etwas erinnern" erinnert mich an psychoanalytische "Erinnerungsarbeit", die voll falscher Bedeutsamkeit dahingeraunt wird, oder an die scheinheilige politische "Erinnerungskultur", die in Wirklichkeit die Erinnerung an vergangene Verbrechen pompös entsorgen möchte.

Beim "etwas andenken" stimme ich hingegen zu. Das entstammt der "Denke" von Leuten, die alles lieber tun als denken, und es deshalb nur bis zum andenken schaffen. Wenn der Quatsch mal vorbei ist, sollte man ihnen als Andenken ein kopfloses Denkmal spendieren.

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Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von scientific » 06.04.2017 23:34:54

TuxPeter hat geschrieben:Der Duden meint zwar auch, allerdings an letzter Stelle:
etwas erinnern: ich erinnere das, diesen Vorfall nicht (besonders norddeutsch)
aber für mich klingt das einfach nur falsch. Hat man dort vor dem faktischen Sprachgebrauch kapituliert? Es heißt sich oder jemanden anderes an etwas erinnern.
"etwas erinnern" erinnert mich an psychoanalytische "Erinnerungsarbeit", die voll falscher Bedeutsamkeit dahingeraunt wird, oder an die scheinheilige politische "Erinnerungskultur", die in Wirklichkeit die Erinnerung an vergangene Verbrechen pompös entsorgen möchte.

Beim "etwas andenken" stimme ich hingegen zu. Das entstammt der "Denke" von Leuten, die alles lieber tun als denken, und es deshalb nur bis zum andenken schaffen. Wenn der Quatsch mal vorbei ist, sollte man ihnen als Andenken ein kopfloses Denkmal spendieren.
Wenn man mal davon ausgeht, wie "Erinnern" im Gehirn tatsächlich stattfindet, dann ist die Formulierung "ich erinnere etwas" durchaus zutreffender als "ich erinnere mich".
Den Vorgang des Erinnerns macht man aktiv. Man baut sich in diesem Moment die Vergangenheit neu auf... Darum verändern sich Geschichten ja auch, wenn man sie erzählt... Mal war das Auto rot, dann blau, mal war es der größte Fisch, den ich je gefangen habe, dann war es doch einfach nur ein Fisch...

"Ich erinnere, dass..." gibt den Vorgang des aktiven Zusammenbauens der Vergangenheit besser wieder als "Ich erinnere mich, dass..." was einen passiven Vorgang beschreibt - was Erinnern aber nicht ist.

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Revod
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Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von Revod » 07.04.2017 01:20:55

Haha... Du kommst mir mit Sachen..., :mrgreen:

da musste ich mich nie kümmern, Systeme haben mit den Init Scripte jederzeit unproblematisch gebootet ( Für mich SysV und Systemd beide undurchschaubar ).

Seit ca. 4 Monate musste ich systemd-sysv mit sysvinit und sysvinit-core ersetzen, weil der Rechner, Athlon PC, ziemlich am Anfang jedes Mal einen chk auf die HD ausführt und dann bootet es nicht mehr durch. Mit dem sysvinit ist alles kein Problem und ich habe während des Bootvorganges das Protokoll Ablauf wieder vor der Nase, mit alle grünen " ok " am linken Teil des Monitors ( Ich glaube, es brauch " shim " als Abhängigkeit, ansonsten wird von Synaptic nur systemd-sysv akzeptiert ).

Und nun die Quiz Frage, warum funktioniert das eine und das andere nicht? Habe mich nicht darum bemüht, wie gesagt, ich suche immer den Weg der für mich am einfachsten zu lösen ist. Ja, durfte ab Mitte letztes Jahres so manche ( habe noch andere Bug's eingefangen ) Fehltritte erfahren. Praktisch bis auf 2 sind alle behoben.

ctr+F3 = Authentication failure mit lightdm
Und wie gesagt, booten nur noch mit sysvinit möglich.

Letztere mit der grosszügige und freundliche Hilfe von " rendegast " bin ich noch nicht dazu gekommen es vollständig zu lösen,

viewtopic.php?f=2&t=164015&hilit=authentication
Systemd und PulseAudio, hmmm, nein danke.

DeletedUserReAsG

Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von DeletedUserReAsG » 07.04.2017 05:49:45

Warum sollte „ich erinnere mich an etwas“ passiver sein, als „ich erinnere etwas“? Für ich wäre passiv etwa „mir kommt die Erinnerung an etwas“. Das „ich erinnere etwas“ klingt für mich ein wenig nach „ich geh Aldi“.

Liffi
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Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von Liffi » 07.04.2017 08:25:19

niemand hat geschrieben:„ich geh Aldi“.
Und jetzt die Quizfrage: Kann das jemand missverstehen? Ist das nicht den längeren und komplexeren Sätzen überlegen? Es könnte sich ja schon ein Standard etablieren, der besagt, dass wenn man auf etwas zugeht, man das zu weglassen kann.

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Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von MSfree » 07.04.2017 08:44:42

Liffi hat geschrieben:
niemand hat geschrieben:„ich geh Aldi“.
Und jetzt die Quizfrage....
Naja, das sollte ja auch "ich geh nach Aldi" heißen.

*duck*

struppi
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Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von struppi » 07.04.2017 09:37:10

Die Vorstellung, dass alle Menschen die im Internet etwas schreiben Abitur und einen Hochschulabschluss haben müssen, ist reichlich elitär und zeugt eher von einer asozialen Einstellung. Auch wenn der Duktus den Eindruck hinterläßt man wäre gebildet oder sonstwie kultiviert, ist diese Übergeblichkeit vielleicht im engsten Freundeskreis lustig, dass es aber durchaus Menschen gibt, die Schwierigkeiten mit der geschriebenen (manche sogar mit der gesprochenen) Sprache haben, scheint manchen nicht in den Sinn zu kommen.

Ich selbst habe einen (schlechten) Realschulabschluss und bin in der 9. Klase noch wegen einer 5 in Deutsch sitzen geblieben und habe mit Mühe eine 4 auf dem Abschlusszeugnis. Ich kenne einige mit ähnlichen Bildungshintergrund, deren geschriebenes sehr schwer verständlich ist. Diese Menschen sind nicht dumm, im gegenteil.

Mir fehlt die Fähigkeit die Regeln zu verstehen, bin aber in der Lage Sätze zu konstruieren und Wörter zu benutzen (ich bau tatsächlich alle Sätze nur nach Gefühl zusammen und könnte nicht einfachste Grammatikregeln erklären). Das ist für die Gruppe die später (als zu meiner Schulzeit) Legasteniker genannt wurde, die Schwierigkeit. Das Gehirn hat Probleme geschriebenes und gesprochenes in Verbindung zu bringen https://de.wikipedia.org/wiki/Lese-_und ... %C3%B6rung

Und dann so zu tun, als ob man irgendwelche körperliche Gebrechen bekommt, wenn man falsch gesetze Leerzeichen sieht oder eine falsche Benutzung des Plurals, ist ungefähr so, wie wenn man einem Kind in Indien erklären würde, das es eklig ist jeden Tag Reis zu essen.

Für Menschen mit Schreibschwächen ist das Leben sicher nicht immer einfach, sie dann noch zusätzlich lächerlich zu machen, wirft ein schlechtes Licht auf den, der sich darüber lustig macht.

Solche Leute beschweren sich sicher auch, wenn Behinderte im Restaurant neben ihnen sitzen und nicht so essen wie sie es tun.

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Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von TRex » 07.04.2017 09:50:19

Die Sache ist die... nur, weil es tatsächlich behinderte Menschen gibt, die eben nicht so mit Messer und Gabel essen können wie ich, ist das noch keine Entschuldigung für all jene, die einfach nur zu faul dafür sind. Es kann mir keiner weismachen, dass die Hälfte aller Deutschen Legastheniker sind.

Die Entscheidung, inwiefern das nun elitäres Denken ist, wenn man gewisse Ansprüche an seine Mitmenschen hat (mit Messer und Gabel essen, nicht beim Essen furzen, nicht übermäßig nuscheln und ebenso verständlich auch schreiben...), überlasse ich nun jedem selbst. Es käme ja niemand auf die Idee "komm wir essen Opa" auch so zu betonen, wie man es vielleicht tun könnte - und bei schriftlicher Kommunikation ist hier eben das Komma ebenso wichtig wie die entsprechende Betonung. Meine erste Antwort in diesem Thread war sicher schwer lesbar, und zwar nicht wegen der Rechtschreibfehler - das bekannte Beispiel aus Cambridge mit den Buchstabendrehern zeigt, wie egal einzelne Worte sind.

Edit: noch ein Beispielsatz mit unglücklichem Rechtschreibfehler:

Seit ihr in dem Glauben, dass Karthago zerstört werden muss, abgereist seit, herrscht hier völliges Durcheinander.

Bis der Leser merkt, dass er gedanklich einem Fehler folgt, darf er den Satz nochmal lesen (und ja, mit "nochmal" hab ich kein Problem, ebenso wenig mit kurzem "hab").
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Re: Sprachliche Zerfallserscheinungen?

Beitrag von Lord_Carlos » 07.04.2017 09:52:34

Bedenke das es nicht die Idee von OP war gegen Legastheniker vorzugehen.
Steht jedenfalls so im ersten Beitrag.
paedubucher hat geschrieben: Mir geht es nicht darum Leute anzupöbeln, die im Eifer des Gefechts (z.B. bei Forenpostings) oder aufgrund einer Legasthenie ab und zu Fehler machen. (Wobei ich von Hochschulprofessoren und anderen hochqualifizierten Leuten doch recht hohe sprachliche Fähigkeiten und die entsprechende Anstrengung fordere.) Mir geht es darum, sprachliche Entwicklungen zu beobachten und zu diskutieren.

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