Hi(gh)!
maroc hat geschrieben: 13.09.2017 15:51:11
@Yadgar
Ich frage mich gerade, ob Deine sich bemüht witzig gerierende Dystopie nicht das Andenken der historischen Holocaust-Opfer verhöhnt.
Das ist überhaupt nicht witzig gemeint! Wieso sollte der reale Holocaust für alle Ewigkeit der eine unüberbietbare Superlativ des Schreckens sein? Gemeinhin wird dies begründet damit, dass die Nazis die ersten in der Menschheitsgeschichte waren, die eine bestimmte ethnische oder religiöse Gruppe von Menschen vollständig vom Angesicht der Erde tilgen wollten... aber sind meine Horrorvisionen deswegen weniger schrecklich? Die Errichtung eines weltumspannenden Regimes, dessen einzige Maxime es ist, soviel Leid wie nur irgend möglich zu erzeugen, und das für alle Zeit? In christlicher und islamischer Tradition nennt man einen solchen Zustand "Hölle"... und im säkularen Denken entspricht diesem George Orwells "1984" - übrigens das Buch, das mein Denken geprägt hat wie kaum ein anderes, seit ich es vor nunmehr 30 Jahren zum ersten Mal gelesen habe!
Wieso sollte es unmöglich bzw. moralisch verboten sein, sich etwas noch Entsetzlicheres als den Holocaust vorzustellen? Abgesehen davon: wie kann man ein Andenken verhöhnen? Ist das so etwas Ähnliches wie die Verletzung religiöser Gefühle? Gotteslästerung? Ich kann mir als Opfer von Verhöhnung nur reale Menschen vorstellen...
maroc hat geschrieben: 13.09.2017 15:51:11
@TomL
Deine Schwarzmalerei ist zwar schön bildkräftig formuliert, drückt sich aber – ebenso wie Yadgar – um jede Konkretisierung und bleibt so im Sumpf pauschalen Gejammeres stecken.
Diesen Untergangs-Sound, demzufolge alles immer nur schlimmer, noch schlimmer und ganz grauenhaft schlimmer wird und wir dem alle hilflos ausgeliefert sind und niemand irgendetwas dagegen tun kann, kenne ich seit bald 35 Jahren - ursprünglich von der radikalen Linken, der Alternativbewegung, von linken Hochschulgruppen, auch aus meinem Freundeskreis, und ich habe insgesamt das Gefühl, dass es sich dabei eher um eine Art Gesellschaftsspiel des "progressiven Milieus" als um echte, tief empfundene Überzeugungen handelt - denn wäre es Letzteres, müssten die Anhänger eines solchen Weltbildes chronisch selbstmordgefährdet sein. Das sind sie aber offensichtlich nicht, die allermeisten Leute, die im Internet und anderswo ihre Horrorvisionen verbreiten, machen, soweit ich das beurteilen kann, keinen existenziell verzweifelten Eindruck. Nein, ich glaube eher, dass all das Gejammer über Überwachungsstaat, Massenverelendung, Entmenschlichung und kollektiver Verblödung vor allem dazu dient, sich der eigenen Progressivität, des Linksseins (bzw. was man dafür hält - unter postmodernen Linken ist bekanntlich auch jede Menge irrationaler Hokuspokus en vogue, vom New-Age-Esoquatsch bis zur Identitätspolitik) zu vergewissern, auf dass man ja nicht für ein ZDF-sediertes CDU-Schäfchen gehalten wird... und dann sollte man außerdem nicht vergessen, dass das linksalternative Milieu mittlerweile auch schon ziemlich in die Jahre gekommen ist, da setzt dann schon eine gewisse mentale Vergreisung ein.
Was ich selbst von alledem halten soll, weiß ich auch nicht so recht... es ist natürlich klar, dass die Internet-Leitmedien professionell auf der Klaviatur dieser Untergangsstimmungen spielen, schließlich wird so etwas gerne zum Lesen angeklickt und natürlich auch kommentiert, was noch mehr Klicks gibt... und das alles funktioniert praktischerweise auf beiden Seiten des politischen Spektrums - wobei mittlerweile das Jammern über die ach so kaputte Welt auch eine Domäne der Rechten geworden ist, was noch viel mehr Klicks gibt, man sieht es regelmäßig auf Zeit Online und anderswo, irgendwas über Islam, Klimawandel, Gender Mainstreaming, Hartz IV oder Homosexualität, und die Zahl der Leserkommentare schießt bis in vierstellige Höhen!
Und leider bin ich als Borderliner oder wie man meinen ganz speziellen Dachschaden sonst noch betitelt hat für dieses extreme Horrorzeugs mehr als empfänglich... da kann ich dann die ganze Wut auf mein verpfuschtes Leben austoben, indem ich mich geradezu sadomasochistisch in Dystopien grauenhaftester Art suhle! Ich glaube wirklich, dass ich zuviel Internet gucke...
If operating systems were countries, Linux would be pre-1978 Afghanistan: an all-time favourite among alternative globetrotters, but shunned by mainstream tourists because of its lack of fancy beaches, shortage of alcoholic beverages and its fondness of beards...