Stromanbieter auch im Kontext der aktuellen Hochpreislage
Ich würde gerne nochmal meine Gedanken zum Thema Stromanbieter kund tun.
Das ist ja ein Thema, wo man hier aufgrund der besonders guten in Deutschland als Bürger grundsätzlich sehr einfach etwas zur Energiewende beitragen kann. Jeder kann seit der Liberalisierung des Strommarktes 1998 einfach so einen Stromanbieter auswählen.
Von Turbokapitalisten und radikalen Idealisten
Bei den Stromerzeugern gibt es zwei Extreme: Auf der einen Seite die Turbokapitalisten, die recht wenig mit der Energiewende am Hut haben und Ihre Firma nur bei maximalem Gewinn unterstützen möchten. Diese betreiben Greenwashing, d. h. das eine oder andere Projekte der erneuerbaren Energien wird maximal für's Marketing instrumentalisiert und die Anlagen, die auch vor der Energiewende schon profitabel waren(z. B. Wasserkraftanlagen), die werden jetzt halt als Ökostrom als besonders nachhaltig herausgestellt. Bzgl. der schmutzigen Bestandsanlagen(Kohle) und die - hoffentlich nur noch bis Ende diesen Jahres betriebenen - AKWs liefen halt trotzdem einfach weiter. Dabei fehlt mir insgesamt das große Engagement, auch wirklich etwas verändern zu wollen. Natürlich ist Strom aus regenerativen Energien(RE) mittlerweile auch bei uns mitunter die günstigste Stromerzeugungsart. Insofern findet der natürlich auch bei rein kommerziell ausgerichteten Stromproduzenten entsprechend Anwendung.
Auf der anderen Seite gibt es die radikalen Idealisten, die wirklich die Wende zu 100% erneuerbaren Energien vorantreiben wollen. Diese prüfen Ihre Stromlieferanten sehr genau, bauen teilweise selbst Stromerzeugungsanlagen, investieren in die Weiterentwicklung der Technik - wie z. B. Speichersysteme - und fördern vor allem den Neubau von regenerativen Stromerzeugungsanlagen. Das prüfen der Stromlieferanten bedeutet natürlich maximaler Ausschluß des Einkaufs von Strom aus Kernkraft, Kohle und Gas. Dass das nur rechnerisch zu 100% stattfinden kann, muss aufgrund der nicht 100%ig verfügbaren Verfügbarkeit von regenerativen Energien in Kombination mit der derzeit noch ungelösten Langzeitspeichersituation auch klar sein.
Zu diesen radikalen Idealisten würde ich jetzt vor allem mal die glühenden Verfechter aus der Riege der Ökostromanbieter der ersten Stunde zählen: EWS Schönau, Greenpeace Energy und die Naturstrom AG. Mit dabei war damals auch noch LichtBlick. Bei letztgenannter Firma möchte ich jetzt aber vorsichtig sein, da die Firma 2018 vom niederländischen Energiekonzern Eneco aufgekauft wurden und Eneco evtl. selbst versteigert wurde (1) und ich für mich eine mögliche Verquickung mit der fossilen Energieindustrie nicht ausschließen kann. Aus der Empfehlungsliste von Robin Wood ist er deswegen rausgeflogen. (4) Etwas was eigentlich alle dieser vier Anbieter um jeden Preis vermeiden wollten, da dies dem Zweck 100% erneuerbare Energien entgegen stehen könnte und auch für Greenwashing genutzt werden könnte. Mittlerweile gibt es aber noch weitere engagierte Unternehmen, wobei ich jedoch keine Übersicht habe, wer in dieser Liga noch mitspielt.
Die Kunden: Von Ideal bis ganz egal
Auf der Seite der Kunden / Bürger sieht es natürlich ganz genauso aus. Es gibt wieder zwei Extreme: Es gibt Menschen, denen die Nutzung von Ökostrom ganz besonders sehr wichtig ist und es gibt Andere, denen es vollkommen egal ist. Dazwischen gibt es viele Schattierungen: Manche die vielleicht wollen, aber wirklich jeden Cent umdrehen müssen, dass sie überhaupt mit Ihrem Geld auskommen und so für Ökostrom überaupt keine Priorität/Möglichkeit haben. Andere die sich vielleicht denken: Ja, ist schon wichtig. Da nehme ich halt das Ökostromangebot von meinem aktuellen Anbieter.
Problematisch finde ich, wenn man einen Ökostromanbieter wählt, der nicht
in der Riege der oben aufgezählten Idealisten ausreichend engagiert ist und schlechtestenfalls einer ist, der bzgl. seiner Ausrichtung zum Turbokapitalisten tendiert. Denn die schöpfen dann mit Ihrem ohnehin vorhandenen, jetzt neu gelabelten Ökostrom dann die Kunden ab, die ökologisch orientiert sind. Für einen weiteren Teil macht man vielleicht noch ein Mischangebot - halt ein bisschen Ökostrom - und der Rest, den's nicht interessiert, bekommt halt den Schrott(Kohle, Kernkraft) der übrig bleibt. D. h. die Verhaltens- und Haltungsänderung eines Teils der Bürger verpufft ohne bzw. mit nur wenig Wirkung bei diesen Stromanbietern. Natürlich wird schon ein kleiner Effekt auf Dauer auch bei diesen Anbietern zu sehen sein. Sei es, weil diese irgendwann nicht mehr genug Ökostrom haben um die Anfragen zu bedienen und Ökostrom zukaufen müssen oder sei es, weil mit der steigenden Kundenzahl für Ökostrom sich auch immer mehr die Erkenntnis durchsetzt, dass nur dies der Weg der gewinnorientierten Zukunft ist, dem man sich als kapitalistisch orientiertes Unternehmen nicht verschließen wird.
Im Vergleich dazu trägt jeder Kunde bei einem der sehr engagierten Ökostromanbieter bei, dass ein Teil des Gewinns in den Ausbau von Neuanlagen fließt. Die Unterstützungswirkung für die Energiewende ist hier also wesentlich größer.
Informationskrieg & Greenwashing: Die Ökostromzertifizierungen
Von Beginn an gab es als Anstrengung in der engagierten Ökostromszene auch recht schnell Zertifizierungen, was einen wirklich guten und nachhaltigen Stromanbieter ausmacht. Die mir damals bekannten Zertizierungen "Grüner Strom Label Silber" bzw. "Grüner Strom Label Gold" sowie "OK Power" waren die ersten Ergebnisse dieser Bemühungen, über die ich ein positives Echo in den Medien / Internet wahrgenommen habe.
Daneben etablierten sich weitere unternehmensübergreifende Label wie z. B. "TÜV Süd EE01"/"TÜV Süd EE02" oder "EKOenergie". Diese beiden kenne ich jetzt nicht und habe mich nicht mit deren Vergabekriterien beschäftigt. Allerdings hält (2) die "EKOenergie" für nicht empfehlenswert.
Es ist natürlich klar, dass solche Zertifizierungen ein gutes Instrument sind, um Greenwashing zu betreiben.
Der vorige Stromanbieter meiner aktuellen Mietwohnung(WG) hat seine Ökostromprodukte auch mit einer komplett unbekannten Stromzertifizierung beworben. Das habe ich dann natürlich direkt in die Tonne gekloppt.
Als Entscheidungsgrundlage für einen eigenen Ökostromanbieter sind für mich selbst Grüner Strom Label Silber bzw. Gold die einzig vernünftigen Label und ich kann nur jedem empfehlen, entweder direkt diese als Voraussetzung heran zu ziehen oder die Kriterien der Vergabe genau zu prüfen.
Ansonsten gibt es auch einige Stromanbieter, die Label Mist finden und deswegen kein oder nur ein "günstiges" Label verwenden. So wie z. B. die EWS, die nur das TÜV-Label haben, die ich aber trotzdem als einer der engagiertesten Firmen in dem Bereich sehe. Auch ist eine Zertifizierung keine absolute Sicherheit, wie es um das Engagement des Stromanbieters in Sachen RE steht. Unter (4) ist zu lesen, dass der Anbieter "NaturEnergiePlus" das Grüner Strom Label Zertifikat auf einem seiner Stromprodukte hat. Gleichzeitig ist dieser Anbieter ein Teil des Konzerns EnBW, der bekanntermaßen Kohle- und Atomkraftwerke betreibt. D. h. dieser Anbieter unterstützt letztlich die schmutzige Energiestrategie des Mutterkonzerns durch Gewinnabführung.
Aktuelle Hochpreislage auf dem Strommarkt
Die aktuell sehr hohen Strompreise sind natürlich für viele, die nur über ein knappes Budget verfügen besonders unangenehm. Da ärgert man sich schon über die hohen Strompreise v. a. in Deutschland und ist in der aktuell sehr grossen finanziellen Belastungssituation auch mitunter kurz vor dem finanziellen Ruin (Firma oder auch privat).
Auf der anderen Seite hätten wir in Europa jetzt wahrscheinlich ein riesiges Problem, wenn Deutschland trotz aller Verschleppungen und Bremsen, die Energiewende weiter engagiert voran zu treiben, nicht bereits den aktuellen Status Quo erreicht hätte.
Ein Problem, weil Frankreichs Flüsse - wie in einem der vorigen Beiträge angemerkt - derzeit und wahrscheinlich auch häufig in zukünftigen Sommern extrem wenig Wasser führen und damit ein Großteil der AKW-Kraftwerkskapazität heruntergefahren werden muss, weil diese nicht mehr gekühlt werden können; auch weil die weitere Erhitzung der Flüsse durch die AKW-Kühlfunktion möglicherweise ein sterben der Fische/Tiere zur Folge haben könnte. Der Retter für Frankreich ist da u. a. die deutsche Energie, die bei der aktuellen Wetterlage zu einem sehr beachtlichen Teil natürlich Solarenergie ist. Das ist natürlich einer der Gründe für die derzeit so hohen Strompreise. Wäre diese Solarenergie nicht da, hätten wir jetzt in Frankreich oder gar in ganz Europe wahrscheinlich drastische Blackouts.
Die Strompreise sind dabei insgesamt natürlich nur durch die hohe Stromnachfrage/-knappheit besonders hoch. In Frankreich ist dabei die Belastung für die Bürger nicht direkt spürbar, da hier der Staat den Strompreis subventioniert und für Bürger auf 17 ct/kWH festgelegt hat. Aber natürlich sind das immense Ausgaben, die da im Hintergrund für den Staat auflaufen.
Ein Vorteil der hohen Strompreise ist, dass diese jetzt den Anlagenbetreibern zu Gute kommen. Also einerseits unbefriedigenderweise natürlich den Firmen, die damit einfach mehr Gewinn machen, aber erfreulicherweise andererseits auch den wirklich engagierten Firmen, die das 100% Ökostromziel vorantreiben und damit mehr finanzielle Mittel erhalten, um das zu tun.
persönliche Erfahrungen
Mein Stromanbieter - die Naturstrom AG - hat sich entschieden, das Geld nicht in den Anlagenausbau zu investieren, sondern statt dessen für seine Kunden die Preise stabil zu halten, solange das noch möglich ist. Deswegen zahle ich derzeit mit 30,5 ct/kWh einen um ca. 10 ct/kWh günstigeren Strompreis als meine Arbeitskollegin. Weiterhin habe ich auch erfreulicherweise herausgefunden, dass mein Stromanbieter zusätzlich Geld in die Hand nimmt, um langfristige Stromlieferverträge im Voraus zu abzuschließen, so daß die aktuelle Hochpreislage mich als Bestandskunden derzeit noch nicht betrifft.
Im Übrigen waren die Preise meines Stromanbieters eigentlich immer schon - wenn auch nicht auf dem Level der Stromdiscounter - vergleichsweise günstig. Auch vor den aktuellen Preissteigerungen war die Preisentwicklung so, dass der Strompreis im Verlauf günstiger geworden ist, als der vom Voranbieter(Standardtarif bei Süwag hier in Hessen).
Empfehlungen
Meine persönlichen Empfehlungen zum Thema Ökostromanbieter in der Zusammenfassung dazu:
- Die Auswahl eines sehr engagierten Stromanbieters ist eine einfache Möglichkeit die Energiewende voranzutreiben. Als Entscheidungshilfe dazu die Bewertung von Robin Wood 2020 unter (5).
- Aktuell ist aufgrund der v. a. sehr hohen Neukundenpreise(Neukundenpreis bei meinem Stromanbieter ist derzeit bei 45 ct/kWh) nicht unbedingt der beste Zeitpunkt für einen Stromanbieterwechsel. Wenn das Budget niedrig ist, ist es auf jeden Fall gut, abzuwarten, die Lage zu beobachten und den Schritt erst bei Entspannung der Preise zu tun.
- Bei der Zertifizierung des Ökostromanbieters entweder auf Grüner Strom Label Silber/Gold bzw. OK Power setzen oder sich intensiver mit den Vergabekriterien und der öffentlichen Bewertung des jeweilligen Zertifikates auseinander zu setzen.
Nachtrag 1 vom 23.8. 18:45
Das Thema Kernkraft wird natürlich auch nach dem Ausstieg in Deutschland weiterhin aktuell bleiben, denn wir haben ja einen europäischen Strommarkt. Dort können Stromanbieter ja nach belieben Strom einkaufen. Wenn dann irgendwann mal die Nachfrage nach Atomkraft einbricht, dann würde dort ja ein entsprechender Preisverfall stattfinden und die Stromhandelsunternehmen, denen es egal ist, wo es herkommt "hauptsache billig" wollen, die unterstützen dann damit möglicherweise die verlängerte Nutzung der Kernkraft im europäischen Ausland. (Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das möglich ist, weil ich noch nicht vollständig verstanden habe, wie das mit dem europäischen Stromhandel funktioniert. Ein Beitrag im groben Bezug dazu: (3) )
(1)
Klimareporter: Niederländischer Energiekonzern kauft LichtBlick
(2)
Marktwaechter: Ökostrom-Labels
(3)
Naturstrom-Blog: Warum macht eine Fossile Brennstoffkrise meinen Ökostrom teuer?
(4)
taz: Ökostrompionier nicht mehr Öko
(5)
Robin Wood: Ökostromreport 2020