Da sind ja schon mal ein paar interessante Bücher dabei
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Nochmal inhaltlich zu diesen beiden Büchern:
M. Gorbatschow: Das neue Russland - Der Umbruch und das System Putin (2015)
M. Gorbatschow: Was jetzt auf dem Spiel steht - Mein Aufruf für Frieden und Freiheit (2019)
Motivation
Nachdem mir diese Dauer-Berichterstattung der Mainstreammedien über den bösen Putin zu einseitig wurde, wollte ich mich mal aus anderen Quellen über Russland informieren. Michail Gorbatschow hat da für mich grundsätzlich eine bessere Reputation als die deutschen Leitmedien.
Über Michail Gorbatschow
Gorbatschow war zutiefst von der Demokratie und da insbesondere von der Sozialdemokratie überzeugt. Es war sein Anliegen die Perestroika("Umgestaltung") der Politik voranzutreiben vor allem unter zu Hilfenahme von Glasnost("Offenheit" bzw. "Transparenz"). Das war im totalitären Russland absolut revolutionär. Die falschen Worte - allem Voran Regierungskritik - hätten vor dieser Zeit einem jeden Menschen schnell zumindest die Freiheit oder aber das Leben kosten können.
Persönlich über sich schreibt Gorbatschow recht wenig. Keine Information über die vermutlich von elender Armut und Hunger geprägte Kindheit. Keine Klagen über die mitunter demütigende Behandlung von anderen Politikern. Während seiner Kandidatur zum Präsidenten Russlands gab es sogar einen persönlichen Angriff auf Ihn, der nur gerade so von seiner Security abgewehrt werden konnte. Er wurde immer wieder auch verleumdet und bedroht. Erhard Eppler beschreibt als Mann von "hoher emotionaler und geistiger Disziplin". Er steht für seine politischen Visionen. Seinem aufgrund des Alters schlechter werdenden Gesundheitszustandes sieht er nüchtern entgegen - entschuldigt sich dafür, dass dies so ist und nutzt die bleibende geringere Zeit neben den ärztlichen Behandlungen leidenschaftslos weiter für seine Arbeit.
Ziele
Ziele die Gorbatschow im Leben verfolgt - immer noch mit jetzt 91 Jahren.
- Frieden (Nukleare Abrüstung)
- Demokratische Umgestaltung Russlands
- Das "Neue Denken" als neue Art des gemeinschaftlichen v. a. zwischenstaatlichen Umgangs miteinander [1]
- Bekämpfung von Armut um das Leid der Menschen zu lindern und als Gefahr für den Frieden
- Bekämpfung von großen neuen Problemen der Welt(Klimawandel, Umweltzerstörung, Internationales Grünes Kreuz)
Vertrauen in die Person Gorbatschow
Mein Vertrauen zu dieser Person gründet sich auf diese bisher bekannten Merkmale:
- Er hat sich afaik nicht unrechtmässig bereichert in seiner Spitzenposition, obwohl er es bestimmt hätte können.
- Er hat sein Land nie verlassen und wohnt jetzt nicht woanders.
- Er hat Kritik in seinem Land immer deutlich, mutig und sachlich ausgedrückt. Im Vergleich zu anderen ehemaligen Regierungschefs hatte er keine Immunität - Das Damoklesschwert der Beseitigung durch die Staatsgewalt hing immer über Ihm. Das hat Ihn nicht von seiner Kritik abgehalten. Im hohen Alter ist er dann zunehmend offener geworden, weil er aufgrund der Nähe zu seinem eigenen Tod nun keine Repression mehr fürchtet.
- Er hat während seiner Regierungszeit auf seine Ziele hingearbeitet, d. h. Demokratie, was bedeutet, dass er selbst immer wieder auch eigene Macht abgegeben hat.
Gorbatschow Stiftung
Die Stiftung gründete er nach seiner Zeit als Staatspräsident der Sovietunion. Er veranstalte dort Konferenzen und initiierte Studien über politische und wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten des Landes und auch über aktuell sich anbahnende Krisen und die Auswirkungen auf Russland. Er holte Spezialisten zusammen und führte kontroverse Diskussionen auf den Konferenzen um Lösungen und Vorschläge für die Regierung zu erarbeiten. Die Lösungen und Vorschläge wurden soweit ich das sehe von der Regierung nicht oder nur in geringem Maße angenommen, weil ich das so verstehe, daß die Regierung in Gorbatschow immer auch noch einen Konkurrenten sah, der den eigenen Zielen im Wege steht - das sowohl für Jelzin als auch für Putin.
Russland und der Westen
Im ersten Buch war Gorbatschow noch voll des Lobes für viele westliche Politiker. Auch für die, mit denen er heftig gestritten hatte und nie zu einer gemeinsamen Meinung kam. (z. B. Margaret Thatcher). Es gab leicht geäußerte Kritik und eine immerwährende Ermutigung und Aufforderung zu Zusammenarbeit, zu gemeinsamem konstruktiven Dialog und einzelne kritische Beiträge zu bestimmten Situationen; z. B. die Rolle der USA im Zusammenhang mit dem Kaukasuskrieg 2008; dass sich Saakashwili(damaliger georgischer Staatspräsident) wahrscheinlich ohne die vermutlich von den USA gegebene Rückendeckung niemals getraut hätte Südossetien anzugreifen.
Im zweiten Buch und in neueren Interviews schlägt Gorbatschow viel kritischere Töne an. Er verurteilt die Haltung des Westens sich in Bezug auf die Beendigung des Kalten Kriegs selbst als Sieger darzustellen. Seiner Meinung nach war es eine gemeinsame Anstrengung, die nichts mit Stärke zeigen und besiegen als vielmehr mit Bereitschaft von beiden Seiten, in den Dialog zu gehen und Risiken einzugehen zu tun hatte. Dass dieser Weg der Stärke, der seitdem die Handlung der USA und des Westens bestimmt ein Fehler ist, der die Welt wieder zu einem unsichereren Ort macht, dass das eine Sackgasse ist.
Bzgl. der NATO-Osterweiterung sagen manche Experten ja, dass es notwendig gewesen wäre, dass schriftlich in einem Vertrag festzuhalten. Hier meint Gorbatschow, dass es dafür keinen Grund gab. Die Sovietunion war 1989 noch intakt und ebenso der Warschauer Pakt als das Gegenbündnis zur NATO.
Ich würde auch sagen Gorbatschow teilt Putins Enttäuschung bzgl. des Westens. Es gab während der Zeit nach 1991 immer wieder Angebote von Russland an den Westen, sowohl von Jelzin als auch von Putin. Die Angebote wurden nicht angenommen. Russland wurde zunehmend als Feind ausgegrenzt. Seine staatlichen Interessen wurden nicht miteinbezogen, was für Gorbatschow auch gipfelte in dem EU Assozierungsabkommen, das militärische Komponenten enthielt und massiv die Interessen der RF beeinträchtigte. (Das ist in einem neueren Interview mit RT und Gorbatschow zu hören).
Zu der Rede von Putin auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 sagt Gorbatschow, dass er darin nichts verwerfliches gehört hat. Es war kein Angriff. Es war der Ausdruck einer großen Enttäuschung, dass alle Angebote zur Zusammenarbeit abgelehnt wurden. (Ich muss mir die Rede selbst mal anhören.). Die Rede markiert afaik ja einen Wendepunkt, an dem sich Putin vom Westen abwendet, der nicht auf die Angebote der Zusammenarbeit reagiert.
Die westliche Presse
Eine erste Kritik bzgl. der westlichen Presse hatte Gorbatschow bzgl. der Berichterstattung zum Kaukasuskrieg 2008. Die auslösende Situation - der Artillerie- und Raketenbeschuss von Südossetien durch Georgien wurde von der westl. Presse überhaupt nicht berichtet. Erst die Reaktion der Russen kam in die Zeitungen. Das hat die Russen als Aggressoren dargestellt, was eine Falschdarstellung war.
In späteren Jahren hat er kritisiert, dass die Kritik an Russland in den westlichen Medien sich gewandelt hat. War es anfangs(80er Jahre) noch der unberechenbare wilde Russe, dem man nicht trauen darf, ist es nach und nach dazu gekommen, dass man bereits jede Person, die sich anschickte Russland zu verstehen, diskreditiert("Putin-Versteher").
Russland innenpolitsch und wirtschaftlich
Russland war 1989 in einer katastrophalen Lage. Es gab viel Armut. Die Wirtschaft stagnierte, weil aufgrund des herrschenden Totalitarismus keine Entwicklung möglich war. Die Offenheit gegenüber anderen Ländern ermöglichten Hilfe(z. B. aus Deutschland) für die Bevölkerung.
Perestroika und Glasnost leiteten 1990 einen Wandel ein, der den Menschen einen neuen Geschmack der Freiheit bescherte. Auch wenn dieser Wandel nicht abgeschlossen werden konnte, hat er doch nach M. G. begonnen und ist den Menschen auch nicht mehr wegzunehmen. 1991 gab es als Folge die ersten freien Wahlen. So wie es für mich aussieht wohl die auch bisher einzigen freien Wahlen.
Demokratie war ein Wandel im Innern, der von Gorbatschow vorangetrieben wurde und für den es im Innern auch viele Gegner war. Der Augustputsch 1991 hatte eine schlimme Auswirkung und die Verträge der Neuregelung der Zusammenarbeit im Rahmen der Sovietrepubliken(GUS?) konnte nicht abgeschlossen werden. Die Sovietunion zerfiel. Die neue Regierung unter Jelzin führte den Kurs in die Demokratie nicht fort. Es ging der Regierung mehr und mehr um blossen Machterhalt.
Jelzin sicherte sich mit Hilfe der Reichen die Medienkontrolle und die nächsten Wahlen wurde mit Hilfe der Medien und der "administrativen Resourcen" (d. h. Wahlbetrug, Einschüchterungen, Störung von Konkurrenten u. a.) wiedergewonnen. Für die nächste Wahl 1996 ließ sich Gorbatschow sogar noch einmal aufstellen. Für die Zulassung benötigte er 1,5 Mio Stimmen, die seine Wahlbeauftragten innerhalb sehr kurzer Zeit einholen konnten. Bei der eigentlichen Wahl bekam er dann seltsamerweise insgesamt nur 300.000 Stimmen. Es gab diverse Anzeichen offensichtlichen und groß angelegten Wahlbetrugs. Das hat sich seitdem bis heute wohl nicht geändert.
Wirtschaftlich wurde das Land mit der Schocktherapie(Radikale, schnelle Einführung der freien Marktwirtschaft) in eine tiefe Krise geführt. Deindustrialisierung. Armut.
Russland innenpolitsch und wirtschaftlich - Die Zeit Putins
Putin war dann 1999 Ministerpräsident und wurde 2000 das erste Mal zum Präsidenten gewählt. Er übernahm ein totales Chaos und eine große Not. Putin hatte wohl bereits in seiner anfänglichen Politik auf autokratische Elemente zurückgegriffen. Gorbatschow sah das zwar mit Besorgnis, aber er sah auch das große Chaos, daß es aufzulösen galt. Deswegen hat er Putin Vorschußvertrauen gegeben und ihn in der Anfangszeit öffentlich unterstützt. Gerade zur Beseitigung der Mißstände kann eine gewisse harte Führung für eine gewisse Zeit nötig sein.
Die autokratischen Maßnahmen wurden aber eher mehr statt weniger. Gorbatschow hat das immer wieder kritisiert und angemahnt. Der Weg der Demokratie müsse fortgesetzt werden. Es kann nur zu einer Stagnation führen, wenn die kreative Kraft aller Menschen des Volkes nicht einbezogen wird.
Gorbatschow war auch immer dafür, daß Menschen an der Macht diese nach Ihrer Zeit immer wieder abgeben sollten, um neue Menschen in die Führungsposition zu bringen. Putin hielt an der Macht fest. Er nutzte die Lücke aus, um nach einer "Zeit der Pause" als Ministerpräsident anschließend erneut Präsident zu werden.
Meinung / Ideen
Durch den Krieg ist eine grosse Distanz und ein grosses Mißtrauen da. Aber ich denke, der Weg in die andere Richtung kann auch wieder gegangen werden, so dass sich Vertrauen aufbaut. Den Weg der echten Verhandlungen, bei dem wirklich die Interessen aller Beteilligten berücksichtigt werden. Den Weg der Kooperation und des gegenseitigen Respekts. Natürlich muss man damit klar all denen Kräften bei uns und im Westen allgemein eine klare Absage erteilen, die Russland oder auch nur irgendjemanden als Feind ansehen und letzlich zerstören wollen.
Ich teile die Sorge über den sich entwickelnden Totalitarismus in Russland und ich denke, wie sich Russland als Land entwickelt, dass liegt imho nicht an anderen Staaten wie uns zu beurteilen. Es sind die russischen Bürger, die entscheiden, in was für einem Land sie leben wollen und gegen was sie sich auflehnen wollen, was sie nicht akzeptieren wollen und wie sie es ggf. mit Blut umgestalten werden. Ich denke, hier sollte man von außen kooperativ unterstützen ohne in die Entwicklung selbst einzugreifen. Nicht zuletzt ist es da vielleicht besser, vor unserer eigenen Haustüre zu kehren. Unsere Demokratie ist da vielleicht nicht in dem makellosen Zustand, für die mancher sie halten mag(Assange? Angriffskriege?).
Ich sehe auch noch eine Parallele zwischen Putin und Hitler. Deutschland hat die Niederlage des 1. Weltkrieges eine als eine Demütigung empfunden. Diese wurde dadurch besonders verstärkt, dass die Deutschen bis 1988 Reparationen bezahlen sollten. Hitler hat Deutschland wirtschaftlich aufgebaut und anschließend außenpolitisch den anderen Staaten Siege abgetrotzt. Das hat dem Volk gefallen: Wir sind nicht mehr die Deppen und die letzten Ärsche. Uns behandelt man nicht so!
Das gleiche sehe ich jetzt mit Russland und Putin so. Die Einflusssphäre der NATO und der USA hat sich immer weiter in Richtung Osten ausgedehnt. Die Grosszügigkeit des gewährens der Wiederverinigung von Deutschland wurde damit mit Füßen getreten. Das Sterben von 21 Millionen Menschen im 2. Weltkrieg im Kampf gegen Hitler wurde komplett vergessen. Ich kann das verstehen, wenn die russische Bevölkerung da zu recht wütend ist und sich hinter jemanden wie Putin stellt. (Zufällig höre ich genau das in einem Beitrag von R. D. Precht aus 2014 [2]).
[1]
http://www.acamedia.info/politics/ukrai ... enken.html
[2]
https://www.youtube.com/watch?v=fhYjt1VH4ao